Weilheim. „Wo ist die Hölle heute?“, fragten Heide Mende-Kurz und Gerda Sautter in der Einladung zur geführten Limburg-Wanderung mit
anschließendem Sprachkonzert am Freitagnachmittag. Bei einer außergewöhnlich konzeptionierten Mischung aus Kirchenführung, Rezitationen und Musik in der Weilheimer Peterskirche wollte die schwäbische Landpartie Gegensätzlichkeiten und Bipolaritäten in Kultur und Natur heute und gestern ausloten.
Mit dem Peterskirchen-Fresko zum Jüngsten Gericht, von Thomas Schick dem Älteren im ausgehenden 15. Jahrhundert gemalt, und dem alten Vulkanschlot der Limburg, stand für die Macher das „Höllenschlund“-Sujet früh fest, erzählte Naturführerin Gerda Sautter. „Dem wollte ich etwas Positives entgegensetzen. Da hat sich mir die Idee vom ,Maienherz‘ aufgedrängt.“ Die Wanderung auf die Limburg nutzte Sautter entsprechend, um eine kleine, dem beständigen Nieselregen trotzende Gruppe, anhand blühender Maiwiesen in christliche Farbsymboliken einzuführen.
In der Peterskirche griff sie vor dem berühmten Rosenkranzfresko an der Nordwand diesen Faden wieder auf: jungfräuliches Weiß für Maria im äußeren Kranz, Rot für das Leiden des Gekreuzigten und Gold für göttliche Macht und die glorreiche Himmelfahrt in den inneren. In fünf „Geheimnisse“, Einzelszenen aus Jesus‘ Leben, sind die Kränze geteilt. Über die charakteristischen fünf Blütenblätter der Rosenfamilie spann Sautter so den Gedanken wieder zurück zur Natur.
Eindrücklich geriet im Anschluss Heide Mende-Kurz‘ Rezitation von Hans Sachs‘ Gedicht „Klag der wilden Holzleut über die ungetreuen Welt“: Raumgreifend und schwermütig schickte sie Sachs‘ resignativ-monotone Verse von der Orgelempore aus in den Kirchenraum. Das Publikum saß dabei nicht mit Blick zur Sprecherin, sondern zu besagtem Höllenschlund-Fresko. Dabei ergänzte und erweiterte Kantorin Gabriele Benders unaufdringlich präsente Registrierung an der viel gepriesenen Weilheimer Goll-Orgel die spätmittelalterlichen Zeilen mit nuanciert auf den Text abgestimmten Improvisationen.
„Als ich bei der Suche nach Literatur auf dieses Sachs-Gedicht gestoßen bin, war ich überrascht und fast ein bisschen erschrocken, wie aktuell diese Zeilen heute noch sind“, sagte Heide Mende-Kurz. „Wie findt man meßigkeit so selten/wie vil ist füllerei jezt gelten“, schrieb der Meistersinger 1530, „wie nimt überhant die finanz/wie spitzig ist der alefanz“ oder „wie ist die kunst so gar unwert/wie groß ist die torheit auf ert“. Alles Klagen, fand Mende-Kurz, die man im Kern heute jederzeit und überall genauso hören könne.
Während das Publikum durch die Weilheimer Kunstschätze geführt wurde, überzeugte das „Holzbläsersextett vom Neckar“ mit sonoren Interpretationen der strengen Polyphonie renaissancetypischer Schreittänze. Nachdem bei einem Luther-Text gemeinsames Lesen in der ungewohnten Sprechweise der Reformationszeit gefordert war, wagten die Ausführenden zum Abschluss einen gewaltigen Zeitsprung: Von François Villons „Ballade der Gehenkten“, zu Gottfried Benns „Nur zwei Dinge“ – aus der Mitte des 15. in die Mitte des 20. Jahrhunderts.
Unterbrochen von Ausschnitten aus Bachs „Kunst der Fuge“, deklamierte Heide Mende-Kurz die berühmten drei Strophen aus Benns Gedicht zweimal. Während der Veranstaltungstitel „Maienherz und Höllenschlund“ noch Zwischenräume, Nischen und einen fließenden Übergang erahnen lässt, haben sich bei Benn alle Sinnbezüge im Verhältnis zwischen Subjekt und Welt aufgelöst. Einzig die Pole „Leere“ und „das gezeichnete Ich“ bleiben.
Die Interpretation der Eingangsfrage überließen die Künstlerinnen, zu Bachs dorischer Toccata, am Ende dem Publikum.