Kirchheim. Am 18. Juli 2010 hatte ein Golf kurz nach 3 Uhr in Dettingen beim Einbiegen von der Mittleren in die Hintere Straße einen geparkten Mercedes SLK gestreift. Ohne sich weiter um den angerichteten Schaden zu kümmern, machte sich der Fahrer aus dem Staub, wobei er den Mercedes ein weiteres Mal touchierte. Der Sachschaden an beiden Fahrzeugen belief sich auf mehrere Tausend Euro. Etwa eine halbe Stunde nach dem Unfall kam der Golf zurück. Am Steuer saß die 49-Jährige aus Jesingen, die jetzt wegen Fahrerflucht angeklagt war.
Zur Begründung für das Entfernen vom Unfallort hieß es der Polizei gegenüber, man habe einen von drei jungen Männern, die ursprünglich im Auto saßen, in der Zwischenzeit nach Hause gefahren. Aber merkwürdigerweise war gerade derjenige daheim abgesetzt worden, auf dessen Vater der Golf zugelassen war. In der Gerichtsverhandlung schwiegen sich die drei jungen Männer aus.
Aber ein Zeuge berichtete davon, dass es sich beim Fahrer zum Unfallzeitpunkt „zu 95 Prozent“ um einen Mann gehandelt habe. Ein anderer Zeuge sagte: „Ich habe mich gewundert, dass das Fahrzeug zurückkam. Wenn man so wegfährt, kommt man nicht zurück. Dann hätte man ja gleich da bleiben können.“
Für den Vertreter der Staatsanwaltschaft hat die Verhandlung ergeben, „dass einer der jungen Herren gefahren ist“. Deshalb sei die Angeklagte vom Vorwurf des unerlaubten Entfernens vom Unfallort freizusprechen. Es erwarte sie aber ein Verfahren wegen Vortäuschens einer Straftat und wegen Beihilfe zum Versicherungsbetrug. Auf den Sohn des Fahrzeughalters warte auf jeden Fall ein Verfahren wegen Versicherungsbetrugs, weil er den Unfall der Versicherung gegenüber so geschildert hatte, wie er sich nicht zugetragen hat: mit der Jesingerin am Steuer.
Durch die falschen Angaben der Polizei gegenüber, was den Fahrer respektive die Fahrerin betrifft, hätten sich außerdem alle drei jungen Männer strafbar gemacht. Deshalb gebe es gegen alle drei jeweils ein Verfahren, sowie auch wegen Unfallflucht oder zumindest Beihilfe zur Unfallflucht.
Die Staatsanwaltschaft sieht es als wahrscheinlich an, dass der Sohn der 49-Jährigen zum Unfallzeitpunkt am Steuer saß. Weil er - wie seine beiden Begleiter - erhebliche Mengen Alkohol getrunken hatte und weil ihm zudem wegen Cannabis-Konsums der Führerschein entzogen worden war, sei die Mutter abgeholt und als Fahrerin vorgeschoben worden. Weil sie aber tatsächlich nicht gefahren war, als der Unfall passierte, sei sie nicht nur vom aktuellen Vorwurf freizusprechen. Sie könne vielmehr auch ihren Führerschein wieder erhalten, den sie vor vier Wochen hatte abgeben müssen. Eine Entschädigung dafür könne sie jedoch nicht bekommen, da sie den Führerscheinentzug selbst zu verantworten habe. Schließlich habe sie sich selbst bezichtigt, die Fahrerin gewesen zu sein.
Der Verteidiger plädierte ebenfalls auf Freispruch: „Um sie verurteilen zu können, müsste man nachweisen, dass sie gefahren ist. Das geht aber nicht.“ Zusätzlich zum Freispruch forderte er die Übernahme der Gerichtskosten durch die Staatskasse.
Dazu kam es im Urteil allerdings nicht. Trotz des Freispruchs verurteilte Richterin Franziska Hermle die 49-Jährige zur Übernahme der Verfahrenskosten und ihrer eigenen Auslagen. Den Freispruch selbst begründete die Richterin kurz und bündig: „Sie waren‘s nicht.“ Dass sich die Angeklagte selbst belastet habe, lasse aber darauf schließen, dass „höchstwahrscheinlich“ ihr eigener Sohn gefahren sei, ohne Führerschein und unter Alkoholeinfluss.
Bei allem Verständnis dafür, dass eine Mutter ihrem Sohn aus der Patsche helfen möchte, stelle sich die Frage, zu welchem Preis dies zu geschehen habe. Der Preis sei in diesem Fall, dass sich zwei andere junge Männer wahrscheinlich strafbar gemacht haben - „junge Kerls, Anfang 20, die sich nicht bewusst sind, in was sie sich da reingeritten haben“. Und dafür trage die 49-Jährige die Verantwortung. Sie müsse sich deshalb auch fragen, inwieweit sie durch ihr Handeln noch ein Vorbild für die jungen Männer sein könne.