Mediziner: „Brüllend schlug er mit den Fäusten nach mir“
Arzt mit dem Tode bedroht

Den Nachmittag des 3. März letzten Jahres vergisst der leitende Oberarzt der psychiatrischen Abteilung des Nürtinger Krankenhauses nicht so schnell: Er wurde von dem 34-Jährigen tätlich angegriffen, der sich als „Prostituiertenschreck“ vor der Schwurgerichtskammer des Landgerichts wegen Totschlagversuchs und anderen Gewaltdelikten verantworten muss.

Neuffen/Stuttgart. Die Beweisaufnahme geht dem Ende zu. Die letzten Zeugen werden am Montag gehört. Am Mittwoch, 29. Mai, soll der zweite Sachverständige, der den 34-jährigen Mann aus Neuffen zum psychischen Geisteszustand begutachtet hat, dazu seine Ausführungen vor den Richtern darlegen. Dabei wird es in erster Linie darum gehen, ob der Neuffener ins Gefängnis oder in eine geschlossene psychiatrische Anstalt eingewiesen wird.

Der 52-jährige leitende Oberarzt der psychiatrischen Abteilung der Nürtinger Klinik schilderte am gestrigen vierten Prozesstag sein Schreckenserlebnis mit dem Angeklagten vom 3. März vergangenen Jahres: Der Mann sei gegen 15.20 Uhr alleine gekommen und habe stationäre Aufnahme in der psychosomatischen Abteilung gefordert. Der Zeuge betonte, dass der Angeklagte sich als psychisch krank bezeichnet hatte. „Ich habe mich ihm dann vorgestellt und mit ihm geredet“, sagt der Zeuge. Dann habe er ihm aber geraten, sich wegen seines Leidens doch anderswo ambulant behandeln zu lassen.

Dies sei dann wohl für den 34-Jährigen eine Art Signal gewesen, auszurasten: „Brüllend und schreiend schlug er mit den Fäusten nach mir“, schildert der Arzt die Begegnung, die ihn sehr überrascht habe. Dann sei der Angeklagte weiterhin laut schreiend zur Türe gerannt, in der allerdings ein Klinik-Mitarbeiter ihm den Weg nach draußen versperrte. Der Mann habe sich umgedreht und weiter mit den Fäusten gegen den Zeugen geschlagen. „Dabei setzte er auch seine Beine ein und traf mich am Arm, sodass ich nach hinten fiel und mich dabei am Knie schwer verletzte.“ Dann habe der Angeklagte erneut um stationäre Aufnahme in die Klinik gebeten, allerdings vorher noch angedroht, er werde den Arzt töten.

Allerdings habe es keinen Grund gegeben, ihn aufzunehmen, so der Zeuge. Danach sei er laut schimpfend gegangen, kam aber nach zehn Minuten zurück, um sich für den Vorfall zu entschuldigen. Auch das habe ihn überrascht. Auf die Frage der Richter, ob der Zeuge einschätzen könne, in welchem psychischen Ausnahmezustand der Angeklagte sich zu diesem Zeitpunkt befand, konnte der Psychi­ater nur mit den Schultern zucken. Er vermutet einen „aggressiven Durchbruch“, weil er sich wohl schlecht orientieren konnte. Er sieht allerdings die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten als nicht beeinträchtigt.

Was seine Verletzung angeht, sei die sehr ernsthaft gewesen: ein Kreuzbandriss innen und außen sowie ein recht schmerzhafter Meniskus-Schaden und Muskelprellungen. Der Zeuge befand sich zwei Wochen in stationärer Behandlung im Krankenhaus. Er habe heute noch Beschwerden und befindet sich in weiterer Behandlung. Die gegen ihn ausgesprochene Todesdrohung habe er allerdings nicht sonderlich ernst genommen. Der Grund des Ausrastens und des folgenschweren Angriffs sei vom Angeklagten genannt worden: „Ich hätte mich unärztlich verhalten“, sagt der Zeuge. So hatte es auch der Angeklagte in ersten Vernehmungen „zur Sache“ am ersten Verhandlungstag gesagt.

Am Montag wollen die Stuttgarter Richter Familienangehörige des Beschuldigten in den Zeugenstand rufen. Am Mittwoch soll der psychiatrische Sachverständige sein Gutachten vortragen. Die Latte der Vorwürfe, versuchter Totschlag, Bedrohung, Nötigung, gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr, Betrug, Körperverletzung, räuberische Erpressung und Sachbeschädigung, könnte alleine eine Höchststrafe von 15 Jahren begründen. Bei einer Einweisung in die Psychiatrie gibt es eine Freilassung erst, wenn Ärzte ihn für gesund erklären.