Kirchheim. Die Strahlkraft des Wiener Musiklebens verbindet man gewöhnlich mit Namen wie Mozart,
Schubert oder Brahms. Aber die beachtliche musikalische Blüte Wiens im ausgehenden 17. und in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts findet im heutigen Konzertleben eine vergleichsweise geringe Würdigung. Zu Unrecht, wie der hervorragende Auftritt von „Concerto Imperiale“ im Kirchheimer Schloss deutlich machte. Unter der künstlerischen Leitung des Barockviolinisten und Musikwissenschaftlers Bernhard Moosbauer brachte das Ensemble Schätze der habsburgischen Notenbibliothek zum Klingen und lieferte damit einen bereichernden Beitrag zur Tasta-Tour.
Das auf historische Aufführungspraxis spezialisierte Barockensemble (Bernhard Moosbauer, Renate Harr – Violinen, Rainer Ullreich – Viola, Michael Brüssing – Violoncello, Heike Hümmer – Violone, und Andreas Scheufler – Cembalo) verstärkte der Barockfagottist Oliver Hasenzahl, der zur Bereicherung des kultivierten Klangkolorits beitrug und solistisch glanzvoll in Erscheinung trat.
In der langen Reihe illustrer Namen Wiener Hofkapellmeister findet sich auch Johann Joseph Fux. Lange Zeit wurde der 1660 als Bauernsohn in der Steiermark geborene, später unter Leopold I. und Karl VI. am habsburgischen Hof tätige Komponist nur mit seinem Lehrwerk „Gradus ad Parnassum“ assoziiert. Dieser Einschränkung trat Moosbauer mit dem Hinweis auf den bedeutenden Umfang des künstlerischen Werks dieses einst weithin berühmten Musikers entgegen. Ein Beispiel für die von orchestraler Klanglichkeit geprägten Sonaten, die Fux für den Gebrauch im Gottesdienst geschrieben hatte, bildete den Auftakt des Konzerts.
Mit Kaiser Ferdinand II. war 1622 Giovanni Battista Buonamente vom Hof der Gonzaga in Mantua nach Wien gekommen. Dem spielfreudigen Zugriff von Concerto Imperiale war es zu verdanken, dass die furiose Variationenfolge seines „Ballo del Granduca“, ebenso seine Sonate für zwei Violinen und obligates Fagott, auch knapp 400 Jahre nach ihrer Entstehung in zeitloser Frische dastehen.
Gleich mit drei Werken kam Johann Heinrich Schmelzer zu Ehren. Wie Moosbauer sein Publikum wissen ließ, ist die musikhistorische Bedeutung dieses Meisters auf mehreren Ebenen zu sehen. So habe er als wichtigster Komponist von Instrumentalmusik im habsburgischen Herrschaftsbereich vor Heinrich Ignaz Franz Biber maßgeblich die Entwicklung von Suite und Sonate beeinflusst. Seine Berufung zum Hofkapellmeister als erster Nichtitaliener im Jahr 1679 sei als bedeutender Schritt der Loslösung deutscher Musiker von der italienischen Vorherrschaft zu werten.
Als ein Wesenszug seines Schaffens hob Moosbauer Schmelzers Neigung zur Komposition von Musik programmatischen oder nachahmenden Charakters hervor. Zwei in ihrer Gegensätzlichkeit prominente Beispiele waren im Konzert zu hören. Lässt Schmelzer im feierlichen Lamento auf den Tod Ferdinands III. die Totenglocke ertönen, ergeht sich in der kunstvollen, möglicherweise als Karnevalsscherz entstandenen Sonate „Al giorno delle correggie“ das Fagott in der lautmalerischen Nachahmung eines Verdauungsgeräusches.
Neben Schmelzer gehörte Antonio Bertali zu den bedeutendsten Musikern am Wiener Hof. Der gebürtige Veroneser diente mit Ferdinand II., Ferdinand III. und Leopold I. nicht weniger als drei musikbegeisterten Kaisern. Die packende Motorik seiner Sonate für zwei Violinen und Fagott wusste Concerto Imperiale in mitreißender Manier zu entrollen.
Die Hauptaufgabe Antonio Caldaras – seit 1716 Vizekapellmeister am Wiener Hof – bestand in der Komposition von Opern und Oratorien. Die chromatisch geschärften, dramatisch aufgewühlten Gesten seiner 1729 komponierten Sinfonia zum Oratorium „Naboth“ sind fraglos den schicksalhaften Härten der alttestamentarischen Vorlage geschuldet, die von einem Justizmord berichtet. Dennoch kommen die Ohren heutiger Hörer nicht umhin, eine solch energisch ringende Tonsprache mit dem Bemühen um radikalen subjektiven Ausdruck in Verbindung zu bringen, wie er sich erst zum Ende des 18. Jahrhunderts endgültig Bahn brechen wird. Eine wunderbare Entdeckung, für deren konzertante Aufführung man nur danken kann.
Antonio Vivaldis Fagott-Konzert in B-Dur, das auch unter dem Namen „La Notte“ firmiert, bildete den krönenden Abschluss. Zeit seines Lebens war Vivaldi seiner Geburtsstadt Venedig eng verbunden. Ensembleleiter Moosbauer wies aber auf das dichte Beziehungsgeflecht hin, das Vivaldi zu diversen Höfen unterhielt. So stand er seit seiner Zusammenkunft in Triest 1728 mit Kaiser Karl VI. in freundschaftlichem Kontakt und widmete ihm eine seiner prominentesten Sammlungen von Violinkonzerten. Überhaupt sei das barocke Solokonzert als ureigenstes Schaffensgebiet dieses Komponisten zu sehen, der es zur bedeutendsten instrumentalen Gattung seiner Zeit erhoben habe.
Oliver Hasenzahl und Concerto Imperiale machten dies in ihrer herrlich lebendigen, virtuosen und zugleich plastisch-konturierten Deutung erfahrbar und schlossen als opulentes Panorama ihren Hörern die bildgewaltige, imaginative Erfindungskraft dieses operngestählten Komponisten auf. Ein würdiger Schlusspunkt eines hochkarätigen Konzerts, das die Musikstadt Wien in barockem Glanz erstrahlen ließ.