Hallo Sandro, Sie übernehmen ab sofort die U19 des SV Wehen-Wiesbaden. Wie kam es dazu?
Da ich jetzt zwei Jahre lang in Hessen tätig war und schon einige Male gegen den SV Wehen-Wiesbaden gespielt hatte, kam ganz klassisch das eine zum anderen. Als der dortige Leiter des Nachwuchsleistungszentrums, Armin Alexander, mitbekommen hatte, dass ich die Eintracht verlasse, hat er mich gefragt, ob ich mir die Tätigkeit bei der U19 vorstellen könnte - auch wenn sie derzeit „nur“ in der Hessenliga spielen. Das Ziel ist jedoch ganz klar der Bundesliga-Aufstieg. Für mich war es nicht selbstverständlich, in der Corona-Zeit etwas Neues zu finden, deshalb weiß ich das sehr zu schätzen.
Sie hatten auch noch einige andere Angebote vorliegen. Was war ausschlaggebend für die Entscheidung?
Mir geht’s nicht nur einzig und allein um die Liga, mir ist vielmehr das Projekt wichtig, das dahinter steckt. Die Verantwortlichen bei Wehen-Wiesbaden haben mir das Gefühl gegeben, mich wirklich verpflichten zu wollen und waren bei jeder noch so kleinsten Kleinigkeiten unfassbar zuverlässig. Das Gesamtpaket war für mich deshalb total überzeugend und ich bin guter Dinge, dass ich dort wachsen und etwas aufbauen kann. Ich hatte zwar auch ein Angebot aus der Junioren-Bundesliga sowie zwei Anfragen aus der Schweiz, aber da wurde es zu keinem Zeitpunkt so richtig konkret.
Sie waren zuvor zwei Jahre bei der Frankfurter Eintracht und dort mit der U17 die erfolgreichste Saison der Vereinsgeschichte gespielt. Warum wurde der Vertrag nicht verlängert?
Marco Pezzaiuoli, der damalige Technische Direktor, hatte mich vor zwei Jahren nach Frankfurt geholt. Als er dann Anfang des Jahres nach Indien wechselte und zugleich der Abgang von Sportvorstand Fredi Bobic nach Berlin feststand, ist innerhalb kürzester Zeit das ganze Konstrukt auf den Kopf gestellt worden. Mir war klar, dass dies auch für mich Konsequenzen haben könnte. Hinzu kam dann noch die Tatsache, dass meine Philosophie, wie ich Fußball spielen lasse, nicht deckungsgleich mit der Neu-Ausrichtung des NLZ ist. Erst im Februar hatte ich noch ein Gespräch mit den Verantwortlichen um Fredi Bobic und es sah alles danach aus, dass mein Vertrag um zwei oder gar drei Jahre verlängert wird. Aber da sieht man, wie schnell es im Fußball manchmal gehen kann. Nichtsdestotrotz ist das mittlerweile abgehakt, da gab es auch keinerlei böses Blut. Ganz im Gegenteil, ich bin der Eintracht und den Personen, die mich in dieser Zeit unterstützt haben, sehr dankbar. Allen voran Marco Pezzaiuoli, der mich sogar zu sich nach Indien lotsen wollte. Aber das hat zum jetzigen Zeitpunkt nicht ganz in meine Lebensplanung gepasst.
Als Co-Trainer waren Sie bereits auch schon beim VfR Aalen in der 3. Liga aktiv, das Profigeschäft kannten Sie also auch schon vorher. Inwiefern unterscheidet sich der Alltag bei einem internationalen Klub wie Frankfurt von dem in Aalen?
Ohne das abwertend gegenüber dem VfR zu meinen, aber da liegen wirklich Welten dazwischen. Zum einen steht man aufgrund der enormen Strahlkraft in Frankfurt viel mehr im Fokus, vor allem auch aufgrund der Größe der Stadt und der unfassbaren Fangemeinschaft. Zum anderen hast du dort natürlich deutlich mehr Menpower. In Frankfurt wird jeder noch so kleinste Bereich im Verein von einem Fachmann abgedeckt. In Aalen hingegen musste man doch auch mal die ein oder andere Aufgabe übernehmen, die eigentlich nicht ins persönliche Gebiet fällt.
In Ihrer Zeit bei der Eintracht hatten Sie phasenweise gependelt, weil Ihre Frau weiterhin in Kirchheim gewohnt hat. Wie sieht nun der Plan aus für Wehen-Wiesbaden aus?
Das bleibt auch vorerst so. Ich werde in Wiesbaden eine Zweitwohnung nehmen und dann je nach Trainingsalltag zumindest einmal pro Woche nach Hause fahren. Für mich ist das auch sehr wichtig, weil ich nur bei meiner Familie komplett abschalten kann. Ich weiß es auch extrem zu schätzen, eine Frau zu haben, die das Ganze nicht nur mitmacht, sondern mich dabei auch total unterstützt.
Die vergangenen Monate waren aufgrund des Lockdowns für jeden Fußballer ziemlich schwierig. Wie lief das in der U17 ab?
Der Lockdown ohne Liga- und Pokalspiele war zweifellos hart. Aber ich muss auch sagen - und das meine ich völlig wertungsfrei -, dass die Strukturen und Hierarchien innerhalb des Fußball nunmal sehr unterschiedlich sind, wovon wir bei der Eintracht enorm profitiert haben. Wir hatten als NLZ beispielsweise das Privileg, ständig getestet zu werden, was einen geregelten Trainingsbetrieb und auch Freundschaftsspiele schnell wieder möglich gemacht hat. Im Amateurbereich war das über Monate hinweg nicht möglich.
Und wie erging es dem Menschen Sandro Stuppia in dieser Zeit?
Ich bin davon überzeugt, dass Corona dazu geführt hat, dass wir uns alle vor Augen gehalten haben, wo wir herkommen und dass nichts im Leben selbstverständlich ist. Das Wichtigste ist doch, dass man morgens aufsteht, gesund ist und ebenso eine gesunde Familie hat. Und wenn die Pandemie etwas Gutes mit sich gebracht hat, dann sicherlich die Demut, die jeder für sich neu entdeckt hat. Denn schlimme Dinge und traurige Schicksale wird es immer geben, mit oder ohne Corona. Bloß sind wir uns dessen wieder bewusster geworden und wissen vermeintlich selbstverständliche Dinge wieder mehr zu schätzen. Für mich war der Lockdown aber auch wie eine „geschenkte“ Elternzeit, da ich viel mehr Zeit mit meiner Familie und meiner Tochter verbringen durfte, als es sonst der Fall gewesen wäre. Das habe ich dann schon sehr genossen.
Sie haben sowohl als Spieler als auch zu Beginn Ihrer Trainertätigkeit viele Jahre beim VfL Kirchheim verbracht und sogar in unmittelbarer Nähe zum Stadion gewohnt. Was geht in Ihnen vor, wenn Sie heute noch ab und zu an der Jesinger Allee vorbeifahren?
Der VfL hat mich über Jahre hinweg stark geprägt, die Jahre in Kirchheim waren eine superschöne Zeit mit vielen tollen Erlebnissen. Leider haben mich drei schwere Knieverletzungen sportlich aus der Bahn geworfen und ich musste meine Laufbahn als Spieler früh beenden. Aber umso dankbarer bin ich dem Verein, dass ich damals meine ersten Schritte als Trainer an der Jesinger Allee gehen durfte. Immer wenn ich am Stadion vorbeijogge, schwelge ich ganz automatisch in Erinnerungen und denke an besondere Spiele zurück.
Zum Beispiel?
Oft denke ich an das U17-Aufstiegsspiel gegen Ravensburg vor 600 Zuschauern im Stadion. Da habe ich als Linksverteidiger in der dritten Minute die Führung erzielt, die zugleich der Türoffner für den Sieg und den Oberligaaufstieg war. Ich kann mich noch sehr gut an die Emotionen auf dem Platz erinnern, das war der Wahnsinn. Aber auch generell: Wenn ich damals die erste Mannschaft beim Training beobachten konnte, war es für mich das Größte. Das waren zu dieser Zeit „meine“ ganz persönlichen Profis und Vorbilder. Viele können es heute leider gar nicht mehr nachvollziehen, was es heißt, diese VfL-DNA in sich zu haben. Ich weiß nicht, wo meine Reise noch hinführt, aber ich würde mir wünschen, dem VfL eines Tages vielleicht etwas zurückgeben zu können.
Unabhängig davon: Was sind Ihre persönlichen Ziele für die nächsten Jahre?
Als nächsten Schritt würde ich gerne die reformierte Fußball-Lehrer-Ausbildung abschließen. Das lag jetzt wegen Corona leider lange auf Eis. Ansonsten will ich mit meinem Team natürlich kurz- oder mittelfristig in die Junioren-Bundesliga aufsteigen. Alles andere lässt sich sowieso nicht vorhersagen, dafür ist das Fußballgeschäft viel zu schnelllebig. Ach ja, aus privater Sicht wäre natürlich auch ein zweites Kind noch ein großer Wunsch, mal schauen . . .