Bissingen. Andreas Karakas, 29, kennt Amelie Höfer, 21, aus einer Zeit, in der sie noch im Strampelhöschen im Kinderbettchen lag. Damals war er sieben Jahre alt. Für ihn war Amelie das erste Baby, das er von Geburt an aufwachsen sah und des-
sen Leben fortan parallel zu seinem verlief und verläuft. Das macht das besondere Verhältnis der zwei Geschwister aus. Der mehrfach behinderte junge Mann kam mit zwei Jahren 1986 als drittes Pflegekind zur Familie Höfer nach Bissingen.
Amelie Höfer sah schon früh in „Andi“, wie er von der Familie liebevoll genannt wird, einen besonderen Spielgefährten. Die beiden saßen miteinander in der Badewanne und „telefonierten“ mit dem Brausekopf der Dusche mit Oma. Sie fütterten miteinander die Ziegen und nahmen sie in den Arm. Sie fuhren als Kinder gemeinsam Fahrrad und freuten sich riesig darauf, mit ihren gepackten Köfferchen nach Kirchheim zur Tante verreisen zu dürfen. „Sie waren beide ganz lange auf einer Stufe beim Spielen und in ihren Interessen“, erzählt Andis „Mamma“ Cornelie Höfer.
Als Andreas die Rohräckerschule in Esslingen besuchte, kam Amelie zur Stippvisite vorbei. Nach seiner Schulzeit erhielt er einen Platz in der Werkstatt Oberboihingen der Behinderten-Förderung-Linsenhofen. Zur Freude Andis absolvierte Amelie von der Waldorfschule aus zwei Tage in der Woche ein Praktikum in der Werkstatt in Oberboihingen.
Mit der Fachhochschulreife in der Tasche leistete die junge Frau ein freiwilliges soziales Jahr in der Verbundschule Dettingen. Die Lehrer dort bewunderten Amelies selbstverständlichen Umgang mit den behinderten Schülern. „Für mich ist das nichts Ungewöhnliches, weil ich‘s von klein auf kenne“, sagt die 21-Jährige. „Ich wusste relativ früh, dass da etwas anders ist. Aber es gehört für mich trotzdem so dazu, wie es ist.“
Auch in Notfällen, etwa, wenn Andreas einen seiner epileptischen Anfälle bekommt, geht Amelie ganz souverän damit um, berichtet die Mutter der beiden.
Die Zeiten, in denen sie miteinander den ganze Tag spielen konnten und Andreas Amelie auf seinem Rolli chauffieren konnte, sind längst vorbei. Amelie Höfer geht ihrer Ausbildung zur Ergotherapeutin in Tübingen nach und kommt gegen 17 Uhr nach Hause. Andreas Karakas wird um 6.45 Uhr mit dem Bus abgeholt, der ihn in die Werkstatt nach Oberboihingen fährt. Viel Zeit, um miteinander abends etwas zu unternehmen, vor allem im Winter, bleibt nicht. Deshalb ist der Sommer Andis Jahreszeit. Dann setzt er sich auf sein Elektromobil und erkundet, was es in der Seegemeinde Neues gibt. Die Bissinger kennen den jungen Mann auf dem leise surrenden Gefährt und helfen ihm auch, wenn die Batterie ab und an den Geist aufgibt.
Am Wochenende steigt er gerne morgens auf sein Mobil, um beim Bäcker „Weckla“ für die Familie zu holen. Und reitet Amelie auf „Monti“ aus, bereitet es ihm Spaß, sie ein Stück Wegs mit seinem Elektro-„Pferd“ zu begleiten. Auch in der Reithalle hat er sie schon besucht und war bei Turnieren dabei.
Am meisten aber freut er sich, wenn er hört, in Kirchheim ist Märzen- oder Gallusmarkt und auf dem Ziegelwasen ist der Rummelplatz aufgebaut. Denn mit seiner „kleinen Schwester“ Boxauto zu fahren, ist für Andi das Größte. Und sind die Fahrgeschäfte weitergezogen, dann bleibt ihm immer noch sein Computerspiel, die „3D Fahrschule“. Dabei nicht in die Leitplanken zu krachen, erfordert einige Übung. Doch Andreas beherrscht das Metier und bleibt in der Spur.
Auch rhythmisch ist er gut unterwegs. Seit seiner Konfirmation 1998 lernt er Schlagzeug spielen. Benötigt Andi dazu die entsprechende Musik, dann fährt er mit Amelie in die Stadt, um neue Scheiben zu kaufen. „Meistens Bravo-Hits, denn die kennt er aus dem Radio“, schmunzelt Amelie.
Besonders schön empfinden es die beiden, wenn die ganze Familie im Sommer die Wochenenden im Wohnwagen auf der Wiese vor dem Dorf oder den Urlaub auf dem Campingplatz Sandseele der Bodensee-Insel Reichenau verbringt. Das sind glückliche Tage für Andi, der andererseits mitfühlend leidet, wenn es einem Familienmitglied schlecht geht. Etwa, wenn Amelie krank ist. Dann steigt er auf sein Elektromobil und fährt damit zum Gärtner, um eine Blume zu kaufen, damit für seine „beste Freundin“ wieder die Sonne scheint.