Wie Menschen den Ruhestand erleben – Heute: Albrecht Narr aus Weilheim
Das Lesen als große Leidenschaft

Weilheim. Albrecht Narr war Richter mit Leib und Seele. Niemals hätte er es sich früher vorstellen können, ohne seinen Beruf zu leben. Heute jedoch tut er genau das – und ist sehr 
glücklich damit. „Ich habe es geschafft, einen ganz neuen Lebensabschnitt zu beginnen. Und darauf bin ich stolz“, sagt der ehemalige Richter am Kirchheimer Amtsgericht.

32 Jahre lang war der Weilheimer in der Teckstadt als Richter tätig. Seiner Arbeit sei er sehr gerne nachgegangen, betont er. Doch in den letzten Jahren sei der Druck immer größer geworden, der Stress habe mehr und mehr zugenommen. Deshalb beschloss der heute 69-Jährige, am 1. Januar 2006 in den vorgezogenen Ruhestand zu gehen. Seine Entscheidung hat er seither „noch keinen einzigen Tag“ bereut. Und langweilig wird es ihm sowieso nicht. Das liegt aber keineswegs daran, dass der 69-Jährige überaus vielen Hobbys nachgeht. Vielmehr genießt er es, auch einfach nur zu Hause zu sein und es sich dort gemütlich zu machen. „Er bringt es fertig, den ganzen Tag zu lesen“, erzählt seine Ehefrau Eva schmunzelnd.

Albrecht Narr bezeichnet sich als „Leseratte von klein auf“. „Ich lese alles – Historisches, aktuelle Politik, aber auch Romane“, zählt er auf. Auch der eine oder andere Liebesroman findet den Weg in die Hände des pensionierten Richters. „Als ich in den Ruhestand kam, war es für mich das Schönste, einfach hinzusitzen und zu lesen“, schwärmt der Weilheimer.

Seine 63-jährige Frau, die als freiberufliche Musiklehrerin vor allem Kindern und Jugendlichen Klavier- und Blockflötenunterricht gibt, tat sich damals zuerst schwer mit dem Gedanken, dass ihr Mann in den Ruhestand kommt. „Ich hatte Angst und konnte es mir nicht vorstellen, dass er zufrieden damit ist“, erinnert sie sich. Außerdem habe sie befürchtet, dass „ich mich dann verstärkt um ihn kümmern muss.“ Schnell wurde jedoch klar, dass Albrecht Narr sehr gut zurechtkommt – und dass der Ruhestand einen Gewinn für ihn und seine Frau darstellt. Die dritte Lebensphase gehöre zu den „schönsten Zeiten, die man im Leben hat – vorausgesetzt, man ist gesund“, sagt der Weilheimer.

Eva Narr musste sich trotzdem zunächst an die Ruhe gewöhnen, mit der sie und ihr Mann seit seinem Ruhestand in den Tag starten. Auch ihre Arbeitszeit hatte sie entsprechend angepasst. So wird morgens in der Regel kein Wecker mehr gestellt, der das Ehepaar aus dem Schlaf reißt. Außerdem wird gemütlich gefrühstückt. Dazu gehört auch eine ausgiebige Lektüre des Teckboten, betonen die Eheleute unisono. „Früher ging mein Mann um kurz nach 7 Uhr aus dem Haus. Dann kümmerte ich mich um den Haushalt, und um 9 Uhr war meine Musik an der Reihe“, erinnert sich Eva Narr und fügt lächelnd hinzu: „Heute sind wir um 9 Uhr noch beim Lesen des Teckboten.“

Nach dem Frühstück übernimmt Albrecht Narr gerne den Einkauf. Außerdem greifen er und seine Frau drei Mal in der Woche zu den Nordic-Walking-Stöcken und drehen im Wald einige Runden. Nachmittags stehen für Albrecht Narr dann Gartenarbeit, Tennis spielen, Lesen oder Arbeiten im Rahmen seiner kommunalpolitischen und ehrenamtlichen Tätigkeiten auf dem Programm. So gehört der Weilheimer seit 28 Jahren dem örtlichen Gemeinderat an. Außerdem ist er im Vorstand des Sozialen Netzes Raum Weilheim und beim Weilheimer Seniorenforum engagiert. Für Letzteres fährt er ältere Menschen aus Weilheim nach Beuren ins Thermalbad oder zum Arzt. Für das Soziale Netz ist er als Protokollführer tätig und hilft zum Beispiel beim Organisieren von Seniorennachmittagen.

Albrecht Narr besucht mit seiner Frau aber auch gerne Klassik-Konzerte im Raum Stuttgart. Außerdem haben es dem Ehepaar Städtereisen angetan. Auf Trab halten die Eheleute auch ihre drei Kinder und zwei Enkelkinder. „Mit meinem neun Jahre alten Enkel spiele ich stundenlang Fußball, wenn es sein muss“, erzählt Albrecht Narr.

In seinem Bekanntenkreis kennt er manche Ruheständler, „die nichts mit ihrer freien Zeit anzufangen wissen“. Ihnen empfiehlt er, sich nicht unter Druck zu setzen. „Ich kann auch einfach mal nichts machen“, betont er, um grinsend hinzuzufügen: „Daran stört sich meine Frau vielleicht ab und an ein bisschen.“

Allerdings sollte man sich dennoch rechtzeitig über seinen Ruhestand Gedanken machen und sich damit auseinandersetzen, betont der 69-Jährige. Denn nur daheim zu sitzen, sei nicht der richtige Ansatz. Hobbys und vielleicht eine ehrenamtliche Tätigkeit würden dabei helfen, nicht in das berühmt-berüchtigte Loch zu fallen. Wichtig sei es auch, Freundschaften und gute Beziehungen zu Nachbarn zu pflegen. Überhaupt ist es für Albrecht Narr unerlässlich, mit den Menschen in seinem Umfeld im Gespräch zu sein und zu bleiben.

Niemals aufgeben möchte er aber auch seinen ganz persönlichen „Rückzugsort“: einen urig-alten Sessel, der Eva Narrs Großmutter gehörte und der im Untergeschoss des Narr‘schen Heimes vor einem Fernsehgerät steht. Hier findet Albrecht Narr genügend Ruhe, um zu lesen oder Fußballspiele zu verfolgen.

„Seit meinem Ruhestand kann ich es mir leisten zu sagen: Nein, heute habe ich keine Lust, zum Beispiel auf Gartenarbeit. Morgen ist auch noch ein Tag“, beschreibt Albrecht Narr. Und genau das sei das Schöne am Rentnerdasein . . .