Spannende Kandidatenvorstellung zur Bürgermeisterwahl in Neidlingen
Amtsinhaber gegen Ratsmitglied

Wie viele Besucher wohl zur Vorstellung der Neidlinger Bürgermeisterkandidaten kommen würden? Das konnte vorab keiner so richtig einschätzen. Dann strömten rund 350 Zuhörer in die Reußensteinhalle, unter ihnen viele Auswärtige. Nur einer der drei Kandidaten kam nicht – wie erwartet.

Neidlingen. „Ist Herr König im Saal?“ Die Frage des stellvertretenden Bürgermeisters Uli Hepperle der Wählervereinigung unabhängige Bürger (WUB) blieb ohne Antwort. Alles andere hätte auch verwundert: Kandidiert Michael König, Architekt aus Harsefeld, doch für die Partei „Nein!-Idee“ und das zugleich an mehreren Orten. Bürgermeister will er gar nicht werden, nur bisherigen Nichtwählern eine Alternative geben.

Die gibt es ohnehin. Denn Gemeinderat Klaus Däschler fordert Rolf Kammerlander, Bürgermeister seit 16 Jahren, heraus. Däschler ist seit 1980 bei der Polizei, arbeitete als Kriminalhauptkommissar und nun seit vier Jahren als Referent bei der Justiz. Er erzählte ganz offen, wie es zur Bewerbung kam: Er habe nicht schon immer Bürgermeister werden wollen. Doch vor einem halben Jahr sprachen ihn Neidlinger auf eine Kandidatur an. „Ich bin immer wieder gefragt worden, vor allem von älteren Bürgern, vor denen ich Respekt habe.“ Zuerst musste Däschler den Saal verlassen, denn Kammerlander war mit seiner Vorstellung und Fragerunde dran. Später musste Kammerlander raus, erst bei der Schlussrunde standen beide gemeinsam auf der Bühne.

Kammerlander stellte fest, „dass mit der Wahlentscheidung viele Emotionen verbunden sind“. Er habe viel Unterstützung bekommen, sei aber auch auf offener Straße als „Lügner“ beschimpft worden. „Was habe ich diesem Mann getan, das diesen Hass rechtfertigen könnte?“ Er habe sich unter diesen Umständen überlegt, ob er noch einmal kandidieren wolle. Und entschieden. „Wer mich kennt, weiß, dass ich nicht davonlaufe. Ich stelle mich der Wahl.“

In 16 Jahren als Bürgermeister seien ihm auch Fehler unterlaufen, räumte Kammerlander ein. Er sprach auch an, was später in der Diskussion als Vorwurf kam: der Mitarbeiterwechsel im Rathaus. Damit ging viel Erfahrung verloren. „Meine drei jungen, motivierten Mitarbeiterinnen mussten sich gleich nach ihrer Ausbildung in vielen neuen Aufgaben zurechtfinden.“ Beim Bauhof fielen von drei Mitarbeitern zwei aus, auch dadurch blieb manches liegen.

Kammerlander nannte vieles, was in den 16 Jahren erreicht wurde, von der Wasserversorgung bis zum Kindergarten, von der Renaturierung von Bachläufen bis zur Breitbandversorgung. Das alles, obwohl beim Amtsantritt die Gemeindekasse leer gewesen sei. „Mehr als neun Millionen Euro wurden investiert, dabei 4,4 Millionen an Zuschüssen und privaten Investitionshilfen vereinnahmt. Ich weiß, dass ich geradlinig und nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt und mich mit ganzer Kraft für Neidlingen eingesetzt habe.“

Dass sich Däschler ebenfalls bestens in Neidlingen auskennt, ist eindeutig. Der 52-Jährige gebürtige Kirchheimer hat 1987 in Neidlingen ein altes Bauernhaus gekauft. Er hat drei erwachsene Kinder. Seine Frau Petra arbeitet in der Hausaufgabenbetreuung der Grundschule und im Kindergarten. Ja, er habe kein Verwaltungsrecht studiert, sagt Däschler. Er sei sicherlich in der ersten Zeit auf fremde Hilfe angewiesen. Ein studierter Hauptamtsleiter habe ihm kostenlose Unterstützung zugesagt. Außerdem sei er seit fast zehn Jahren Gemeinderat.

Seine Säulen seien „Ehrlichkeit, Vertrauen und Respekt“, sagte Däschler. „Ich hasse nichts mehr, als wenn ich angelogen werde, und ich merke es auch.“ Däschler ging auch auf seine äußere Erscheinung ein. „Ich bin nicht grobschlächtig.“ Die Zuhörer erlebten ihn auch nicht so: Vor ihnen stand ein sensibler Mann, der nichts versprechen wollte, was er nicht halten kann. „Ich will auf keinen Fall behaupten, dass ich es besser kann, aber ich will es anders machen.“

Für Däschler ist es wichtig, junge Leute am Ort zu halten, auch zur Belebung von Kindergarten und Schule. Däschler will den Bauwagen als Treffpunkt für Jugendliche erhalten – was Kammerlander hinter den Kulissen ebenfalls versucht hat. Däschler plädierte für sparsame Lösungen, für den Schulhof reiche eine Teerdecke ohne neuen Unterbau. „Wir können bei den Straßen nicht die Optimallösung anstreben und dann wegen fehlender Finanzen nichts tun.“ Was geschieht nach dem Erwerb und Abbruch der Seldnerhäuser? Dafür müsse ein Konzept her, genauso für das nicht mehr bewohnbare Haus im Wasserschloßweg.

Vergleicht man die Listen der Zukunftsaufgaben, stimmen beide Kandidaten in vielem überein: Straßennetz reparieren, ärztliche Versorgung verbessern, einen Gemeinschaftsschuppen bauen.

Doch wo liegen die Prioritäten? „Sie sind bestimmt durch das, was uns gesetzlich auferlegt ist“, entgegnete Kammerlander. Daher sei der Brandschutz eilig. „Auch der Zustand der Straßen wird uns ganz am Anfang beschäftigen.“ Beim Thema Mobilfunk gab es widersprüchliche Interessen: Viele fürchten neue Masten, ein anderer Zuhörer forderte eine bessere Netzabdeckung. Teils gingen Wünsche so ins Detail, dass die dreistündige Kandidatenvorstellung fast zur Bürgerversammlung wurde. Der Personalwechsel im Rathaus wurde diskutiert. Eine Mitarbeiterin habe ein Baby bekommen. „Wenn ein junger Gemeindeinspektor nach drei Jahren eine besser dotierte Stelle angeboten bekommt, ist es legitim, wenn er sie nimmt“, sagte Kammerlander.

Was da in der Reußensteinhalle aufeinandertraf, waren keine völlig unterschiedlichen politischen Konzepte. Dazu sind beide Kandidaten zu besonnen. Eher ging es um Stilfragen und persönliche Sympathien beziehungsweise Abneigungen. Dabei ist der tiefe Riss im Ort unübersehbar.