Lenningen. Der erste Papiermacher von Oberlenningen stand am 22. Februar 1772 vor Gericht. Isaac Keeber, Bürger und Müller, bat an diesem Stabsgerichtstag um Holz. Er gab
Erika Hillegaart
„demselben zu erkennen, dass zu seiner neu erbauten Pappiermühlen etliche Buchen zu Waßerböcken und Schauflen benöthigent seien, mit geziemender Bitte, ihm solche gegen Bezahlung aus den allhießigen Hofhäuen von gerichts wegen angedeyen zu lassen“. Er bekam zwei Buchen von den Wielandsteinwäldern zugesprochen.
Vom Holzhandel, von Handwerkern, Holzhäusern und Holztagen lagern in alten Akten der ländlichen Gemeinde Oberlenningen viele Wald- und Holzgeschichten. Der Holzhandel brachte die Gulden in die Kasse der „Commun“, insbesondere der Verkauf von Eichenstämmen ins untere Lautertal: Die wohlhabenden Bürger und Weingärtner benötigten das tragende Eichengebälk für ihre Fachwerkhäuser. In den Oberlenninger Flurkarten des 18. und 19. Jahrhunderts sind die gemeindeeigenen Waldgebiete genau gezeichnet. Sie heißen Alter Hau, Asang, Süßer Hau, Rübackerlen, Reuttin, Wannen und Schloßhau. Der „Commun Oberlenningen“ gehörten damals 280 Morgen Wald. Es waren wie heute vor allem Buchenwälder, jedoch mit einem wesentlich größeren Eichenbestand. Dazu kamen die begehrten Eiben an den Nordhängen der Seitentäler.
Von Hangwäldern umgeben, duckten sich viele Jahrhunderte lang die Häuser, Hütten und Ställe um die stattliche alte Sankt-Martins-Kirche, standen die Werkstätten und Mühlen entlang der Lauter, lagen die brandgefährlichen Ziegeleien außerhalb des Orts bei den Lehmgruben. Nur wenige Amtshäuser mit mehreren Stockwerken aus Eichengebälk prägten den pfarramtlichen Marktflecken und Sitz eines herzoglich/königlich bestellten Amtmanns mit Stabsgerichtsbarkeit.
Altes Gebälk – heute noch tragfähig
Die ältesten Spuren von Bauhölzern sind bei der Renovierung des Schlössles nachgewiesen worden. Auf der Anhöhe westlich der Sankt-Martins-Kirche haben wenigstens zwei Vorgängerbauten gestanden. Von einem turmartigen Bauteil sind Grundmauerreste nachgewiesen. Über diesen Resten soll im ersten Drittel des 15. Jahrhunderts ein Bau errichtet worden sein. Dessen Eichenbalken finden sich im heute erhaltenen und renovierten Schlössle als Eckständer verbaut. Die dendrochronologische Datierung dieser Hölzer ergab das Fälljahr 1429/30. In dem Fachwerkbau von 1593/96 sind jedoch auch zahlreiche Ulmen und Tannenhölzer aus dem Schwarzwald verarbeitet worden. Sie sind an den Wiedlöchern erkennbar – das sind dreieckige Vertiefungen für die Flößerhaken. Daraus schließen Fachleute, dass die Waldbestände je nach Witterung und Holzbedarf großen Schwankungen ausgesetzt waren. Aus dieser Epoche stamme auch das Haus Nummer 11 in der Amtgasse, aufgrund seiner Größe, des Giebelfachwerks und der Innenstruktur ein Amtsgebäude, ordnet Andreas Veigel sein elterliches Haus ein.
Im 15. Jahrhundert erneuerte man das Dachwerk über dem Langhaus-Mittelschiff der Sankt-MartinsKirche. „Die Dachkonstruktion ist, soweit erkennbar, vollständig aus Eichenholz gefertigt . . . dem Ergebnis der Untersuchung zufolge wurden sämtliche verarbeiteten Stämme im Winter 1464/65 gefällt. Da das Bauholz aus arbeitstechnischen Gründen saftfrisch verarbeitet werden musste, ist die Errichtung des Daches im Jahre 1465 anzunehmen. . . . Von der ursprünglichen Dachkonstruktion haben sich keine hölzernen Bestandteile erhalten, wohl aber lassen sich über die äußere Form des Daches Aussagen machen.“ Es sei ein steiles Satteldach gewesen, wie in romanischen Sakralbauten des 12. Jahrhunderts üblich, beschreibt der Bauhistoriker Tilmann Marstaller seine Untersuchungen vom Jahr 2000. Zur Zeit der Bauernkriege 1525 war das Schloss Wielandstein samt seinen zwei Burgställen nicht mehr von der Cannstatter Adelsfamilie Schilling bewohnt. Die Bauten sind von den aufständischen Bauern zerstört, aber nicht wie andernorts in Brand gesteckt worden. Die teckschen Dienstmannen von Schilling hatten 1533 das Gemäuer der Wielandsteinburgen an die Oberlenninger verkauft.
Der Alltag mit Stroh, Laub und Holz
Von diesen „Felsnestern über dem Tobeltal“ schleppten sie nicht nur die Steinquader ins Tal. Als dort oben nicht einmal mehr der Forstknecht war, ist auch mancher Holzbalken auf Kuhkarren über die „Lois“ ins Tal gekommen. Lois, das sind die Geleise, die Fahrrillen unterm Wielandstein für Holzfuhren, deren Spuren heute noch erkennbar sind. So mag mancher Balken aus dem Wielandstein-Holzwerk in Oberlenninger Häusern tragfähig geblieben sein – Gebälk, in denen sich die Zeiten abgelagert haben.
Die beweglichen Güter eines Bauernhofes bestanden Jahrhunderte lang aus einem Holzpflug, einer Holzegge, einem oder zwei Wagen und einigen hölzernen Gabeln, Rechen, Dreschflegeln, einer Flachspresse und einem Schnitzbock für kleine Reparaturen und Spielzeug. Das Vieh stand auf der Alb von Oktober bis Anfang Juni im Stall, wo es mit wenig Heu und viel Stroh und Laub aus dem Wald auskommen musste. Im schmäler werdenden Tal waren Felder und Obstgärten fruchtbarer, aber der Platz beschränkter als auf der Albhochfläche. So entwickelte sich manches Holzhandwerk durch die schaffigen Lenninger: Sägmüller, Korbflechter, Wagner und Schreiner stellten die hölzernen Gerätschaften her; die Zimmerleute bauten die Häusle und Schuppen, meist ohne Keller, mit einem tragenden Balkenrost, auf dem dann das Holzwerk stand. Die Gefache füllten die Flechtwerker mit Reisig oder Strohlehm. Oft waren die Wände aus Spaltbohlen, ebenfalls mit Strohlehm verschmiert. Das Holzhacken für den Herd und den Ofen war die Aufgabe der „felduntauglichen“ Alten.
In der Zeit des Dreißigjährigen Kriegs berichten die Kirchenbücher über den Pfarrer Johannes Schauffler, Sohn eines Dettinger Weingärtners, der von 1635 bis 1675 in Oberlenningen war: „Er will nicht bloß Prediger, sondern Fuhrmann sein, ist die wenigste Zeit daheim, hält darum unvorbereitete Predigten, ist ein unruhiger zänkischer Mann, der sogar mit Fluchen ein großes Ärgernis gibt.“ Der kirchliche Gerichtshof ermahnt ihn, „er solle die Frau des Forstmeisters von Urach in seinen Predigten ,unangestochen‘ lassen“. Tüchtig geholzt muss der robuste Seelenhirte haben, und „geflucht wie ein Kutscher“ in jenen Kriegs- und Pestjahren, als die Schreiner mehr Bretter für Särge als für Wiegen hobelten. Er versorgte zeitweise auch die Pfarreien Gutenberg, Schopfloch und Unterlenningen und war bis zu seinem 75. Lebensjahr im Dienst, hat die Kirchbuchführung wieder aufgenommen, Tauf- und Ehebücher neu angelegt und bat den Herzog um das so wertvolle gebundene Papier: „Das Alte Tauffbuoch ist zwar wieder funden worden, Aber ganz aufgeschrieben und verderbt von den Soldaten übel verschnitten und ruinieret worden“.
„Versteinung der Communwaldungen“ – Waldtage – Waldfrevel
Hart genug war der Alltag mit Arbeit und Abgaben: Eine Lieferung Bauholz von 1 000 „Maaß“ an die Verwaltung Kirchheim ist am 18. Februar 1713 dokumentiert. Ein Jahr später berichten pfarramtliche Schriftstücke über eine Feuersbrunst im „hiesigen Ort im Jahr 1714 den 27. April allwo 45 Gebäude abgebrannt sind“. Dieses Ereignis bestätigt, was lange für Holzhäuser galt: „Alles, was Fackel zehrt, ist Fahrnis“, ist bewegliche Habe. Das Feuer muss den Ort südöstlich von der Martinskirche zerstört haben. Deshalb stehen die noch vorhandenen ältesten Gebäude, meist verputzte Fachwerkhäuser, nordwestlich, südwestlich des sakralen Tuffsteinbaus: die Untere Mühle, die Zehntscheuer, Häuser in der Marktstraße und im Schlossrain. Sorgfältig geführte „Holtz Abgaabs Protokolle“ berichten nach dieser Brandkatastrophe über Holzkaufanträge, über Holzstreitigkeiten und den fühlbaren Holzmangel sowie Namensverzeichnungen derer, die an Holztagen die Erlaubnis zum Holzsammeln und Grasschneiden auf den Waldwegen hatten. Strenge Regelungen für Waldbesitzer erfolgten durch Visiten der Stuttgarter Forsträte sowie Kontrollen über die Aufsicht der jährlichen Holzabfuhr, „. . . damit die zum Vorschein gekommene Unordnung mit allem Ernst auß dem Grund gehoben, gäntzlich abgestellt und in Zukunft die beschlossene Ordnung observirt werden solle“. Auch gab es stets Anweisungen, dass das „Holtz an unschädlichen orthen gefällt werden möge“ – damals natürlich ohne Kettensäge!
Die Waldbesitzer waren Zimmerleute, Maurer, Küfer, Ziegler, Schreiner, Drechsler, der Häfner, Bäcker und Schmied; der Amtsverweser, der Schultheiß und die Hofpfleger, kurz, Leute, die Holz für ihren Beruf benötigten und die honorigen Lenninger. Mancher Bürger erwies sich auch als Fürsprecher für Besitzlose. So bat beispielsweise ein Schmied im Mai 1757 für seine verwitwete Nachbarin am allgemeinen „Stab Gerichts Tag“ um etliche Stämme Holz für einen Stall, die gratis gewährt wurden. Dabei handelte es sich um „Zitteraspen“, die schnell wachsenden Espen. Jährlich bekam die Hebamme ein Klafter „Besoldungsholtz“, das Rathaus drei bis vier Klafter von der Hofpflanzung Wielandstein. Ein Klafter sind etwa 3,4 Raummeter. Die „Communwaldungen“ und deren Grenzen wurden von Waldpflegern bewacht. Deshalb hielt der Magistrat es für „unumgänglich nothwendig, die Waldungen zu umgehen, neu zu versteinen, die etwa abgängigen Steine (Grenzsteine) zu ersetzen um die wirkliche ummarkung neu zu beschreiben“. Diese Bücher über die „Versteinung zu Thal und auf der Alp“ sind eine Fundgrube für volkstümliche Ortsbeschreibungen. So sitzt der 28. Stein der Hofhauwaldungen „ob der alten staig, wo man hinabgeht und dann sind es noch 10 Meter bis zum Anfang der Staig oder dem sogenannten Kazenstaiglein“. Die ausgewählten Männer nahmen ihre Söhne mit, damit diese für künftige Zeiten auch um die Grenzsteine wussten.
Die Strafregister der Waldfrevler erhellen vergessene Schicksale. So wurde die elfjährige Margaretha, ledige Tochter der Maria H., beim Sammeln von dürrem Holz im Asang vom Waldschütz zum „räthlichen Gericht“ bestellt. Die Strafe von 30 Kreuzern musste das Mädchen abdienen. Andere Kinder saßen wegen ähnlicher Vergehen im Strafhäusle ein. Der Bauer Johannes K. hatte seine Kinder in fremdes Eigentum geschickt, um drei Säcke Laub zu holen. Das Gericht forderte einen Taglohn. Immer wieder heißen die Deliquenten: „. . . dem Adam . . . Christian . . . Jakob . . . sein Weib, Wittib, Tochter“.
In der jüngeren Ortsgeschichte nach dem Krieg war der Waldbesitz der Gemeinde die Stütze für den Holzbedarf der Bevölkerung. Denn es musste jetzt auch manche Dachkammer für die Heimatvertriebenen beheizt werden. So heißt es in einem regierungspräsidialen Schreiben vom Mai 1947: „Der Staat hat für die Folgen seines verlorenen Kriegs einzustehen und dann erst die Staatsmitglieder . . .“ Die Brennstoffknappheit verstärkte sich in den Dürrejahren 1947 und 1949 auch wegen des Befalls der Buchen durch den Buchenprachtkäfer.
Heute wie früher gilt die Spruchweisheit: Sorge dich nicht, solange es noch grüne Berge gibt: Ringsum Waldeslust, frische Luft und Holzbeigen überall. Das Motto „Holz“ des Denkmaltags 2012 ist ein „Tag der offenen Türen“. Er lässt sich breit und vielgestaltig erörtern, auch mit regionalen Geschichten.
Archiv der Gemeinde Lenningen; pfarramtliches Archiv Oberlenningen; Broschüre „Schlössle Oberlenningen“, 1992; Georg Kleemann „Lenninger Alb“, 1980; Otto Preissler „Familienforschungen“, 2001