Kirchheim. „Für Frauen, die nur in einem kleinen Teilzeitbereich arbeiten, lohnt es sich überhaupt nicht mehr“, betont Angelika Behrens, Zweite Vorsitzende des Deutschen Hebammenverbands Kreisverband Esslingen, in dem knapp 130 Hebammen organisiert sind. Für das erste Halbjahr hat sie gut 2 100 Euro an die Haftpflichtversicherung überwiesen, von Sommer an soll der Betrag auf über 5 000 Euro jährlich ansteigen. „Ich habe keine Chance, eine junge Kollegin als Vertretung anzulernen, weil sie nie auf die notwendige Zahl an Geburten kommt, um sich die Versicherung leisten zu können“, sagt Angelika Behrens. Die Nürtingerin ist die einzige Hebamme im Landkreis, die derzeit noch die Betreuung von Hausgeburten anbietet. Dazu fährt sie auch weit über die Kreisgrenzen hinaus bis Göppingen, Bad Urach oder – wie vergangenen Woche – fast bis Böblingen. Ihre Verlegungsrate von 10 bis 15 Prozent deckt sich mit der allgemeinen Statistik. „Nur einmal musste eine Frau bislang mit Blaulicht in die Klinik gebracht werden“, so Angelika Behrens.
Die Zahl der von ihr betreuten Hausgeburten ist in den vergangenen Jahren nach oben geschnellt. Pro Jahr leistet Angelika Behrens rund 40 Mal Geburtshilfe bei Frauen, die ihr Kind in den eigenen vier Wänden zur Welt bringen möchten. Doch auch unabhängig von Hausgeburten gibt es inzwischen einen echten Hebammenmangel, weil immer mehr Kolleginnen dem Beruf den Rücken kehren. „In der Region um Esslingen weiß man nicht, wie die Betreuung in den Sommerferien gemeistert werden soll“, sagt Angelika Behrens. Sie selbst ist bis Oktober ausgebucht.
Wie die Zukunft des Berufsstands überhaupt aussieht, ist derzeit völlig ungewiss, nachdem die Nürnberger Versicherung laut Deutschem Hebammenverband und dem Bund der freiberuflichen Hebammen Mitte kommenden Jahres aus den beiden letzten verbliebenen Versicherungskonsortien für Hebammen aussteigt. „Es wurden 280 Versicherungen angeschrieben – ohne Erfolg“, so Angelika Behrens. Der Verband setzt jetzt insbesondere auf Öffentlichkeitsarbeit. „Frauen sind empört, sie gehen auf die Straße, sammeln Unterschriften. Aufgrund der Bewegung von unten bin ich guter Hoffnung, dass eine Lösung gefunden wird“, so die Nürtingerin. Vorstellen könnte sie sich einen von der öffentlichen Hand gespeisten Haftungsfonds, damit junge Kolleginnen wieder einen Anreiz haben, in die Geburtshilfe einzusteigen. Ein Aus für freiberufliche Hebammen würde Angelika Behrens zufolge auch die Kliniken in eine prekäre Situation bringen, werden doch in Deutschland 20 Prozent aller Geburten von freiberuflichen Beleghebammen begleitet.
„Dass die Versicherungen uns nicht mehr aufnehmen wollen, kommt einem Berufsverbot gleich“, sagt Bianca Kümmerle, Hebamme aus Dettingen. Wie sie betont, trifft der drohende Ausschluss nicht nur Hebammen, die Hausgeburten anbieten, sondern sogar Kolleginnen, die in Kliniken angestellt sind, weil die Deckungssummen von deren Vesicherungen meist nicht ausreichen. Wegbrechen würde auch die gesamte Schwangerenbetreuung und die Nachsorge nach der Entbindung durch Hebammen. „Ich kann mir nicht vorstellen, wie es werden soll, wenn es unseren Berufsstand nicht mehr gibt.“ Die meisten Frauen kommen zwei bis drei Tage nach der Entbindung aus der Klinik und benötigen professionelle Betreuung im Wochenbett. „Wer guckt nach dem Nabel, wer gibt Tipps beim Stillen und wer kümmert sich um die Rückbildung?“ – Fragen, die für Bianca Kümmerle im Raum stehen. Gab es früher einen Familienverbund, seien Mütter beziehungsweise Eltern heute häufig auf sich selbst gestellt. „Ich sehe auch keine andere Berufsgruppe, die unsere Arbeit übernehmen könnte“, gibt Bianca Kümmerle zu bedenken. Würden ambulante Pflegedienste oder Kinderkrankenschwestern etwa in die Fußstapfen von Hebammen treten, hätten sie im Übrigen dasselbe Problem mit der Haftpflichtversicherung.
„Nicht wir Hebammen sind schlechter geworden, sondern die Schäden sind teurer, weil dank des medizinischen Fortschritts mehr Kinder überleben“, so die Dettingerin. Wie ihre Kolleginnen hofft sie auf den Erfolg des Berufsverbands, von Online-Petitionen und Demonstrationen, wie sie unter anderem in Stuttgart stattgefunden haben.
Schon jetzt hängen zahlreiche Hebammen ihren Beruf an den Nagel. Neben den hohen Kosten verschlingt die Bürokratie immer mehr Zeit. „Viele Kolleginnen machen etwas völlig anderes oder bauen sich ein zweites Standbein auf“, sagt Bianca Kümmerle. Sie selbst kann sich nicht vorstellen, einer anderen Arbeit nachzugehen. Mit dafür zu sorgen, dass ein Kind einen guten Start ins Leben bekommt, begreift sie als großes Geschenk. „Hebamme zu sein, ist mein Traumberuf.“