Kirchheim. Oft sind die Mediziner zwar nicht mit ihrer Kunst am Ende, ihre Hilfe kommt schlichtweg zu spät: „Über 90 Prozent der Schlaganfall-Patienten kommen nicht schnell genug ins Krankenhaus“, sagt Dr. Uwe Mauz, Chefarzt der Klinik für Neurologie in Kirchheim. Das ist tragisch, denn je früher die Behandlung einsetzt, desto größer ist die Chance, dauerhafte Schäden zu vermeiden oder zu reduzieren.
Der ideale Behandlungsverlauf bei einem Schlaganfall sieht etwa so aus: Der Patient bemerkt den Schlaganfall sofort selbst anhand verschiedener Symptome wie Lähmungen, Schwächegefühlen und Kribbeln nur auf einer Körperseite. Über die Telefonnummer 112 fordert er schnelle Hilfe an und wird kurz darauf ins Kirchheimer Krankenhaus gebracht. Hier wird mittels Computertomografie (CT) eine Hirnblutung ausgeschlossen, die Lyse-Behandlung kann beginnen. Das bedeutet, dass über eine Infusion das Blutgerinnsel im Hirn aufgelöst wird, das den Schlaganfall verursacht hat. Detailliertere Untersuchungen und eine Phase intensiver Überwachung folgen, später schließt sich eine Rehabilitationsphase an.
Doch der Idealfall ist selten. „Ein Schlaganfall tut nicht weh“, erläutert Uwe Mauz, weswegen Betroffene oft erst viel zu spät den Weg zum Arzt finden. Dabei, so predigt der Neurologe, sollten Anzeichen für ein „Schlägle“, wie‘s im Volksmund verniedlichend heißt, unbedingt ernst genommen werden: Ist eine Hauptarterie verstopft, stellt das Gehirn seine Arbeit ein. Wird es schnell genug wieder mit Sauerstoff versorgt, kann man viele Funktionen retten. Rechtzeitig, das bedeutet innerhalb von drei bis vier Stunden. Doch weniger als zehn Prozent der rund 900 Schlaganfallpatienten, die jährlich im Kirchheimer Krankenhaus eintreffen, liegen noch in diesem wichtigen Zeitfenster. Viele andere nehmen die Symptome, zu denen auch Schwindel, Sprech- und Sehstörungen gehören können, nicht ernst. Andere leiden an vorübergehenden Symptomen, einer sogenannten transitorischen ischämischen Attacke (TIA), die aber oft Vorbotin eines Schlaganfalls ist. Manche werden im Schlaf vom Schlaganfall überrascht. Charakteristisch ist: Der Schlaganfall kommt „schlag“-artig.
Um die Bevölkerung zu sensibilisieren und somit Leben zu retten sowie Lebensqualität zu erhalten, beteiligen sich die Kreiskliniken Esslingen morgen in Kirchheim und am Montag in Nürtingen an den landesweiten Aktionstagen „Notfall Schlaganfall – Zeit ist Hirn“. Mit von der Partie sind das Deutsche Rote Kreuz, Selbsthilfegruppen und die AOK.
„Wir haben uns die gute medizinische Versorgung vor Ort auf die Fahnen geschrieben, setzen uns aber auch für Aufklärung ein“, betont Thomas Schneider, der stellvertretende Geschäftsführer der AOK Neckar-Fils, und verweist auf Angebote, die die Themenbereiche Entspannung, Ernährung und Bewegung umfassen. „Ein bisschen was tun ist unendlich viel besser als gar nichts tun“, freut sich der Gesundheitsfachmann auch über kleine Fortschritte. Neben effektiven Präventionsprogrammen gibt es auch viele Angebote für bereits kranke Menschen, die diesen dabei helfen, wieder fitter zu werden. „Hier bewähren sich unsere ortsnahen Strukturen“, betont Schneider. So kooperiert der Soziale Dienst mit zahlreichen Ansprechpartnern zum Wohle des Patienten.
Eine ganz wichtige Rolle für Schlaganfallpatienten in der Region spielt die von Egon Waldstett gegründete Selbsthilfegruppe. Waldstett, der selbst im Alter von 48 Jahren durch einen Schlaganfall schlagartig aus seinem bisherigen Leben gekegelt wurde, kann nachvollziehen, wie sich frisch Erkrankte fühlen. Mittlerweile nehmen über 70 Menschen an den Angeboten der Gruppe teil, pflegen Austausch und Geselligkeit. Unter den Mitgliedern sind immer mehr jüngere Leute. – Die Zahl der Schlaganfälle steigt.