Der Standort der geplanten Biogasanlage im „Großbettlinger Gatter“ ist zulässig. Das Verwaltungsgericht Stuttgart (VG) wies eine Klage des Verbands Region Stuttgart ab. Dieser war gegen die Entscheidung, eine Zielabweichung dafür zuzulassen, vor Gericht gezogen. Die Zweite Kammer des VG ließ eine Berufung zu.
Nürtingen/Stuttgart. „Es ist eine grundsätzliche Frage“, begann Verwaltungsgerichtspräsident Stefan Kuntze seine Urteilsbegründung. Die Kammer habe sich die Entscheidung nicht leicht gemacht. Die drei Berufsrichter und zwei Schöffen mussten zum einen darüber befinden, ob der Regionalverband Stuttgart überhaupt dazu berechtigt ist, gegen eine Entscheidung des Regierungspräsidiums Stuttgart (RP) zu klagen. Immerhin war es das erste Mal überhaupt, dass der Verband gegen das Land, vertreten durch das RP, vor Gericht gezogen ist.
Zum anderen mussten sich die Richter mit dem eigentlichen Inhalt der Klage auseinandersetzen: Die Stadt Nürtingen möchte mit ihren Stadtwerken und der Firma Refood eine Anlage zur Vergärung von Speiseresten bauen. Weil sich der vorgesehene Standort im Großbettlinger Gatter im regionalen Grünzug befindet, war dafür ein sogenanntes Zielabweichungsverfahren erforderlich. Der Verband hat vor einem Jahr gegen diese Sondergenehmigung für die Biogasanlage geklagt. Die Mehrheit für die Klage in der Verbandsversammlung war knapp: Mit 43 zu 35 Stimmen votierten die Regionalräte damals für den Rechtsweg.
„Das Vorhaben ist raumordnerisch vertretbar“, urteilte das Gericht gestern. Die Biogasanlage sei ein Projekt der Stadt im Rahmen der Daseinsvorsorge. Außerdem diene es ökologischen Belangen, die auch als Ziele im Regionalplan festgehalten werden. Diese Argumente fielen für die Richter stärker ins Gewicht als der Erhalt freier Flächen im Grünzug. Der Flächenverbrauch werde am Standort auf das Notwendige begrenzt, so die Richter. Der geplante Standort liege außerdem nicht mitten im Grünzug, sondern am Rand und sei überdies durch Straßen und eine Hochspannungsleitung „vorbelastet“.
Das Gericht betonte, dass die Grundzüge der Regionalplanung nicht berührt werden. Denn 2012 habe der klagende Regionalverband einen Kriterienkatalog aufgestellt, in dem die Region sogar selbst von einer Abweichungsmöglichkeit gerade für Biogasanlagen ausgehe. Das Gericht sieht in seiner Urteilsbegründung in Nürtingen einen Härtefall, der die Zielabweichung rechtfertigt: Eine wichtige Rolle spiele dabei die beabsichtigte kommunale Daseinsvorsorge. Mit der Anlage sollen bis zu 20 Prozent des Nürtinger Gasbedarfs gedeckt werden. Für die Stadt als Planerin könne sich dabei die Betrachtung nur auf das Gemeindegebiet beziehen. Der daneben infrage kommende Standort „Großer Forst“ liege zu nahe an Wohngebieten.
Das Regierungspräsidium habe alle wesentlichen Gesichtspunkte gesehen, zutreffend gewichtet und eine Ermessensentscheidung getroffen, die vom Gericht im Rahmen der gesetzlich beschränkten Ermessensüberprüfung nicht beanstandet werden könne, so die Richter.
Allerdings gab es vom Gericht auch ein Trostpflaster für den Regionalverband: Die Richter erklärten die Klage des Verbands für zulässig. Dass der Verband überhaupt berechtigt sei zu klagen, war von der Stadt Nürtingen, vertreten durch Rechtsanwalt Winfried Porsch, vehement bestritten worden. Das sah die Kammer nicht so: Die Klagebefugnis folge aus dem Gesetz, auf dessen Grundlage der Verband seinerzeit ins Leben gerufen wurde, so Richter Kuntze. Die Kammer könne sich, auch wenn der Gesetzgeber bei der Schaffung des Klagerechts andere Absichten gehabt haben sollte, über den „klaren Wortlaut“ der Vorschriften nicht hinwegsetzen.
Das erfreute auch den Planungsdirektor der Region Thomas Kiwitt: „Es ist gut, dass wir Klagebefugnis haben“. Das sei eine wichtige Klarstellung. Ob der Regionalverband in Berufung gehen werde, müsse die Regionalversammlung entscheiden.
„Wir sind erfreut, dass wir mit unserer Entscheidung vor Gericht Erfolg hatten“, betonte Edwin Nutto, Referatsleiter für Raumordnung, Baurecht und Denkmalschutz beim RP Stuttgart. Auch Nürtingens Oberbürgermeister Otmar Heirich zeigte sich erfreut über die Entscheidung: „Wir fühlen uns sehr in unserer Rechtsauffassung bestätigt.“ Das Bebauungsplanverfahren werde nun weiter vorangetrieben, von den Trägern öffentlicher Belange seien bislang wenig Bedenken geäußert worden. Er halte die Wahrscheinlichkeit für gering, dass die Region in Berufung gehe, so Heirich, denn schon die erste Entscheidung des Regionalparlaments, zu klagen, sei knapp ausgefallen.
Ob die Regionalversammlung diese Auffassung teilt, wird sich in einigen Wochen bei der nächsten Sitzung zeigen. Im Fall einer Berufung landet die Causa Biogas vor dem Verwaltungsgerichtshof in Mannheim.