Kirchheim. Bei strahlendem Sonnenschein und blauem Himmel „tauchten“ die Besucher der im Rahmen der Kinder- und Theaterwochen „Szenenwechsel“ angebotenen vormittäglichen Aufführung des Stücks „Perpetuum mobile“ gemeinsam mit dem Ensemble „Stage Divers(e)“ hinunter in die Tiefen des Bastionskellers. Was sie dort er-
wartete, war zunächst nicht gleich einzuordnen. Wer bereit war, sich auf das kunterbunte Feuerwerk einzulassen, das am idealen Platz für dieses kuriose Theaterstück abgebrannt wurde, konnte eine kurzweilige und abwechslungsreiche Aufführung erleben, die trotz gewisser Längen vor Ideen nur so sprühte.
Der Spielort war auch ein Keller. Der war freilich kein offen zugänglicher Ort, sondern ein versperrtes und verstecktes Verlies, in dem unter Laborbedingungen absurde wissenschaftliche Experimente durchgeführt wurden. Die beim Auftaktbild am rechten Bühnenrand in einem zusammengeklebten Karton stehenden zwei Personen waren gleich als ungleiches Bootsfahrer-Duo definiert. Dass sie in einem Aquarium stecken, wurde lediglich durch Klebebänder am Boden angedeutet.
Das am linken Bildrand in einem roten engen Anzug sich rekelnde Wesen war ebenfalls in ein angedeutetes Aquarium gezwängt, dem es in eindrucksvoller Bewegungsgier immer wieder zu entkommen suchte.
Der junge Mann, der in der Mitte der Bühne hinter einem Computer hockte, hatte eine Aufsichtsfunktion inne. „Im Auftrag der Wissenschaft“ hatte „Immanuel Hoppe“ gleich zwei seltsame Experimente zu betreuen. Die ununterbrochen im Kreis herumrudernden Seefahrer, sollten konsequent vor allen Umwelteinflüssen so lange bewahrt werden, bis sich auch all ihre Erfahrungen, Erinnerungen und Erkenntnisse in dem sie stets umgebenden undurchdringlichen Nebel verflüchtigt haben und keine Rolle mehr spielen.
Die Krakendame sollte dagegen zum Reden stimuliert werden, denn dadurch wäre sie in die Lage versetzt, den sie beobachtenden Menschen Informationen darüber weiterzugeben, wie Tiere denken. Wie sich zeigte, war aber gerade Immanuel Hoppe die eigentlich interessanteste und ergiebigste Projektionsfläche menschlichen Verhaltens, die sich bei dem lang angelegten Feldversuch im unterirdischen Gemäuer beobachten ließ.
Allzu gewissenhaft kommt er seiner Aufgabe allerdings nicht nach, denn seine eigenen Probleme, seine Unentschlossenheit, seine sich mit der Theater-„Realität“ faszinierend vermischenden Tagträume und seine während der Nachtschicht in unruhigem Schlaf durchlebten Fantasien, zermürben ihn. Die Krake, die er im Dienste der Wissenschaft bewachen und dabei beobachten soll, wird für ihn schnell zu einem Wesen mit großer Anziehungskraft.
Ihre hilflosen Versuche, aus dem Gefängnis zu entkommen, stehen dabei in starkem Kontrast zu der erschreckenden Gleichgültigkeit und Passivität, mit der Immanuel Hoppe sich durch äußere Zwänge lenken und sein Leben von fremden Menschen bestimmen lässt. Unglücklich bis zum Überdruss, ist er aber trotzdem nicht bereit, irgend etwas zu unternehmen, um wieder selbst zu bestimmen – und steckt doch voll verzweifelter Sehnsucht. Der zauberhaften „Craqué“ hätte er am liebsten die Sterne gezeigt und sie gerne mit an den Strand genommen, doch auch das bleibt lange nur ein kaum zu Ende gedachter Traum.
Zugleich fasziniert ihn aber auch die unkonventionelle Bäckereiverkäuferin Frieda, die ihm Tag für Tag nach seiner trostlosen Nachtschicht entgegenstrahlt und ihm auch dann eine gut gefüllte Brötchentüte mit auf den Weg gibt, wenn er nicht genügend Geld dabei hat.
Eine gestiefelte und fortwährend revolutionäre Gedanken verbreitende, frei herumstreichende Katze, erweitert das kuriose Personal rund um die in Aquarien untergebrachten „Versuchstierchen“. Die beiden Seefahrer haben inzwischen tatsächlich Zeit und Raum völlig vergessen und stochern in pinteresker Absurdität nur noch emotionsfrei durch den unsichtbar wabernden Nebel.
Immanuel Hoppe, der immer mehr erkennt, dass er weder sein Informatikstudium fortsetzen, noch seine Freundin heiraten und Kinder kriegen will, ist eigentlich ein genauso hoffnungsloses Versuchskaninchen in dieser verwirrenden verhaltenswissenschaftlichen Experimentierküche.
Wie die beiden Seefahrer im sie komplett einhüllenden Nebel, gleitet auch er durch ein Leben, das eigentlich nichts mit ihm zu tun hat, aus dem er sich aber genauso wenig befreien kann, wie die beiden in einem Aquarium eingesperrten Cordhosenträger auf ihrer sinnlosen Sinnsuche oder die Krake, die wenigstens von der revolutionären gestiefelten Katze Spanisch-Unterricht erhält.
In einer faszinierenden Mischung aus überbordender Spielfreude und philosophischen Höhenflügen, ausgelassener Heiterkeit und der ernsthaften Auseinandersetzung mit existenzialistischen Fragen, können die Ensemblemitglieder mit ihrem unter der Leitung von Babette Ulmer gemeinsam erarbeiteten Stück gut unterhalten, mehr Fragen stellen als beantworten, vor allem aber neugierig machen auf die Welt des Theaters, der auch sie alle verfallen sind.
Angefangen hatte alles 2005 in der Theater-AG des Esslinger Georgii-Gymnasiums, im darauffolgenden Jahr ging es im Esslinger Jugendhaus Komma weiter mit der Arbeit in einer freien Theatergruppe.
Seit August 2008 ist „Stage Divers(e)“, das „Forum für JugendTheaterKultur“, ein eingetragener Verein. Ziel der Mitglieder ist es, Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass Jugendliche nicht nur ihre Kreativität erkennen und ausleben können, sondern zugleich auch in verschiedenen Projekten in ihrer künstlerischen Arbeit gefördert werden. Was dabei herauskommen kann, war in der Bastion hautnah zu spüren und der lange Applaus für eine überzeugende Ensemble-Leistung auf und hinter der Bühne mehr als verdient.