Kirchheim/Bad Boll. Kaum jemand kennt sie, ihr Name taucht – wenn überhaupt – nur im Zusammenhang mit der Zahl ihrer Kinder auf: Emilie Blumhardt. Das soll nun anders werden. Damit ihre Urgroßmutter nicht
völlig in Vergessenheit gerät, griff Elisabeth Schönhuth in ihr Schatzkästlein und förderte Briefe, Geschichten und Bilder zutage. Auch die Verwandten bat sie um Hilfe bei der Spurensuche. Entstanden ist daraufhin aus ihrer Feder das Buch „Emilie Blumhardt im Schatten ihres Umfeldes“.
„Mir ging langsam der Hut hoch. Alle Autoren schreiben über den Pfarrer Blumhardt und erwähnen mit keinem Wort seine Frau“, sagt die zierliche Frau temperamentvoll. Elisabeth Schönhuth, 1927 in Cleebronn als zweites von sechs Kindern geboren, kennen viele Menschen in Kirchheim. Ihr Mann war Pfarrer in Jesingen und sie war ehrenamtlich stark engagiert. So war sie beispielsweise viele Jahre in der Sterbebegleitung tätig und bot Musiktherapie im Henriettenstift an.
Schon vor einigen Jahren fragten Mitglieder der internationalen Bruderhof-Gemeinschaft Elisabeth Schönhuth nach ihrer Urgroßmutter. „Sie wollten wissen, wer die Frau des bekannten und von ihnen bis heute verehrten Pfarrers und Politikers Christoph Friedrich Blumhardt aus Bad Boll war“, erzählt sie. Über Blumhardt soll auf Initiative der Bruderhöfer ein 15-bändiges Werk in englischer Sprache erscheinen. Für die Glaubensgemeinschaft, die nach eigenen Regeln ähnlich wie die Amischen lebt, stand fest, dass dazu auch Emilie Blumhardt gehört.
Die Idee musste allerdings erst reifen. Es dauerte seine Zeit, bis es auch für Elisabeth Schönhuth stimmig war, sich mit ihrer Familiengeschichte intensiv auseinanderzusetzen. „Ich wollte nicht nur eine Geschichte schreiben, sondern etwas von damals in die heutige Zeit hineinbringen“, sagt sie. So finden sich beispielsweise vier Brautbriefe in dem Buch.
Dank einer Studentenbekanntschaft ihrer Brüder kam Emilie Bräuninger als Haustochter nach Bad Boll zu Vater und Sohn Blumhardt. „Das war eine Ehrensache, wenn man in Boll angenommen wurde“, erzählt die Autorin. So lernte Emilie Vater und Sohn Blumhardt kennen. Der Sohn, Christoph Friedrich Blumhardt, hielt um die Hand der jungen Frau an und heiratete sie 1870.
Der Vater, Johann Christoph Blumhardt, wurde 1805 geboren. Im ganzen Land berühmt wurde der Pfarrer, als er Gottliebin Dittus heilte, die von Dämonen besessen war. „Jesus ist Sieger“ soll sie so laut gerufen haben, dass es kilometerweit zu hören war, erzählt Elisabeth Schönhuth. Doch schon vor diesem denkwürdigen Ereignis strömten die Menschen zu Blumhardt, um seine Predigten zu hören, die er mehrfach vortragen musste – nun kam noch die Glaubensheilung dazu. Um den vielen Menschen gerecht zu werden, kaufte Blumhardt mit Unterstützung von Freunden und denen, die ihn dank seiner Gabe verehrten, das königliche Bad in Bad Boll, um dort sowohl ein Seelsorge- als auch Heilungszentrum aufzubauen. Noch heute zeugen die Villen im Ort von dieser fast mondänen Welt, denn Johann Christoph Blumhardt zog die Menschen aus ganz Deutschland in seinen Bann. Zu seinen Gästen zählten beispielsweise Eduard Mörike, Hermann Hesse, Friedrich Mann oder Elisabeth von Ardenne, die wahre Effi Briest.
Sohn Christoph Friedrich Blumhardt, 1842 geboren, war ebenfalls Theologe. Als sein Vater ihn um Unterstützung bei der täglichen Arbeit bat, kam er als seine rechte Hand nach Bad Boll. In diesen großen Haushalt heiratete nun Emilie Blumhardt ein. Neben all den vielen Aufgaben, die sie als Hausherrin zu bewältigen hatte, brachte sie elf Kinder zur Welt. Unter all der Last war Emilie Blumhardt schließlich zusammengebrochen. Doch damit begann nach der Genesung das zweite Leben der außergewöhnlichen Frau. Sie reiste durch die Welt und besuchte ihre Kinder. Die waren als Missionare beispielsweise in Neuseeland oder China. „Es gibt viele Blumhardts in Neuseeland“, sagt die Autorin. Eine Tochter, Salome, war mit Richard Wilhelm verheiratet. Er war nicht nur Theologe und Missionar, sondern ein berühmter Sinologe, der heute noch in China großes Ansehen genießt. Auch in den USA ist der Name präsent, da seine Bücher, insbesondere Tao Te King und I Ging, dort sehr geschätzt werden. Er übersetzte die chinesischen Werke so gekonnt ins Deutsche, dass sie die Grundlage für die englische Übersetzung waren.
Aus dieser reiseintensiven Zeit sind allerdings nur Briefe von Christoph Friedrich Blumhardt erhalten, die von Emilie existieren nicht mehr. „Es gab eine weitere Frau an der Seite von Blumhardt, die Diakonissin Anna von Sprewitz. Sie war 20 Jahre Wegbegleiterin meines Urgroßvaters“, erzählt Elisabeth Schönhuth. Die Vermutung liegt nahe, dass jene Anna von Sprewitz die Briefe von Emilie Blumhardt vernichtet hat.
„Emilie hat immer im Schatten der Männer gestanden“, sagt Elisabeth Schönhuth über ihre Urgroßmutter. Sie sei immer nur dienend gewesen – egal ob es ,ihre‘ Männer, die Kinder oder andere Menschen betraf. Doch im Laufe ihres Lebens – geboren 1849 in Einsiedel bei Tübingen und gestorben 1929 in Boll – ist sie nach Ansicht ihrer Urenkelin durch den Schatten zum Licht gelangt. „Am Ende ihres Lebens stand Emilie im Licht, ihr Mann nicht“, ist die Autorin überzeugt. Christoph Friedrich Blumhardt war auch Landtagsabgeordneter der SPD. Nach einem Schlaganfall ließen seine Kräfte nach und er starb 1919 in Jebenhausen.
Erinnerungen an ihre Urgroßmutter hat Elisabeth Schönhuth keine, dagegen ihre ältere Schwester. Die hatte bei Besuchen in Boll großen Respekt vor der alten Frau. „Bei der Spurensuche fühlte ich mich Emilie immer wesensverwandter und habe mich in gewisser Weise mit ihr identifiziert“, sagt Elisabeth Schönhuth.