Gesangverein Concordia Notzingen-Wellingen besteht seit 150 Jahren und feiert sein Jubiläum
Ausdruck der erstrittenen Bürgerrechte

Der älteste, noch heute existierende Verein Notzingens, die Concordia Notzingen-Wellingen, feiert das 150-jährige Bestehen. Dies ist für die Mitglieder Anlass, sich in das Jahr 1864 zurückzuversetzen. Kurz nach der „Deutschen Revolution“ wurde die Concordia als Männergesangverein gegründet.

Notzingen. Aus der Gründungszeit existiert von 1842 eine „Beschreibung des Oberamtes Kirchheim“, in der die Einwohner Notzingens als „arbeitsam und genügsam, doch in Sitten etwas roh und von kaum mittlerem Wohlstande“ geschildert werden. „Zeugin“ dieser Gründung ist die noch im Vereinsbesitz befindliche Standarte.

Die Gründung eines Vereins diente zu damaliger Zeit nicht nur der Pflege der Gesangskultur, sondern war Ausdruck eines sich entwickelnden Bewusstseins für die soeben erstrittenen Bürgerrechte, zu denen auch die Versammlungsfreiheit gehörte. In einem Zeitalter ohne sonstige Ablenkungen – im Gegensatz zu heute – bildete die „Concordia in Notzingen“, so ihr damaliger Name, mehr und mehr den Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens ihrer Vereinsmitglieder.

Eine „Schwester“ bekam die Standarte mit der Vereinsfahne, die im Jahr 1929 bei einem großen Fest geweiht wurde. Nach dem Stillstand der Vereinstätigkeit während der Jahre des Ersten Weltkrieges beteiligten sich an der Vorbereitung des Festes stolze fünfzig Sänger, die zur Feier des Tages „im schwarzen Frack mit weißer Krawatte und Zylinder“ erschienen. Beide für die Vereinsgeschichte so wichtigen Gegenstände wurden trotz der angeblich in Notzingen herrschenden „rohen Sitten“ gehegt und gepflegt.

Mehr als 100 Jahre nach der Gründung und den „wilden 68ern“ betraten im Jahr 1974 die Frauen mit dem Frauenchor die Bühne des aktiven Vereinslebens. Ab 1982 wurde im gemischten Chor gesungen, der beim 125-jährigen Bestehen im Jahr 1989 ein viertägiges Sängerfest auf die Beine stellte: Schlagerparade am Freitag, Heimatabend am Samstag, Singen der Gastvereine mit Tanz am Sonntag und ein Kinderfest am Montag.

Doch die Männer tun sich in den folgenden Jahren mit dem Chorgesang zunehmend schwerer. Aktuelle Bilder zeigen, dass die Eroberung des Vereins durch die Frauen kein Ende nimmt: Heute bilden sie wie in vielen Gesangvereinen die Mehrheit der Aktiven. So ist es schier unvorstellbar, dass die Stärke allein des ersten Tenors im Jahr 1947 elf Sänger betrug. Immerhin hatte die Concordia zu dieser Zeit einige Gefallene zu betrauern, die den Männerchor im Jahr 1942 auf ganze 13 Sänger schrumpfen ließen.

Woran liegt es, dass Männer heutzutage so viel seltener singen als früher? Am Repertoire kann es eigentlich nicht liegen, denn mit der Gründung des Jungen Chores Nowelli im Jahr 2003 öffnete sich die Concordia für aktuelles Pop-, Musical- und auch Jazz-Repertoire. Deutsch wird im Jungen Chor nur noch selten gesungen. Die englische Sprache steht im Vordergrund.

Oder liegt es vielleicht auch daran, dass Singen im wesentlichen Körperarbeit ist und bedingungsloses Sich-öffnen gegenüber den Mitsängern und dem Publikum bedeutet? Es gibt wohl kaum eine andere Form des Musizierens, bei der die eigene, momentane Gefühls- und Stimmungslage so sehr für einen selbst und die Zuhörer spürbar wird wie beim Singen.

Wer weiß, vielleicht wendet sich das Blatt einmal wieder und mehr Männer entdecken im Zuge der Work-Life-Balance ihr gesangliches Talent und die als „Wellness“ bekannte Wirkung des Singens auf den Organismus? Die nächsten 150 Jahre werden es zeigen, gibt sich der Verein optimistisch.