Lenningen. Zwanzig Jahre Kunst im Schlössle! Altbürgermeister Gerhard Schneider sagte 1992 bei der Einweihung des restaurierten Gebäudes, dass das historische Haus ein Ort der Begegnung werden und dort das Interesse und das Verständnis für Kunst gefördert werden können. Daran erinnerte die Lenninger Bibliothekarin und Museumsleiterin Ev Dörsam bei der Eröffnung der Ausstellung mit Papierarbeiten von Gerhard Walter Feuchter. Die Konzeption mit Bücherei und Museum für Papier- und Buchkunst habe die Hoffnungen von Bürgermeister und Gemeinderat erfüllt.
Papier – Was präsentierten sich doch in zwei Jahrzehnten für zahlreiche Spielformen zwischen dem alten Schlossgebälk! Papier – der Stoff mit den vielen Möglichkeiten: gerissen, geschnitten, geschichtet, bemalt, gefaltet, verflochten, gewölbt. Und immer Papier Poesie pur. Die alte Kunst des Papierschöpfens war ein Handwerk von hohem Ansehen. Die Papierkunst macht es durch Hand-Werke aufs Neue sichtbar: Sie setzt die immer noch faszinierende Produktion in Szene.
Und jetzt kommt das gegossene Papier dazu. Der renommierte Tübinger Künstler Gerhard Walter Feuchter wählte mit sicherem Gespür Bilder, Grafiken und Objekte aus Papierguss, Erdfarben und Eisendrähten für die Schlössle-Bücherstuben aus. Er nennt seine Ausstellung „Zeichensetzen“. Die Arbeiten aus dem gegossenen Papierbrei bringen Form und Inhalt zusammen. Die elementaren Formen sind einfach, eindrucksvoll, einprägsam. Sie sind auch inspiriert durch Studienreisen nach Bolivien und Peru. Wieder erweist sich der Alltagsstoff Papier als ein vielseitiges Material, greifbar, fühlbar, ursprünglich ein Naturprodukt mit unterschiedlicher Stärke, Farbe und Oberflächenstruktur. „Ich konzentriere mich auf dieses Produkt, um eine neue Sicht dieses Materials zu gewinnen“, erläutert Gerhard Walter Feuchter. „Ich löse diesen Stoff aus seinem gewohnten Kontext, indem ich in diesen Papierguss archaische Zeichen setze.“
Im dunkelsten Dachbodenraum des Museums hat Feuchter seine Installation aufgebaut. Er gab ihr den Namen „Kafka!!!“. Der Künstler hat auf einer großen Tafel ein Patchwork mit Symbol-Bildern aus Kafkas Werken zusammengesetzt. Da macht das Papier in doppeltem Sinn Literatur erfahrbar und trotzt der digitalen Zeit – im Schloss mit mancherlei Verwandlung. Am Boden drücken schwere Steine handgeschöpfte Papierstücke. Auf denen sind nicht gelebte Lebenschancen notiert.
Professor Dr. Karl Schawelka, der an der Bauhaus-Universität Weimar das Fach Gestaltung lehrt, würdigte Feuchters Arbeiten. Zeichen seien älter als die Sprache: eindeutig, auffallend, magisch, kommunikativ. Die alten Petroglyphen – Felsbilder aus prähistorischer Zeit – seien eine Einladung, sie zu entschlüsseln als Wegbereiter der Sprache: „Es geht dem Künstler um den formalen bildnerischen Reiz des Zeichens, das für sich selbst steht und sich abhebt von seiner Umgebung. Es ist eine Form mit eigener Präsenz. So wird der Betrachter von diesen Formen unmittelbar angeregt und von den Zeichen geht eine Tiefenwirkung aus“. Die Gestaltung der Papierarbeiten zur „Kafka!!!“ – Installation nannte er unverkennbar originär und persönlich geprägt: „Die magisch anziehenden Erzählungen des Prager Juden, Schriftstellers und Juristen haben den bildenden Künstler Gerhard Walter Feuchter wohl immer wieder beunruhigt und beeindruckt und zur Übertragung angeregt.“ Die pedantisch exakten Kafka-Fantasien hätten insbesondere die Nachkriegsgeneration irritiert, fasziniert und tief beschäftigt.
Im Wechsel mit Ausstellungen regionaler Kunstschaffenden holen die Lenninger Museumsleiterin Ev Dörsam und der Förderkreis immer wieder renommierte Papierkünstler ins Schlössle. Das macht den Charme solcher Papierkunst-Ausstellungen: Damit ist man immer wieder der lokalen Geschichte auf der Spur und sorgt für deren museale Präsenz.
Die übersichtlich angeordnete Ausstellung „Zeichensetzen“ fügt sich ideal in die Gefache des alten Hauses. Sie kann zu den Öffnungszeiten der Gemeindebücherei bis zum 6. Oktober 2012 angesehen werden. Die Installation bleibt bis zur Finissage mit einer Kafka-Lesung am 7. März 2013 im Museum; geöffnet ist es samstags von 10 Uhr bis 12 Uhr und sonntags von 14 Uhr bis 17 Uhr.
Übrigens: Mit zwei Scherenschnitten lädt die Bücherei zu einer Märchenstunde am Mittwoch, 19. September, und zu einem literarischen Abend am Freitag, 21. September, ein. Eine Ausstellung mit solch grazilen Schattenbildern, der „Fotografie“ vergangener Jahrhunderte, wäre einmal ein reizvolles Kontrastprogramm zur modernen Papierkunst.