Kirchheim. Wer kennt sie nicht, die Geschichte der treuen Weiber von Weinsberg? Sie wurde in vielfältiger Weise literarisch gestaltet. Die zeitliche Spanne reicht vom 12. Jahrhundert, der Kölner Königschronik, bis hin zu Bertolt Brecht. Bei ihm zollt Eulenspiegel den „Klügeren“ unter den Weinsberger Weibern seinen Respekt: all denen, die nicht ihren Gatten, sondern „das schwerer zu ersetzende Bettzeug“ und die „wertvolleren goldenen Messgeräte“ auf ihren Schultern aus der Burg trugen.
Dass man die Burg Weibertreu, die 1525 im Bauernkrieg zerstört wurde, heute noch besichtigen kann, ist Justinus Kerner zu verdanken. 1823, vier Jahre nach seiner Ankunft in Weinsberg, wo er als Oberamtsarzt tätig war, rettete er die historische Burgruine durch die Gründung des Weinsberger Frauenvereins vor dem vollständigen Zerfall. Die Geschichte der Heimat war dem Romantiker Kerner wichtig; sie geht einher mit seiner Vorliebe für die Kunst des Mittelalters, das Wunderbare und Übersinnliche, aber auch das Dunkle und Makabre.
Das 1822 erbaute Kernerhaus war ein „Poetenhaus“, ein „Gasthaus“, dessen Tür allen offen stand, ein „Asyl für Unzählige, die dort Anregung, Trost oder Heilung suchten“. Justinus Kerner war Arzt, Dichter, Okkultist mit persönlicher Anziehungskraft, seine Frau „Rickele“ lebenstüchtig, und so wurde das Haus zum Treffpunkt der schwäbischen Romantiker und zu einer Begegnungsstätte berühmter Persönlichkeiten. Im ganzen 19. Jahrhundert gab es nichts Vergleichbares im ganzen südwestdeutschen Raum. Noch heute zeugen Namen wie Armin, Brentano, Freiligrath, Mörike, Schwab, Silcher, Tieck, Uhland, Vischer und ihre Inschriften auf der Königsmauer der Burg von der Gastfreundschaft der Kerners.
Die mutigeren der Gäste konnten im Alexanderhäuschen, das um 1600 das Totenhaus eines alten Friedhofs gewesen war, oder im Geisterturm, ehemals als Gefängnis genutzt, übernachten. Wenn zu viele Besucher kamen, verzichtete die Familie auf das eigene Bett, die Kinder wurden in Schubladen gelegt und die Gäste durften in deren Zimmer, dem „Sargzimmer“, schlafen. Inzwischen ist dieses Haus ein Museum, gefüllt mit der Kunstsammlung Kerners, persönlichen Gegenständen, Bildern, medizinischen Therapiegeräten wie dem „Nervenstimmer“ und Möbelstücken, darunter besondere, wie der von Kerner selbst gefertigte Schreibtisch oder der „Hafenstuhl“ im Wohnzimmer, der den Gang zur Toilette unnötig machte.
Zum Leben erweckt wird all dies durch den Kurator des Museums, den Historiker Dr. Bernd Liebig. Sein Einblick in Leben und Werk von Justinus Kerner, dem „Schreiner, Kaufmann und Konditor“, dem „Dichter aus Langeweile“, dem liebevollen Gatten mit Blick für die Schönheit anderer Frauen, dem Hundefreund, dem Gastgeber und Arzt aus Leidenschaft, der den Botulismus erforschte, dem Verfasser okkulter Schriften, dem „kunstbesessenen, eitlen, verfetteten, schwermütigen Romantiker voller Todessehnsucht“ ist allumfassend. Anekdoten, Biografisches, historische Daten und Fakten wechseln sich bei schnellem Sprechtempo ab, hinzu kommen politische Parallelen über die Jahrhunderte hinweg, ironische Analysen und Seitenhiebe, beispielsweise über die Intelligenz der Schwaben und deren resteverwertende Küche, das Ganze noch angereichert mit Rezitationen von Gedichten und persönlichen Reminiszenzen. Eine Frage, ein Stichwort aus dem Kreis der Zuhörer genügt, und schon „sprudelt“ Dr. Liebig über.
Nach der gemeinschaftlichen Museumsbesichtigung gab es am Nachmittag oberhalb der Königsmauer einen Einblick in die literarischen Zeugnisse der Ruine Weibertreu und einen Besuch der romanischen Johanneskirche und ihres gotischen Ostchors. Dieser ist allein schon wegen seiner sieben Fenster sehenswert, die Johannes Schreiter, ein international bedeutender zeitgenössischer Glaskünstler, gestaltet hat. Zudem gab es vielfältige andere Möglichkeiten: ein zweiter Gang in Muße durch das Justinus-Kerner-Museum, eine Besichtigung des Weibertreu-Museums, untergebracht im Rathaus der Stadt, ein individueller Bummel durch die Stadt oder auch ein Abstecher zum Weinsberger Friedhof, wo Justinus Kerner seit 1862 ruht. Die Grabplatte trägt die Inschrift: „Friederike Kerner und ihr Justinus“.is