Esslingen. Hans-Georg Wehling gehört auf dem Gebiet der Kommunalpolitik zu den bekanntesten Experten in Baden-Württemberg. Wenn es um Einschätzungen der Kräfteverhältnisse in den Rathäusern geht, ist er mit seinem fundierten Wissen ein gefragter Gesprächspartner. Bis heute verfolgt der Professor aus Reutlingen aufmerksam die Wahlgänge im Land. Um klare Worte ist er selten verlegen. Das gilt auch für die bevorstehende Oberbürgermeisterwahl in Esslingen. „Für Jürgen Zieger müsste es ein Leichtes sein, sein Amt zu verteidigen“, sagt er. Gefahr könnte dem SPD-Politiker nach Wehlings Einschätzung nur drohen, wenn eine überzeugende Gegenkandidatin ins Rennen gehen sollte. Die ist gegenwärtig aber nicht in Sicht.
Am heutigen Freitag wird die Stelle im Staatsanzeiger Baden-Württemberg offiziell ausgeschrieben – damit beginnt der Countdown für die Wahl am 28. September.
Zieger ist bislang der einzige Bewerber, der angekündigt hat, er werde seinen Hut in den Ring werfen. Freie Wähler und Grüne haben bereits deutlich gemacht, dass sie keine eigene personelle Alternative aufbieten werden. Unklar bleibt allein die Rolle der CDU. „Wir sehen keine Notwendigkeit, uns zum jetzigen Zeitpunkt festzulegen“, antwortet Margot Kemmler, die Vorsitzende des CDU-Stadtverbands, bis heute fast schon stereotyp auf die Frage nach einem möglichen Gegenkandidaten. Ihre Partei halte sich nach wie vor alle Optionen offen, sagt sie.
Für Beobachter der Esslinger Kommunalpolitik wird es dagegen immer unwahrscheinlicher, dass sich noch ein ernsthafter Herausforderer melden wird. Sie verweisen auf die bevorstehenden Ferien und auf die kurze Zeit, die für einen Konkurrenten noch bleiben würde, um das Vertrauen der Wähler zu gewinnen. Auch Wehling teilt diese Einschätzung. Versuche, einen erfahrenen OB aus dem Stand heraus zu kippen, hält er für wenig aussichtsreich.
Obwohl Zieger offiziell noch gar nicht in den Wahlkampf eingestiegen ist, bekräftigt er fast täglich seinen Führungsanspruch in Esslingen. Mit einer Vielzahl dienstlicher Auftritte sucht er den Eindruck zu vermitteln, die Geschicke der Stadt seien bei ihm in besten Händen. Einmal handelt es sich um einen Spatenstich, ein anderes Mal um eine Erfolgsbilanz in der Klimapolitik. Gleichzeitig ist das Bemühen offenkundig, Reibungsflächen zu vermeiden. So zurückhaltend, so diplomatisch wie in den vergangenen Monaten hat man den Oberbürgermeister in der Vergangenheit selten erlebt.
Sollte Zieger am Ende ohne ernsthafte Konkurrenz bleiben, wäre das laut Wehling für die Demokratie kein Beinbruch. „Ein Gegenkandidat, der in einer Situation wie in Esslingen immer mit einer Niederlage rechnen muss, riskiert schließlich viel“, sagt er und verweist auf die negativen Folgen für weitere Karrierepläne. Für den Politologen ist klar, dass es mit Blick auf Esslingen auch nachvollziehbare Gründe gibt, die Kosten eines Wahlkampfs zu scheuen. „Nach meinen Erkenntnissen müsste ein Herausforderer pro Einwohner ein bis zwei Euro investieren, um eine Chance zu haben“, sagt er.
Sollte die CDU tatsächlich darauf verzichten, Zieger die Wiederwahl streitig zu machen, empfiehlt Wehling einen offenen Umgang mit der Wahrheit. „Ich finde es in solchen Fällen immer richtig, klipp und klar zu sagen, dass man gegen einen überzeugenden Amtsinhaber keinen eigenen Kandidaten nominieren will.“ Zieger, auch das macht der Professor klar, stünde dann immer noch vor der Aufgabe, bei den Wählern um einen Vertrauensbeweis und eine akzeptable Beteiligung zu werben.
Die offenkundigen Probleme der CDU, einen eigenen Kandidaten zu finden, überraschen Wehling nicht. Er verweist auf die Tatsache, dass die CDU in keiner der neun Großstädte des Landes mit mehr als 100 000 Einwohnern den OB stellt. „Offensichtlich haben SPD und Grüne die zugkräftigeren Kandidaten.“ Zu den Persönlichkeiten in der CDU, die beim Wähler derzeit punkten könnten, zählt er Beatrice Soltys. Die Fellbacher Baubürgermeisterin fordert in Tübingen gerade Amtsinhaber Boris Palmer heraus. Zieger kann Wehling zufolge über diese Konstellation froh sein. „Sie hätte ihm gefährlich werden können.“
Nach der Ausschreibung der OB-Stelle am heutigen Freitag im Staatsanzeiger Baden-Württemberg können Kandidaten von Samstag, 0 Uhr, an, im Rathaus ihre Unterlagen einwerfen. Die Verwaltung wird um Mitternacht mit einer Kontrolle verhindern, dass es Bewerbungen „zur Unzeit“ gibt. Am Montag, 30. Juli, wird der Briefkasten um 7.29 Uhr geleert. Allen Bewerbungen, die zu diesem Zeitpunkt vorliegen, wird ein zeitgleicher Eingang bestätigt. Die Reihenfolge auf dem Stimmzettel wird per Los ermittelt. Spätere Bewerbungen werden in der Reihenfolge der Abgabe berücksichtigt. Am 2. September, 18 Uhr, endet die Bewerberfrist. Der erste Wahlgang findet am 28. September statt. Ein zweiter Wahlgang würde – sofern erforderlich – drei Wochen später am 19. Oktober erfolgen.