Kirchheim. Der Sachverständige, den die Verteidigung gefordert hatte, traf klare Aussagen: Zunächst einmal sei schon allein der Unfall, der sich am 4. März kurz vor 5 Uhr ereignet hatte, ganz typisch für einen alkoholbedingten Unfall, sagte der Tübinger Rechtsmediziner Frank Wehner. Wer nüchtern sei, fahre in Kurven nicht einfach geradeaus. Zur Frage der Verteidiger, ob das ganze Geschehen auch auf den vorhergegangen Streit mit der Freundin zurückzuführen sein könnte, meinte Professor Dr. Wehner: „Es gibt keine Studien über typische Unfälle nach einem Streit mit der Partnerin. Aber es gibt Studien zu alkoholbedingten Unfällen, und dieser Unfall ist ganz typisch dafür.“
Gleiches gelte für die Ausfallerscheinungen des Angeklagten: Mehrere Polizisten hatten im Zeugenstand wiederholt berichtet, dass der Mann am Unfallort nur langsam und schwankend ging, dass er beim Bücken fast das Gleichgewicht verlor und dass er mehrfach aufgefordert werden musste, die Straße zu verlassen, bevor er in der Lage war, der Aufforderung Folge zu leisten.
Für den Sachverständigen sind auch diese Schilderungen klare Hinweise auf Alkoholisierung. Natürlich seien einzelne Beobachtungen für sich genommen noch nicht eindeutig. Sie könnten im Einzelfall auch auf einen geringen Intelligenzquotienten, mangelnde Sprachkenntnisse oder ein Hüftleiden zurückzuführen sein. In der Gesamtbetrachtung sprächen sie aber für eine Alkoholisierung. Und der „psychische Schock“, von dem die Verteidigung nicht ablassen wollte und den Frank Wehner lieber als „psychische Alteration“ bezeichnete, spiele ebenfalls keine Rolle: „Der Unfall war für das Auto und für die Verkehrszeichen schwerwiegend, aber nicht für den Fahrer. Der war ja noch nicht einmal verletzt. Wie soll es da zu einer psychischen Beeinträchtigung kommen?“
Naturgemäß werteten die Verteidiger und die Vertreterin der Staatsanwaltschaft die Aussagen des Sachverständigen unterschiedlich. Während die Verteidigung trotzdem davon ausging, dass der Angeklagte nicht zwangsläufig alkoholbedingt fahruntüchtig gewesen sein muss, sagte die Staatsanwältin ganz deutlich: „Der Angeklagte war mindestens relativ fahruntüchtig. Wenn wir eine Blutalkoholkonzentration hätten, dann wären wir wahrscheinlich schon im absoluten Bereich.“ Die Behauptung am Unfallort, dass seine Partnerin gefahren wäre, habe nur den Zweck gehabt, eine Alkoholkontrolle beim Angeklagten zu verhindern. „Wenn Sie nüchtern waren, warum haben Sie dann die falschen Angaben gemacht?“
Der Mann sei wegen fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung und wegen falscher Verdächtigung zu einer Geldstrafe zu verurteilen. Sein Führerschein sei einzubehalten. Die mitangeklagte Partnerin und heutige Ehefrau sei wegen Vortäuschens einer Straftat – also wegen der Angabe, selbst gefahren zu sein – ebenfalls zu einer Geldstrafe zu verurteilen. Vom Vorwurf der versuchten Strafvereitelung sei wegen des Angehörigen-Privilegs abzusehen.
Die Verteidiger dagegen beantragten lediglich Geldstrafen wegen falscher Verdächtigung beziehungsweise Vortäuschens einer Straftat, im übrigen aber Freispruch. Sollte der Mann dennoch verurteilt werden, so sei ihm per Ausnahmeregelung weiterhin zu gestatten, 40-Tonner zu fahren. Beruflich sei er, zumal als Alleinverdiener, darauf angewiesen.
Richterin Franziska Hermle verhängte schließlich Geldstrafen in Höhe von 3 150 und 900 Euro und ordnete an, dass dem Angeklagten die Fahrerlaubnis für insgesamt zehn Monate zu entziehen ist. Dieses Fahrverbot gelte für Lastwagen ebenso wie für Pkw. Daran, dass er alkoholbedingt nicht mehr fahrtüchtig war, hatte die Richterin keinerlei Zweifel. Wegen dieser Fahrt, wegen des Versuchs, sie zu vertuschen, und wegen des Verhaltens im gesamten Verfahren sei der Angeklagte „charakterlich ungeeignet“, in nächster Zeit ein Fahrzeug zu führen. Die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes, der jetzt tatsächlich droht, sei nachvollziehbar, meinte die Richterin, fügte aber unmissverständlich hinzu: „Das gibt Ihnen nicht das Recht, Polizei und Justiz an der Nase herumführen zu wollen. Sie waren es nämlich, die sich nicht an die Spielregeln gehalten und Straftaten begangen haben, die keine Kavaliersdelikte waren.“