Auf Initiative des Kirchheimer Verschönerungsvereins wurde eine Grabplatte aus dem 15. Jahrhundert wieder in die Nähe ihres Fundorts versetzt
Als Kleindenkmal kehrt Kaplan Albert auf das Klosterareal zurück

Mit einer kleinen Feierstunde wurde gestern die „Heimholung“ eines Kirchheimer Klosterkaplans begangen. Natürlich ging es nicht um den Kaplan selbst, sondern um seine Grabplatte. Und außerdem hat die Platte auch nie die Kirchheimer Gemarkung verlassen. Aber immerhin ist sie jetzt vom Waldfriedhof auf das einstige Klosterareal zurückgekehrt.

Andreas Volz

Kirchheim. Zum Beginn der Veranstaltung am Finanzamt hat Kirchheims Stadtarchivar Dr. Roland Deigendesch ausdrücklich dem Verschönerungsverein Kirchheim gedankt, der nicht nur den Anstoß für die Rückführung der Grabplatte gegeben, sondern auch die Mittel dafür zur Verfügung gestellt hatte. Im Namen des Verschönerungsvereins sagte der stellvertretende Vorsitzende Dr. Christoph Miller, dass das Klosterareal durch dieses „bedeutende Kulturdenkmal“ bei künftigen Stadtführungen eine Aufwertung erfahre. Auf dem Waldfriedhof sei die Grabplatte kaum öffentlich wahrgenommen worden. Dafür habe sie nun am Finanzamt einen „würdigen Ort“ gefunden. Der Kaplan des einstigen Dominikanerinnenklosters, an den die Grabplatte erinnert, sei durch die neuerliche Umsetzung des Steins „heimgeholt“ worden.

Steinmetz Volker Hahnel aus Owen, der die Umsetzung des zwei Tonnen schweren Steins handwerklich betreut hat, zeigte sich erleichtert, dass die Arbeit trotz aller Risiken gelungen ist, ohne der Grabplatte weitere Beschädigungen zuzufügen. Er wollte aber den langjährigen Standort am Waldfriedhof doch auch lobend erwähnen: „Für den Stein war er nicht schädlich.“ Oben am Waldfriedhof war die Grabplatte nämlich an der Nordseite der Aussegnungshalle untergebracht. Am jetzigen Standort dagegen ist sie der Morgensonne ausgesetzt, was den Stein möglicherweise austrocknen lasse.

Über die historischen Details zu diesem Kleindenkmal soll eine Tafel informieren. Stadtarchivar Deigendesch zufolge wird diese Tafel noch im laufenden Jahr als Ergänzung zur Grabplatte angebracht.

Vorab erläuterte gestern der Historiker Dr. Rolf Götz schon einmal, was es mit dem Stein und mit dem Klosterkaplan auf sich hat: Ende Februar 1980 war die Grabplatte bei Kanalarbeiten an der Kirchheimer Alleenstraße in 2,80 Meter Tiefe gefunden worden. Dem Polier Emil Schwarz aus Bissingen sei es zu verdanken gewesen, dass sie nicht einfach stillschweigend entsorgt wurde.

Zunächst einmal wurde das Kleindenkmal am städtischen Bauhof zwischengelagert. Dabei war es Wind und Wetter ausgesetzt, sodass die Inschrift heute wahrscheinlich gar nicht mehr zu lesen wäre, wenn nicht vier Jahre nach dem Fund der Standort Waldfriedhof gefunden worden wäre. Die 28 Jahre auf dem Waldfriedhof sind auf die Initiative von Museumsleiter Rainer Laskowski zurückzuführen sowie auf den Verschönerungsverein und dessen damaligen Vorsitzenden Hans-Jürgen Lamprecht, der zugleich auch Leiter des Kirchheimer Grünflächenamts war.

Nur ein halbes Jahr nach dem Fund der Grabplatte konnte Rolf Götz den Stein bereits im August 1980 auf dem Bauhofgelände inspizieren. „Mich hat damals die detektivische Arbeit gelockt“, sagte er gestern, als er seine Zuhörer an den Ergebnissen dieser historischen Arbeit teilhaben ließ.

Wo genau die Platte ursprünglich einmal untergebracht war, lässt sich heute nicht mehr sagen. Denkbar sind sowohl der Kreuzgang als auch die Klosterkirche. Definitiv aber war es eine Bodenplatte, denn die Beschriftung ist so angebracht, dass sie von innen gelesen werden muss. Der Betrachter sollte also eigentlich direkt auf der Grabplatte stehen und sich lesend im Kreis drehen.

Was sich heute noch von den spätgotischen Minuskeln aus dem 15. Jahrhundert entziffern lässt, das ist zunächst folgende Jahreszahl: „MCCCC[L]XXIIII“. Das „L“ ist in einer Lücke zu ergänzen, dann ergibt sich daraus die Zahl 1474. Was sich nicht mehr lesen lässt, das sind ein „anno domini“ („im Jahr des Herrn“) vor der Jahreszahl sowie der Sterbetag nach der Jahreszahl. Die beiden oberen Ecken waren 1980 von der Baggerschaufel beschädigt worden. Was noch übrig ist, das ist das „t“, mit dem das Wort „obiit“ endet – lateinisch für „starb“.

Es folgt der Name „albertus“. Der Nachname wiederum ist nicht mehr zu lesen, von den letzten drei Buchstaben („wig“) abgesehen. Danach aber folgt eine exakte und gut les-
bare Stellenbeschreibung: „cappellanus altaris sancti iohannis ewangeliste“. Albert oder Albrecht Bin[t]z­­wang, der aus Bünz­wangen bei Ebersbach stammte, war also Kaplan am Altar des Evangelisten Johannes in der Klosterkirche.

Letzteres bezeugen einerseits das Kreuz und der Kelch auf der Grabplatte. Andererseits bestätigt sich das auch aus Urkunden, auf die Rolf Götz gestoßen ist. Genau dieser Kaplan Albert Binzwang ist zwei Mal ur­kundlich erwähnt: 1432 und 1470. Sieben Klosterkapläne für sieben Altäre habe es in Kirchheim gegeben, sagte Rolf Götz gestern. Sie hatten an ihren Altären den Messdienst zu versehen und lebten von den Pfründen, mit denen die Altäre von deren Stiftern ausgestattet worden waren. Der Altar des heiligen Johannes des Evangelisten im Kirchheimer Dominikanerinnenkloster sei vor 1365 gestiftet worden.

Vom Kloster selbst ist nichts mehr erhalten. Sechzig Jahre nach dem Tod Albert Binzwangs führte Herzog Ulrich 1534 die Reformation in Württemberg ein. Die Nonnen durften zwar in Kirchheim bleiben, aber keine Novizinnen mehr aufnehmen: Sie sollten also „langsam wegsterben“. Vier Jahre später, 1539, waren die Klostergebäude bereits im Weg, als Kirchheim zur Landesfeste ausgebaut wurde. Im Zuge dieser Arbeiten wurde auch der Klosterfriedhof durch einen Erdenberg zugeschüttet. Grabplatten hätten ebenfalls als Material zur Aufschüttung gedient.

Bereits 1818 seien auf dem Areal etliche Grabsteine gefunden worden, als ein Spargelfeld angelegt wurde. Von diesen Grabplatten ist aber nichts mehr übrig, ebenso wie von den Knochenfunden. Auch die Skelette, die 1980 ausgegraben wurden, sind nicht mehr zuzuordnen. Zum einen waren sie ja schon seit 1539 in Unordnung, und zum anderen ging es den Knochen und Schädeln vor gut 30 Jahren ähnlich wie der Grabplatte Albert Binzwangs: Sie kamen auf den Waldfriedhof und wurden dort ohne große Zeremonie bestattet. Sollten sich darunter auch die Knochen des Klosterkaplans befunden haben, dann wären sie heute weiter denn je von dessen Grabplatte entfernt.