Lesezeit (6): Die Mitarbeiterinnen des Mobilen Bücherdienstes versorgen ältere Menschen mit Lesestoff
Abwechslung in einem oft tristen Alltag

Viele ältere Menschen würden sich gerne regelmäßig in der Stadtbücherei mit neuem Lesestoff eindecken. Doch aus gesundheitlichen Gründen können sie das Haus nicht mehr verlassen. Diesen „Leseratten“ helfen die Mitarbeiterinnen des Mobilen Bücherdienstes.

Kirchheim. Hannelore Rot (Name von der Redaktion geändert) war schon immer eine „Vielleserin“. Früher war sie täglich mindestens eine Stunde lang in ihre Bücher versunken. Doch irgendwann machten ihre Augen nicht mehr mit, das Lesen wurde für die heute 87-jährige Kirchheimerin immer beschwerlicher. Über eine Bekannte erfuhr Hannelore Rot vom Mobilen Bücherdienst des Kirchheimer Bürgerbüros, bei dem Ehrenamtliche ältere Menschen besuchen, die das Haus nicht mehr verlassen können, und sie mit Büchern, Hörbüchern oder Musik-CDs der Stadtbücherei versorgen. „Ich dachte mir gleich: Das ist was für mich“, erinnert sich Hannelore Rot, für die Hörbücher zwar nicht denselben Stellenwert haben wie klassische Bücher. „Aber sie sind besser als nichts. Und ich bin sehr froh darüber, dass Frau Sauer mir immer wieder neue Hörbücher vorbei bringt“, betont die 87-Jährige, die seit mittlerweile elf Jahren ein Mal im Monat Besuch von Toni Sauer erhält.

Der Leiterin des Mobilen Bücherdienstes ist es ein besonderes Anliegen, dass sie und ihre Mitarbeiterinnen den Menschen nicht nur die Bücher überreichen und dann gleich wieder das Weite suchen. „Wir bleiben sitzen und unterhalten uns. Das gehört dazu und muss sein“, unter­streicht die 72-Jährige. Denn viele seien einsam und sehnten sich nach einem Gespräch. „Es tut den Leuten gut, wenn auch mal jemand von außen kommt - und nicht immer nur die Angehörigen“, weiß auch Ike Köster, die zu den sieben Mitarbeiterinnen des Mobilen Bücherdienstes zählt und ihm seit seiner Gründung vor 17 Jahren angehört. „Nicht lesen zu können, wenn man leseverrückt ist - das stelle ich mir als Albtraum vor. Deshalb habe ich damals gesagt: Ich möchte mich auf jeden Fall beim Mobilen Bücherdienst einbringen“, erzählt Ike Köster. Die 62-Jährige ist begeistert von der Idee, den älteren Menschen Sinn und Beschäftigung in einem oft tristen Alltag zu geben. „Sie sind sehr dankbar. Wir merken, dass wir ihnen eine Freude machen und ihnen jedes Mal zu einem schönen Nachmittag verhelfen“, fügt Toni Sauer hinzu.

Derweil machen es sich Hannelore Rot und Toni Sauer am Esstisch der 87-Jährigen gemütlich, die für ihren Besuch Tee und Brezeln kredenzt. „Dann wollen wir doch mal schauen, was Frau Sauer mir heute mitgebracht hat“, sagt Hannelore Rot erwartungsvoll, während sie Frank Schätzings Hörbuch „Nachrichten aus einem unbekannten Universum“ entgegennimmt. „Ich denke, des g‘fällt Ihne“, antwortet Toni Sauer.

An diesem Montag hat Hannelore Rot bereits den Krimi „Verräter wie wir“ von John le Carré gehört. „Aber das ist mir vom Stil her zu modern. Ich mag am liebsten eine klare, schöne Sprache.“ So hat es der 87-Jährigen zum Beispiel „Der Zauberberg“ von Thomas Mann angetan: „Die alten Kerle, die konnten halt schreiben - ausgefeilt und nicht so verlottert und umgangssprachlich wie manche Schriftsteller heutzutage.“

Hannelore Rot ist dennoch keinesweg abgeneigt von aktueller Literatur, die aufgeschlossene und fröhliche 87-Jährige testet alle Hörbücher, die sie von Toni Sauer erhält - ganz egal, ob es sich um einen Krimi, einen Roman, ein Sachbuch oder eine Biografie handelt. „Eigentlich könnte ich ihr alle acht Tage neue Hörbücher vorbeibringen, aber so viel Auswahl hat die Stadtbücherei leider nicht“, sagt Toni Sauer schmunzelnd.

Mit Hannelore Rot sei der Umgang von Anfang an völlig problemlos verlaufen, betont die Leiterin des Mobilen Bücherdienstes, die früher als Buchhändlerin gearbeitet hat. „Mit manchen anderen älteren Menschen ist es hingegen manchmal nicht ganz einfach, weil sie depressiv sind oder weil man merkt, wie sie abbauen“, erzählt Ike Köster. Einige stünden dem Mobilen Bücherdienst aber auch von Vornherein misstrauisch gegenüber. „Viele sind es einfach nicht gewohnt, Hilfe einzufordern“, weiß Toni Sauer, die gleichzeitig um mehr Vertrauen wirbt. Die Leiterin des Mobilen Bücherdienstes fügt außerdem hinzu, dass das Angebot kostenlos ist und dass man nicht an die Ausleihfristen der Stadtbücherei gebunden ist. „Man kann sich bei uns bestimmte Bücher wünschen oder wir bringen einfach eine kleine Auswahl mit“, erklären Toni Sauer und Ike Köster

unisono.

Das beste Beispiel dafür, dass man keine Angst vor den Mitarbeiterinnen des Mobilen Bücherdienstes zu haben braucht, ist Hannelore Rot: „Ich hatte da noch nie Bedenken. Und Frau Sauer habe ich schon mein ganzes Leben erzählt. Sie hört mir zu und ist sehr geduldig.“

 

INFO

Wer Interesse am Angebot des Mobilen Bücherdienstes hat oder selbst mithelfen möchte, kann sich unter der Telefonnummer 0 70 21/4 77 46 mit den Mitarbeitern des Bürgerbüros in Verbindung setzen.