Kirchheim. Ein gutes Jahr ist es her, dass das Projekt Comigo des Jugendmigrationsdienstes Nürtingen an den Start gegangen ist. Ziel des in Kirchheim und Nürtingen angesiedelten Hilfs-, Beratungs- und Fortbildungsangebots ist es, Jugendliche aus Zuwandererfamilien und deren Eltern bei der Integration zu unterstützen. Auch pädagogische Fachkräfte aus Jugendarbeit und Schulen sollen durch Weiterbildungen in ihrer Professionalität für die pädagogische Arbeit in der Einwanderungsgesellschaft gestärkt werden.
Die Befunde der PISA-Studie weisen laut Gisela Wolf auf ein Versäumnis deutscher Bildungspolitik und der Schulen hin. Aus Sicht der Comigo-Projektleiterin besteht das Problem der Heranwachsenden mit ausländischen Wurzeln und ihrer Eltern darin, dass sie von vielen Seiten unter einem Defizitblick gesehen werden, anstatt sie in ihren Fähigkeiten und Ressourcen zu stärken.
Verglichen mit der Zahl der deutschen Kinder und Jugendlichen, die die Hauptschule besuchen, seien Heranwachsende mit Migrationshintergrund dort deutlich überrepräsentiert, wie Gisela Wolf erklärt. „PISA hat damit deutlich gemacht, dass der schulische Erfolg insbesondere in Deutschland von der sozialen Herkunft und dem Migrationshintergrund abhängt.“ Um Chancengerechtigkeit herzustellen und Integration zu befördern, gilt es für Gisela Wolf, die strukturelle Benachteiligung der Betroffenen zu überwinden.
Das ist ein Ziel, dem sich das Projekt Comigo verschrieben hat, dessen Träger die Bruderhausdiakonie ist. Weiterbildungen sollen Pädagogen für die Lebensbedingungen von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund sensibilisieren. „Es mangelt an Informationen und an einem Bewusstsein für die Probleme der Betroffenen“, so Gisela Wolf. „Es muss darüber aufgeklärt werden, was Migration für die Zuwandererfamilien bedeutet, wodurch die rechtlichen Rahmenbedingungen sich auszeichnen, welchen Benachteiligungen diese Familien ausgesetzt sind und welche Herausforderungen sie bewältigen müssen.“ Integration sei eine Aufgabe, die von allen Beteiligt erbracht werden müsse.
Dementsprechend gehe es darum, Wege aufzuzeigen, wie Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund individuell gefördert werden können, um Bildungs- und damit Integrationserfolge möglich zu machen. Durch Ehrenamtliche, die selbst einen Migrationshintergrund aufweisen und als Multiplikatoren wirken, sollen insbesondere Eltern mit ausländischen Wurzeln erreicht werden. „Denn je besser die Eltern integriert sind, umso besser können sie ihre Kinder unterstützen“, sagt Hülya Kambir.
Die 37-Jährige, die sich als Multiplikatorin bei Comigo engagiert, erreicht viele türkischstämmige Eltern über die Migrantenvereine. Regelmäßig finden Treffen statt, bei denen die Teilnehmer beispielsweise über den Aufbau des deutschen Bildungssystems informiert werden. Doch die Arbeit der Ehrenamtlichen reicht weiter. „Wir begleiten Eltern auch in die Schulen und übersetzen bei Gesprächen mit Lehrern oder Rektoren“, so Nuriye Aydogdu, die bei Comigo in Ötlingen ebenfalls ehrenamtlich tätig ist. Die 38-Jährige erklärt, dass auf diese Weise Probleme gelöst werden können, die unter Umständen die Beziehung zwischen Lehrer und Schüler vor große Herausforderungen stellt.
Hülya Kambir betont, dass es Eltern mit Migrationshintergrund gebe, die aus den unterschiedlichsten Gründen aus der deutschen Gesellschaft ausgegrenzt sind. „Die Kinder und Jugendlichen wachsen daher zwischen den Stühlen auf“, so Kambir. „Unsere Treffen, Gespräche und Vorträge sollen den Eltern ihre Angst nehmen und sie ermutigen, sich stärker für die Kultur der Mehrheitsgesellschaft zu öffnen.“ So werde auch den Heranwachsenden vermittelt, dass sie nicht zwischen den Kulturen aufwachsen oder sich für eine Kultur entscheiden müssen. Vielmehr werden sie laut Hülya Kambir darin unterstützt, eine Identität zu entwickeln, die beide Lebenswelten miteinander vereint.
Insgesamt versteht sich Comigo damit als ein Projekt, das Brücken zwischen Jugendlichen, Eltern, pädagogischen Fachkräften und Migrantenorganisationen schlägt. Eine wichtige Voraussetzung, um eine Einbindung in lokale Netzwerke zu schaffen, in denen Menschen mit ausländischen Wurzeln Hilfe, Beratung und Unterstützung finden. Aber auch Diskriminierungserfahrungen werden auf diese Weise aufgefangen und kompensiert, wie Projektmitarbeiterin Katja Schuler betont. Damit können der Sozialpädagogin zufolge Menschen mit ausländischen Wurzeln ihre Erfahrungen, Kompetenzen und Talente einbringen. Diese Anerkennung ist aus Sicht Schulers ein wichtiger Schlüssel zur Integration.
Das Projekt Comigo ist auf drei Jahre angelegt. Danach soll die Arbeit durch die Multiplikatoren und die entstehenden lokalen Netzwerke fortgeführt werden, um Benachteiligungen entgegenzuwirken und Menschen mit unterschiedlichen kulturellen und ethnischen Hintergründen in ihrem Selbstvertrauen zu stärken. Das Projekt spricht nicht nur Personen mit türkischem Hintergrund an, sondern generell Menschen mit Migrationshintergrund.