Kirchheim. Ein Happy End sieht anders aus. Wenn dem begeisterten Schlussapplaus einer Premiere aber auch gleich noch der Abgesang auf eine überraschend und völlig unerwartet zu Ende gedachte Idee
WOLF-DIETER TRUPPAT
eines Stadttheaters folgt, die in den elf Monaten der intensiv beobachteten Bewährung bestens in Schwung gekommen ist, kann von Feierlaune freilich nichts zu spüren sein.
Was mit „Harold und Maude“ vielversprechend begann und Ingrid van Bergen vier Tage nach Kirchheim brachte, wurde mit „Die Made“ und „Nur für Frauen“ erfolgreich fortgeführt. Die beiden „Gute-Laune-Abende“ konnten bei der von vielen gewünschten Wiederholung noch mehr Publikum an die Stadthalle binden. Dass die drei Aufführungen von „Gut gegen Nordwind“ mit Dorkas Kiefer und TV-Star Ralf Bauer mit insgesamt rund 1 000 Zuschauern schon im Vorverkauf gut gebucht wurden, zeigt ganz offensichtlich, dass echter Bedarf besteht an dem von Bernd Gnann und Thomas Osswald für ein populäres und am Geschmack des Publikums ausgerichteten Volkstheater.
Zunächst nutzten beim letzten Premierenabend im „Kirchheimer Stadttheater“ die beiden Stars der aktuellen Inszenierung die Gelegenheit, das Publikum zu umgarnen mit einem Stück, das schon als Buch ungemein erfolgreich war, und mit „Alle sieben Wellen“ die verdiente und vom begeisterten Lesepublikum zurecht geforderte Fortsetzung bekam.
Dorkas Kiefer und Ralf Bauer, die beim Premierenabend für ihre eindrucksvolle Leistung begeistert gefeiert wurden, könnte man sich auch ein zweites Mal bei einer imposanten „Nicht-Begegnung“ auf einer erneut in zwei unüberwindbare Hälften geteilten Stadthallenbühne vorstellen – nur eben nicht mehr in Kirchheim . . .
Die beiden Darsteller, die wie die sprichwörtlich bekannten Königskinder einfach nicht zusammenkommen konnten, saßen in der Einsamkeit ihrer Zimmer, hackten auf der Computer-Tastatur herum und verschlangen geradezu die Botschaften, die sie sich gegenseitig auf ihren gezückten Tablets servierten. Ohne jeden Filter erlebten die Zuschauer von Mail zu Mail mit, wie sich aus einem Irrläufer eine unglaublich intensive Beziehung entwickelt.
Keine Gefühlsregung und keine Wortbedeutung zwischen den Zeilen geht verloren und das in einem Medium, das an Neutralität und Emotionslosigkeit eigentlich nicht zu überbieten ist. Dass aus diesem emotionsgeladenen außerehelichen Mail-Verkehr gebastelte Stück, das im fast konsequent eingehaltenen Pendeltakt seinen fast tragischen Verlauf nimmt, schafft dank der beispiellos gut miteinander Kommunizierenden das Kunststück, trotz aller oberflächlichen Leichtigkeit und komödiantischer Süffisanz eine erstaunliche Tiefe und Ernsthaftigkeit zu gewinnen – und auch zu halten – ohne in theatralischen Bombast oder ins Moralpredigthafte abzudriften.
Wein- und Whiskygläser, ein Golfschläger und ein Besenstiel waren fast schon die ganzen Hilfsmittel, die die beiden Dialogpartner auf der Bühne fanden, die aus einem beidseitig bedienbaren Kleiderständer und Bar-Wägelchen sowie den Zimmern der beiden „Königskinder“ bestand. Bühnentechnisch großzügig gewährte Fluchtpunkte waren nur die unregelmäßigen Ausblenden, die den Zeittakt der zunehmend unmoralischen Begegnung andeuteten und mit einem genauso regelmäßig-unregelmäßig eingespielten Klangteppich Stimmungen unterstrichen und dezent verstärkten.
Die fast lähmende und zunehmend quälende Einsamkeit der beiden Langstrecken-E-Mailer garantierte aber trotzdem enorme Spannung und Nähe, die in ihrer Direktheit und unerhörten Unvermitteltheit fast schon voyeuristische Qualitäten erreichte und Distanz zu den enorm präsenten Darstellern überhaupt nicht mehr zuließ.
Ralf Bauer brillierte in der Rolle des sympathischen ungebundenen Frauenverstehers Leo Leike, der nach ein paar wenigen Mails alles über seine ihn um Schlaf und Contenance bringende – aber leider schon fest – vergebene „Traumfrau“ zu wissen und zu fühlen scheint und sich selbst bei der Schuhgröße nur um eine halbe Nummer verschätzt. . .
Dorkas Kiefer gefiel in ihrer die Tore ihrer Ehefestung immer weiter öffnenden Leichtsinnigkeit als Emmi Rothner genauso gut. Sie verstand es von Anfang an, ihren virtuellen Verführer konsequent an der langen Leine zu führen und selbst bei aller zunehmenden Intimität nie vom distanzierten und akzeptierten „Sie“ auch nur einmal ins vertraute und eine letzte Grenze brechende „Du“ zu rutschen.
Wacker gegen übermächtige Gefühle ankämpfend, kommt ihr die „intime“ Anrede erst über die Lippen, als viele der gemeinsamen Träume schon aufgehört haben, Träume zu sein und an der grausamen Vernunft der Realität zerbrochen sind.
Zu große Nähe lässt sie bei aller Frivolität nie zu. Sie weiß schließlich um die Gefahr, der sie sich mit dem zur Sucht gewordenen Austausch mit Leo aussetzt. Bei aller Freude am Tanz am Rande des Vulkans bleibt ihre Ehe und Familie ein bis fast zuletzt von beiden Seiten akzeptiertes Tabu, das nicht zu der immer ungenierter ausgelebten Intimität ihres E-Mail-Verkehrs passt – und das bleibt ja auch fast bis zum bitteren Ende so.
Dass die zwischenmenschliche Kommunikation im Stück trotz enormer Steigerungen letztlich genauso zusammenbricht, wie sie zwischen den Theatermachern und dem mehrheitsfähigen Gemeinderat vielleicht nie richtig ausprobiert wurde, ist deshalb eher tragisch, weil es dadurch keine Fortsetzung mehr geben wird. Bernd Gnann machte das nach der Aufführung unmissverständlich deutlich. Sein angebotener Handel – mietfreie Überlassung der Stadthalle gegen ein attraktives und in Karlsruhe stets schon vorab erfolgreich erprobtes Theaterprogramm – ist gescheitert.
Auch wenn im Ratsrund immer wieder gerne die unbezahlbaren und vielleicht doch alles entscheidenden „weichen Standortfaktoren“ angesprochen werden, wurde hier eine Chance verspielt, die andere Städte in der Größe Kirchheims wohl liebend gerne so bekommen hätten. Auch wenn sich die Vertreter der Stadt zu Recht freuen können, dass Kirchheim einmal mehr als fahrradfreundliche Stadt ausgezeichnet wurde, müssen sie auf lange Sicht garantiert nicht über die Anschaffung von Dübeln für eine Plakette befinden, mit der an der Stadthalle ein für erfolgreiches und publikumsorientiertes Theater offenes Mittelzentrum ausgezeichnet wird.
Thomas Osswald und Bernd Gnann wollen jedenfalls ihre Idee nicht begraben. Sie werden sicher keine großen Schwierigkeiten haben, einen Partner zu finden – wenn schon nicht im anfangs einmal angedachten Biberach, dann ja möglicherweise ganz in der Nähe. Konkurrenz belebt schließlich das Geschäft – auch zwischen modernen Mittelzentren.