Zum Artikel „Viele Details, viele Probleme und nicht mehr viel Zeit“ vom 30. Januar
Das unsägliche Gerangel um eine Wahlrechtsreform bis zum Herbst 2021 und eine sich daraus ergebende Verkleinerung des Bundestags geht in eine weitere Runde: Ausgang höchst ungewiss. Hätte man dieses Thema gleich nach der letzten Wahl angepackt, wären die Chancen größer gewesen, doch vor allem CDU/CSU und SPD haben die Sache verschleppt. Über die Gründe braucht man nicht lange zu rätseln, stehen doch unter anderem Ausgleichs- und Überhangmandate auf dem Spiel, die zum entscheidenden Vorsprung an Sitzen führen können: Man sägt doch nicht am Ast, auf dem man sitzt! Dabei ist völlig klar, dass die steigende Abgeordnetenzahl den Bundestag weder effizienter macht noch dessen Debattenkultur verbessert, dass dagegen die Zahl der Hinterbänkler und „grauen Mäuse“ zunimmt, die nie im Plenum reden oder an Ausschüssen teilnehmen werden.
Dass ein auf möglicherweise über 800 Abgeordnete aufgeblähter Bundestag mit „Wasserkopfpotenzial“ dagegen immense Zusatzausgaben an Diäten, Personal- und Sachkosten verursacht, scheint für alle Verantwortlichen sekundär und „quantité négligeable“ zu sein: Der Steuerzahler ist ja endlos „schröpfbar“.
Ein Blick über den Tellerrand hinaus ist bei dieser Thematik aufschlussreich. Die USA mit 327 Millionen Einwohnern (Deutschland: circa 83 Millionen) beschäftigen unverändert seit 1911(!) im Repräsentantenhaus 435 Abgeordnete, bei 100 Senatoren in der zweiten Kammer, dem Senat. In Frankreich (67 Millionen) sitzen seit Jahren gleichbleibend 577 Abgeordnete in der Assemblée Nationale. Wird dort wegen der geringeren Zahl der Abgeordneten schlechtere Politik gemacht? Dies ist nicht belegt.
Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble scheint in puncto Wahlrechtsreform bis 2021 ohnehin skeptisch zu sein. Er hat im Dezember 2019 sicherheitshalber ein Genehmigungsverfahren für Bürocontainer für den kommenden Bundestag beantragen lassen: Na dann!
Dr. Ernst Kemmner, Kirchheim