Pflege-Serie: Mitarbeiter der Diakonie sehen die Häusliche Pflege in Gefahr – Kritik an Kassen
Bleibt der Mensch auf der Strecke?

Die Diakonie schlägt Alarm: Die Finanzierung der Häuslichen Pflege läuft Gefahr, in Schieflage zu geraten. Mitarbeiter appellieren an die Krankenkassen, ihre Pauschalen deutlich zu erhöhen, damit eine adäquate Bezahlung der Pflegekräfte möglich bleibt.

Kirchheim. „Die Arbeitsbedingungen werden immer schwieriger“, sagt Elke Rudolph. Sie ist seit 16 Jahren Mitarbeiterin des ambulanten Pflegediensts in Lenningen. Ihr Arbeitgeber ist die Diakoniestation Teck, zu der die drei Pflegestützpunkte in Weilheim, Lenningen und Kirchheim gehören. „Meine Kritik richtet sich nicht gegen die Diakoniestation. Mit meinem Arbeitgeber bin ich zufrieden. Meine Kritik richtet sich gegen die Krankenkassen“, stellt sie klar. Die gelernte Krankenschwester macht ihre Arbeit weiterhin gerne, obwohl ihre Arbeitsbedingungen immer schwieriger werden. „Ich sehe jedoch, dass einiges komplett schief läuft“, gibt sie zu bedenken.

Dabei sind für sie nicht alle Veränderungen schlecht. Der Tourenplanung via Handy stand sie zunächst kritisch gegenüber, hat zwischenzeitlich aber erkannt, dass es eine Erleichterung darstellt, und auch die Dokumentation hat für sie ihre Berechtigung. Gerade sie als Springerin profitiert von den detaillierten Angaben der Kolleginnen. „Diesen Aufwand müssen wir bezahlt bekommen, doch Tatsache ist, dass wir um jeden Cent kämpfen müssen“, klagt Elke Rudolph.

Dazu komme, dass die Kassen sehr viel von den Pflegekräften erwarten. „Sie kontrollieren und bewerten uns – was in Ordnung ist. Wir stecken daher viel Zeit in die Dokumentation und bekommen dafür nur eine Pauschale. Das ist betriebswirtschaftlich nicht mehr tragbar und für meinen Arbeitgeber eine Gratwanderung“, kritisiert sie. Die Diakonie zahlt im Gegensatz zu manchen privaten Anbietern Tariflöhne, und diese Tatsache nötige die soziale Einrichtung zu riesigen Balanceakten. „Es kann nicht sein, dass ambulante Pflegedienste in Zukunft nur noch existieren können, wenn sie ihren Fachkräften keinen Tariflohn mehr bezahlen“, ärgert sich die Krankenschwester.

Sie verwundert es deshalb nicht, dass es immer schwieriger wird, gutes Personal zu finden: „Neben der körperlichen und psychischen Belastung kommt hinzu, dass man bei Wind und Wetter unterwegs ist – auch bei Schneetreiben auf die Alb hinauf und wieder zurück. Zudem müssen wir uns ständig auf neue, oft schwierige Situationen bei den Kunden einstellen, unter Zeitdruck arbeiten und das zu unregelmäßigen Zeiten“, nennt sie ein paar Beispiele. Elke Rudolphs Patienten verstehen oft nicht, warum sie nicht einmal ein Viertelstündchen bleiben kann, wenn sie ihnen die Tab­letten verabreicht. Doch das ist nicht finanzierbar. Für jede Tätigkeit gibt es eine klar festgelegte Pauschale, egal, ob die Pflegekraft 5 oder 45 Minuten im Haus ist. Dazu kommt, dass die Krankenkassen unterschiedliche Tarife haben – was die eine zahlt, zahlt die andere vielleicht gar nicht oder für die ein und dieselbe Leistung einen unterschiedlichen Betrag. Auch wenn die Kritik der Diakoniestation alle Kassen einschließt, schneidet die AOK dort im internen „Ranking“ am besten ab.

„Die Bürokratie in der Pflege ist wahnsinnig hoch“, bestätigt Gabriele Steiner, Pflegedienstleiterin bei der Diakoniestation. Deshalb ärgert sie sich über die Zahlungsmoral der Kassen. „In den vergangenen neun Jahren sind die Tariflöhne um 17 Prozent erhöht worden, die Kassen sind in diesem Zeitraum acht Prozent nachgekommen. Die Frage ist, ob wir das als Diakoniestation auf Dauer überleben“, fragt sich nicht nur Gabriele Steiner. Für sie ist der Gesetzgeber gefragt, damit alte Menschen gut gepflegt werden können.

„Was nützt es einem Pflegedienst, wenn er mit der Note sehr gut abschneidet, aber immer weniger Zeit für die Arbeit mit den Menschen übrig bleibt, weil man mit den momentanen Sätzen der Krankenkassen langfristig nicht überleben kann?“, fragt sich nicht nur Elke Rudolph. Ihre traurige Feststellung: Ohne die finanzielle Unterstützung durch die Krankenpflegevereine wäre vieles schon lange nicht mehr machbar, etwa sich bei schwerer erkrankten Menschen Zeit lassen zu können. „Meine Angst ist wirklich, dass es irgendwann nur noch Billigpflege gibt, die von schlecht bezahlten Leuten verrichtet wird und die dann verständlicherweise unzufrieden sind und die alten Menschen mehr schlecht als recht versorgen. Das möchte ich mir aber gar nicht vorstellen“, sagt Elke Rudolph. Sie würde es nicht wundern, wenn gut ausgebildete Pflegekräfte irgendwann der Vergangenheit angehören, denn schon heute verlassen viele ihren Beruf, weil sie es körperlich und psychisch nicht mehr schaffen. „Für mich und meine Kollegen ist der Beruf auch ein Stück weit Berufung, und wir wollen unseren Job gut machen“, stellt sie klar.

Gäbe es keine häusliche Pflege mangels Personal, müssten viele Patienten ins Heim, beispielsweise auch nur deshalb, weil keiner mehr regelmäßig Medikamente verabreicht oder den Blutzucker misst. „Ein Heimaufenthalt ist nicht billig. Die Sozialhilfe und damit der Steuerzahler müsste in vielen Fällen für die Kosten aufkommen“, zeigt sie eine Alternative auf.

Elke Rudolph appelliert deshalb an die Krankenkassen, endlich auf die Forderungen der Sozialverbände einzugehen und die Pauschalen deutlich zu erhöhen. „Das wäre ein klares Signal, dass viele Menschen auch weiterhin von ambulanten Diensten fachgerecht und zuverlässig zu Hause versorgt werden können“, so die Pflegerin. Ihr ganz persönliches Horrorszenario besteht aus immer weniger Pflegediensten oder „Billigpflege“, wo unterbezahlte, oft schlecht ausgebildete Pflegekräfte ihre Arbeit verrichten und der Mensch auf der Strecke bleibt. „So will ich mir das Alter nicht vorstellen“, sagt Elke Rudolph.