Nürtingen. Es ist eigentlich kein gängiges Jubiläum, doch wollte die Stadtverwaltung die runde Zahl nicht so einfach verstreichen lassen: Vor 30 Jahren wurde der Nürtinger Bürgertreff eingeweiht. Seine Geburtsstunde fiel nicht zufällig zusammen mit der Einweihung des Rathaus-Erweiterungsbaus. Nürtingens damaliger Oberbürgermeister Alfred Bachofer sah den neuen Gebäudekomplex nicht nur als Heimstätte für die Verwaltung. Mit der Stadtbücherei und dem Bürgertreff wollte er gezielt die Bürgerschaft an der „guten Stube“ der Stadt teilhaben lassen und sie auch räumlich nahe an die Kommunalpolitik bringen.
Der Bürgertreff sollte ein Ort der Begegnung und ein Platz für das Miteinander der Generationen sein. Zudem lautete das Stichwort: Beteiligung. Bürgerinnen und Bürger sollten dabei unterstützt werden, sich aktiv in die Stadtgesellschaft einzubringen. Ein wichtiger Baustein ist die Nürtinger Freiwilligenakademie, in der Engagierte das Rüstzeug dafür bekommen, ihre Projekte zu entwickeln und möglichst eigenständig umzusetzen. Das können Spiele- oder Tanznachmittage sein, aber zum Beispiel auch ein Unterstützungsangebot von Jüngeren für Ältere beim Umgang mit neuen Medien. Auch die Turmwächter-Initiative, die ehrenamtlich den Turm der Stadtkirche für die Öffentlichkeit zugänglich macht, oder die Initiatoren für einen Bürgergarten sind Beispiele.
Ausgebildete ehrenamtliche Bürgermentoren griffen auch Themen auf, zu denen möglichst viele beteiligt werden sollten. Das geschah bei Sozialkonferenzen. Aus einer erwuchs das Café Regenbogen, das als integrative Einrichtung der Behinderten-Förderung Linsenhofen in den Bürgertreff eingebettet ist. Dazu kam die von den Krankenkassen finanzierte Selbsthilfekontaktstelle, die 2001 im Bürgertreff eingerichtet wurde.
Die breit angelegten Beteiligungsangebote erhielten landes- und bundesweit Preise. Die wohl höchste Auszeichnung erfuhr der Bürgertreff beim bundesweiten Wettbewerb der Bertelsmann Stiftung zur bürgerorientierten Kommune, bei dem er Platz eins belegte. Nürtingens Oberbürgermeister Johannes Fridrich betont: „Der Bürgertreff ist zu einer unverzichtbaren Institution in Nürtingen geworden und beherbergt einen wertvollen Schatz.“
Auch Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann stellt in seinem Grußwort in der Broschüre zum Jubiläum fest: „Bürgerschaftliches Engagement macht Sinn. Am Gemeinwesen Anteil zu nehmen, sich einzumischen und einzusetzen, ist wichtig. Dieses freiwillige Engagement verbindet die Menschen in unserer vielfältigen Gesellschaft nicht nur, sondern stärkt auch die Demokratie.“ Nürtingen habe dabei im Land und im Bund Maßstäbe gesetzt.
Dabei erweisen sich manche Initiativen als Selbstläufer. Den Rekord hält wohl Walter Lehman. Der 90-jährige ehemalige Realschulrektor vermittelt seit Jahrzehnten ehrenamtlich Englischkenntnisse. Andere Initiativen brauchen mehr Unterstützung. Deshalb soll der Bürgertreff personell und konzeptionell gestärkt werden. „Ehrenamtliche brauchen hauptamtliche Kümmerer“, betont Christos Slavoudis, in dessen Sachgebiet die Leitung des Bürgertreffs fällt.