150 Jahre Eisenbahn in Kirchheim – Flotte Herbstmode aus Strick und Walk im Marstallgarten
Bahnjubiläum und Wollmarkt verknüpft

Keine zehn Kilometer sind es von Kirchheim nach Wendlingen. – Ein Klacks für die mobile Gesellschaft des 21. Jahrhunderts. Für die Teckstadt und Ötlingen bedeuteten sie im Jahr 1864 nicht weniger als den Anschluss an den industriellen Fortschritt. Am Wochenende wurde dem historischen Moment gedacht. Mal mehr, mal weniger feierlich.

Nicole Mohn

Kirchheim. Unbestritten ist es ein Meilenstein, als die lang gehegten Kirchheimer Wünsche nach einem Eisenbahnanschluss mit der ersten Württembergischen Privatbahn in Erfüllung gehen. Von der Mitte des 19. Jahrhunderts an haben sich die Stadtväter und Unternehmer der Teckstadt für diesen lebenswichtigen Anschluss an das rasant wachsende Schienennetz in Mitteleuropa stark gemacht und schließlich selbst die Initiative ergriffen. 6,26 Kilometer Schiene sind es, die Kirchheim an die wichtige Verbindung Heilbronn-Stuttgart-Ulm bringen – und damit den Firmen aus Kirchheim und Ötlingen völlig neue Möglichkeiten erschließen.

Seit Wochen schon ruft der bebilderte Geschichtspfad vom Kornhaus zum Postplatz das Ereignis, dass sich gestern zum 150. Mal jährte, die Anfänge der mobilen Gesellschaft in Erinnerung. Lange hatten die Kirchheimer kämpfen müssen, waren bei der Landesregierung in Stuttgart mit ihrem Ansinnen jedoch immer wieder auf taube Ohren gestoßen. Mit einer Aktiengesellschaft organisierte die Stadt schließlich die notwendigen Mittel und realisierte den Streckenbau. Zwei Loks und sechs Waggons steuerte das Land zum Unternehmen Eisenbahn Kirchheim bei.

Vor 150 Jahren ein echter Festtag also für die Teckstadt, der mit Grün- und Fahnenschmuck und, wie es in den Quellen heißt, mit schmetternden Klängen der Stadtkapelle, dem Eisenbahnkomitee, Ehrengästen und den Kirchheimer Bürgern gefeiert wurde. Zum großen Jubiläumswochenende in der Teckstadt war davon gestern zum Jahrestag am Kirchheimer Bahnhof allerdings herzlich wenig zu sehen. Nicht einmal ein Hinweis auf die Jubiläumsfahrten der Gesellschaft zur Erhaltung von Schienenfahrzeugen (GES) fand sich am Bahnhofsgelände, als die E 94, auch deutsches Krokodil genannt, mit den historischen Plattformwagen in den Bahnhof rollte. Ganz anders der rauschende Empfang, den die Ötlinger dem historischen Zug und seinen Passagieren bereiteten. „Rechts und links haben die Leute da gestanden“, freute sich Martin Jenner von der GES. Dazu arbeitete der Stadtteil die Bedeutung des Eisenbahnanschlusses noch in einer kleinen Ausstellung auf.

Die Resonanz auf die Jubiläumsfahrten blieb allerdings etwas verhalten. Mit einem halb leeren Zug lief das „Krokodil“ kurz nach halb zwölf in Kirchheim ein. Etliche Neugierige und ein paar Spötter warteten am Kirchheimer Bahnhof dann aber doch auf den Zug. Die sechsachsige Lok ist älter als manche Dampflok und der Star am Bahnsteig. Einmal in den engen Führerstand der Zugmaschine aus dem Jahr 1943 spickeln – wann hat man dazu schon Gelegenheit. Für den siebenjährigen Jannik und seinen Papa sprang sogar eine kleine Extratour raus: Beim Umsetzen der E-Lok durften sie im Führerstand mitfahren. „Das war toll“, freute sich der Zweitklässler über ein ganz besonderes Erlebnis.

Jenner und seine Mitstreiter von der GES gaben während der Pausen an den Bahnhöfen geduldig Auskunft zum Zug und den Waggons. Zum Teil haben die Plattformwagen bis zu 120 Jahre auf dem Buckel und stammen von der Hohenzollern-Bahn. Die andere Hälfte stammt aus den 20er- und 30er-Jahren: „Die Waggons sind allerdings in den 50ern modernisiert worden“, erklärte Jenner. Auch eine „Restauration“ ist angekoppelt, wo man sich die Fahrt versüßen kann.

Die Fahrt mit dem „Krokodil“ konnten die Fahrgäste mit einem Besuch auf dem Kirchheimer Wollmarkt rund um das Schloss verbinden. Eine Verbindung, die nicht nur den Wochenend-Ausflüglern Rechnung trägt, sondern auch der engen Verbindung zwischen den Kirchheimer Textil-Herstellern und dem traditionsreichen Wollhandel in der Stadt zur Bahnlinie. Sie durften getrost zu den großen Nutznießern der neuen Eisenbahnstrecke gezählt werden. Mitte des 19. Jahrhunderts ist die Teckstadt eine der großen Woll-Umschlagsmärkte des Landes: Satte 1,8 Millionen Gulden setzte der Wollmarkt um, jährlich wurden rund 15 000 Zentner Wolle gehandelt.

Mit dem harten Handel von einst hat der Kirchheimer Wollmarkt heute nichts mehr zu tun. Hier steht am Wochenende vor allem das Kunsthandwerk und Schönes aus Schafwolle im Mittelpunkt. Bei den Modenschauen unter dem Dach der mächtigen Kastanien im Marstallgarten beispielsweise zeigen Hersteller ihre flotte Herbstmode aus Strick und Walk. Von der wärmenden Stulpe bis hin zum kuscheligen Mantel oder farbenfrohen Rock gibt es viele Modelle gleich an den Ständen vor und im Schloss zu kaufen. Auch Schaffelle, Wolle und Gefilztes findet hier rege Nachfrage.

Bei Vorführungen erlebten die Besucher, wie es dem Schaf an die Wolle geht und aus der rohen Wolle ein feiner Faden wird. Auf der Bühne sorgten Live-Musiker und die Trachtengruppe Kirchheim für Unterhaltung; dazu gab es Leckereien wie Schafskäse oder Rote vom Lamm.