Lokales

„Absurde und teure Überflughilfe“

Ornithologe und NABU-Vorsitzender Dr. Wulf Gatter kritisiert Erdwall an den Wernauer Seen

Sehr oft, wenn früher Erd­massen, Bauschutt und Fabrikationsreste entsorgt worden sind, hat die Natur herhalten müssen. Siehe Lettenseen ­Kirchheim. Dass das aber auch heute noch so ist, etwa an den Wer­nauer Baggerseen, ärgert den Ornithologen und ­Vorsitzenden des NABU ­Kirchheim, Dr. Wulf Gatter.

Für den Kirchheimer Vogelflugexperten Dr. Wulf Gatter wird hier der Unsinn einer ¿Überflughilfe¿ besonders deutlich: Der niedrig
Für den Kirchheimer Vogelflugexperten Dr. Wulf Gatter wird hier der Unsinn einer ¿Überflughilfe¿ besonders deutlich: Der niedrige Damm (linkes Foto) schützt Vögel weder vor dem Verkehr auf der Bundesstraße noch hilft er ihnen über die Brücke. Die rote Streifen auf dem großen Foto markieren den Verlauf des Erdwalls. Auch hier ist rechts unten die Brücke über die Bundesstraße zu sehen.Foto: privat

Kirchheim. Was von den behördlichen Naturschützern im Regierungspräsidium Stuttgart als „Überflughilfe“ für Vögel und Sichtschutz für Fledermäuse angepriesen wird, ist für den Kirchheimer Vogelflugexperten Dr. Wulf Gatter ein nutzloses und dazuhin noch sündhaft teures Unterfangen. Den eigentlichen Grund für den rund 700 Meter langen „Schutzwall“ zwischen den Wernauer Baggerseen und der Bundesstraße B 313 in Fahrtrichtung Plochingen sieht Dr. Gatter in der permanenten Suche der Behörde nach billigen Unterbringungsmöglichkeiten für Erdaushub. „Hier wird Material kostengünstig auf öffentlichem Grund entlang eines Naturschutzgebiets entsorgt.“ Die Kosten der rund 600 000 Euro teuren „Überflughilfe“ bezahlt nämlich der Bund aus dem Konjunkturprogramm II. Das Land muss daher nicht für eine teure Entsorgung auf Erddeponien in die eigene Tasche greifen. Wulf Gatter mag gar nicht dran denken, was alles sinnvollerweise mit dem Geld hätte finanziert werden können. „Damit hätte die Stiftung Wernauer Baggerseen über Jahrzehnte hinweg durch vielerlei Maßnahmen die Naturschutzgebiete aufwerten können.“

Die 12 000 Kubikmeter Erde, die entlang der B 313 abgeladen werden, stammen von der Autobahnbaustelle, speziell vom Kreisel Mühlhausen/Gruibingen, aus dem Vorlos der Firma Leonhard Weiß, wo das Material seit einigen Jahren lagert. „Offenbar war der schon vor der Ausschreibung für Wernau vorgesehen“, vermutet Dr. Gatter. Etwa sechs Lastwagen pro Stunde karren den Autobahnaushub ins Neckartal und liefern ihn über das Naturschutzgebiet an, was die Tiere dort enorm stört.

„Seriöse Untersuchungen, die die Unfallträchtigkeit der Vögel an dieser Stelle der Bundesstraße belegen würden, gibt es nicht“, weiß Dr. Gatter. Die Verluste durch Querverkehr seien nicht höher wie die vergleichbarer Straßen. „Die Maßnahme lenkt davon ab, dass es auf anderen Straßen zahlreiche Vogelverluste gibt, die niemand weiter beachtet und wo niemand auf die Idee kommt, Überflughilfen zu bauen“, so der Kirchheimer NABU-Vorsitzende.

Das Pikante an der Wernauer „Überflughilfe“: Die zwei 500 beziehungsweise 250 Meter langen Teilstücke werden vom Niveau des Naturschutzgebiets gut drei Meter hoch aufgeschüttet. Dafür mussten bis zu 15 Meter hohe Bäume weichen, die Vögel zuvor abhielten, im Tiefflug über die Straße zu gleiten. „Selbst, wenn der Damm bepflanzt wird, dauert es Jahre, bis die Höhe der alten Bäume wieder erreicht wird“, sagt Dr. Wulf Gatter. Und auch das Argument „Amphibienschutz“ treffe nicht zu: „In Wernau gibt es keine wandernden Amphibienarten, die eine Rolle spielen würden“, so Gatter.

Der ausgewiesene Ornithologe kennt ebenso wie sein Mitstreiter Johann Waskala aus Wernau das vogelreiche Biotop wie seine Westentasche. Bereits 1967 verfasste er für die Jahreshefte der Gesellschaft für Naturkunde in Württemberg den Text „Die Vogelwelt der Wernauer Baggerteiche.“

Elf Jahre zuvor hatte Johann Waskala den damals 14-jährigen Wulf Gatter zum ersten Mal auf die Schönheiten der Vogelwelt der Wernauer Baggerseen aufmerksam gemacht. Seither verfolgen die beiden, aber nicht nur sie, sehr genau, wie Mensch und Tier in dem Naturschutzgebiet agieren.

Wie Waskala, so erachtet auch Dr. Wulf Gatter die Zahl der Flüge der Wasservögel über die Bundesstraße als gering. „Die Vögel ziehen auf ihrem Frühjahrszug entlang des Ne­ckars, und Graugänse, Graureiher und Kormorane brüten innerhalb des Naturschutzgebiets und queren nicht in Richtung Wald.“

Viel gefährlicher als die Bundesstraße sind für die Zugvögel die Hochspannungsleitungen, die über dem Naturschutzgebiet hängen. In deren Bereich finden Naturschützer immer wieder tote Schwäne, Enten und andere gefiederte Flieger. Kleinere Opfer werden regelmäßig von Füchsen abgeräumt. Auch treiben an der Staustufe im Neckar bei Altbach immer wieder Gänse, Enten, Säger und andere Wasservögel mit gebrochenen Flügeln an, die in die Drähte geflogen waren.

Für das Kirchheimer Vorstandsmitglied im Landesnaturschutzverband und im NABU-Landesverband ist die Strategie der Erdentsorgung entlang der B 313 kein Einzelfall. Zwischen Unterensingen, Wendlingen und Wernau reihten sich noch vor einigen Jahrzehnten dicht an dicht ornithologisch wertvolle Baggerseen aneinander. Gatter: „Dort sind in dieser Zeit unzählige Auffüllaktionen gelaufen, die das Gebiet weit aus dem ehemals grundwassernahen Bereich herausgehoben haben“. Haushaltsmüll wie am Grienwiesensee bei Unterensingen sei ebenso in die Seen gekippt worden wie Fabrikationsabfälle einer Papierfabrik. Jahrelang sei es zu illegalen Auffüllungen durch die Eigentümer gekommen, als bekannt wurde, dass das Naturschutzgebiet Wernauer Baggerseen in Planung ist.

Große Teile des Schutzgebietes liegen unter Strommasten und sind für weitere Nutzungen ungeeignet. „Solche Flächen werden gerne als Naturschutzgebiete ausgewiesen“, weiß der NABU-Vorsitzende und verweist auf das Wiestal Rauber bei Jesingen und die Kirchheimer Lettenseen, eingeklemmt zwischen Autobahn und Stadt. In Kirchheims vormals wertvollstes Feuchtgebiet wurde Abbruchmaterial aus dem alten Bahnhof der Teckstadt und dem Gleiskörper geschüttet, später der nicht mehr erwähnenswerte Rest als Naturdenkmal geschützt und mit teuren Folienteichen zum Naturschutzgebiet aufgepeppt.

Für den Pressesprecher des Regierungspräsidiums Stuttgart, Dr. Clemens Homoth-Kuhs, ist es völlig legitim „verzahnt zu arbeiten“. Er bezeichnete die Maßnahe an den Wernauer Teichen als sinnvoll, da sie nicht nur Vögel, sondern auch Amphibien und Fledermäuse schütze. Freilich gab er zu, dass Zahlen über mit Autos kollidierte Zugvögel nicht existieren und solche Unfälle auch nicht statistisch erfasst werden.

Das Regierungspräsidium habe rasch den Antrag beim Bundesverkehrsministerium stellen und die Maßnahme sehr schnell umsetzen müssen, um das Geld aus dem Konjunkturpaket zu erhalten, das für Grünbrücken, Überflughilfen und ähnliches bereitgestellt wurde.

Baggerseen - B 313 - Wernau†berflughilfe an den Wernauer BaggerseenDamm, Erdwall
Baggerseen - B 313 - Wernau†berflughilfe an den Wernauer BaggerseenDamm, Erdwall