Lokales

Alles ist besser als Nichtstun

Auch in Kirchheim arbeiten Flüchtlinge für 1,05 Euro pro Stunde – allerdings nicht als Kofferträger

In Schwäbisch Gmünd hat Oberbürgermeister Richard Arnold, der Asylbewerber für 1,05 Euro die Stunde zum Koffertragen animierte, mächtig Prügel bezogen. Im Internet beschimpfte man ihn als Ausbeuter und Rassist. Auch in Kirchheim arbeiten Flüchtlinge für einen solch geringen Lohn. Ausgebeutet fühlen sie sich – ebenso wie die Gmünder Kofferträger – nicht.

Asylbewerber Mohammed Afzal Samady (rechts) geht Hausmeister Alexander Hammel täglich zwei bis drei Stunden zur Hand.Foto: Jean-
Asylbewerber Mohammed Afzal Samady (rechts) geht Hausmeister Alexander Hammel täglich zwei bis drei Stunden zur Hand.Foto: Jean-Luc Jacques

Kirchheim. Koffer tragende Asylbewerber, wie sie in Schwäbisch Gmünd und darüber hinaus für Empörung gesorgt haben, gibt es in Kirchheim nicht. Dafür aber ein Ehepaar, das in der Unterkunft für Flüchtlinge in der Charlottenstraße arbeitet – quasi vor der eigenen Haustür. Mohammed Afzal Samady, der dort mit Frau und drei Kindern drei Jahre lang auf den Abschluss seines Asylverfahrens gewartet hat, geht dem dortigen Hausmeister als Helfer zur Hand. Seine Frau Gulsum Mehrabi Samady betreut die Kleiderkammer, aus der die Flüchtlinge sich bedienen dürfen.

Beide erhalten für ihre Arbeit vom Esslinger Landratsamt, dem Träger der Unterkunft, 1,05 Euro pro Stunde. Mehr ist wegen des Asylbewerberleistungsgesetzes, unter das Flüchtlinge in Deutschland fallen, nicht drin. Die Arbeit muss gemeinnützig sein, darf nicht mehr als 80 Stunden monatlich umfassen und keinen anderen Job ersetzen. Theoretisch dürften Flüchtlinge nach einem Jahr im Asylverfahren auf dem freien Arbeitsmarkt arbeiten. Praktisch scheitert das aber in der Regel an fehlenden Sprachkenntnissen und daran, dass es sogenannte bevorrechtigte Arbeitnehmer gibt – Deutsche, EU-Ausländer und anerkannte Flüchtlinge.

Für viele Asylbewerber ist das ein Problem. Denn in der Unterkunft, in der sie monate- oder sogar jahrelang auf den Abschluss ihres Verfahrens warten müssen, sind sie zum Nichtstun verdammt – ein Umstand, dem der Gmünder Oberbürgermeister laut eigener Aussage mit dem Projekt Kofferträger abhelfen wollte. Auch die Samadys, die vor dem Krieg aus Afghanistan geflohen sind, haben drei Jahre in der Staatlichen Unterkunft in Kirchheim gelebt. Seit zwei Jahren gehen die Eheleute dort ihrer Arbeit nach. Seitdem hat der Tag wenigstens ein bisschen Struktur. „Um sieben Uhr morgens beginne ich mit der Arbeit. Jeden Tag arbeite ich zwei oder drei Stunden, helfe dem Hausmeister beim Saubermachen, Mülleimer leeren oder Sperrmüll wegbringen“, sagt Mohammed Afzal Samady, der in seiner Heimat als Automechaniker gearbeitet hat. Natürlich seien 1,05 Euro wenig Geld. „Aber es ist besser, als den ganzen Tag zu schlafen“, sagt er, und seine Frau stimmt ihm zu. Ende August dürfen die Samadys aus der staatlichen Unterkunft in eine eigene Wohnung ziehen, der lang ersehnte Pass ist endlich da. Dann werden sich die beiden auf dem freien Arbeitsmarkt nach Jobs umsehen müssen.

Marianne Gmelin, Kirchenbezirksbeauftragte des Arbeitskreises Asyl in Kirchheim, weiß, wie wichtig solche Arbeitsgelegenheiten für Flüchtlinge sind. „Natürlich sind die 1,05 Euro eine Sauerei. Aber solche Jobs sind wichtig, damit die Leute mal rauskommen und etwas zu tun haben“, sagt sie. Rassistisch fand sie die Kofferträger-Aktion in Schwäbisch Gmünd überhaupt nicht. „Der Oberbürgermeister wollte den Flüchtlingen ermöglichen, sich irgendwie zu betätigen“, sagt sie.

Gmelin, deren Arbeitskreis sich um die Flüchtlinge in der Charlottenstraße kümmert, kennt viele, die wegen des Arbeitsverbots ehrenamtlich tätig sind – einfach, um etwas zu tun zu haben. Auch Renate Hirsch, AK-Mitglied und Mitarbeiterin der Beratungsstelle für anerkannte Flüchtlinge chai, ist eine Afrikanerin in Erinnerung, die regelmäßig unentgeltlich bei der Sanwald-Stiftung aushalf. „Das war wichtig für sie, da hat sie dazugehört“, sagt Renate Hirsch. Außerdem sei das Engagement jetzt, da sich die Frau um Arbeitsstellen bewerben müsse, möglicherweise ein Pluspunkt.

Marianne Gmelin findet jedoch, dass man Flüchtlinge schon früher arbeiten lassen müsste – und zwar nicht nur in gemeinnützigen Jobs. Es ist für sie der richtige Ansatz, dass Deutschland Flüchtlingen im Asylverfahren künftig schon ab neun Monaten Zugang zum freien Arbeitsmarkt gewähren will. Praktisch weiß sie jedoch um die Probleme. „Asylbewerber dürfen nach wie vor nur nachrangig beschäftigt werden. Die Arbeitsagentur muss also prüfen, ob es für den Job nicht einen deutschen Bewerber, einen EU-Bewerber oder einen türkischen Bewerber gibt“, sagt sie. Ein Arbeitgeber müsse schon sehr hartnäckig sein und den Asylbewerber unbedingt wollen, um sich diesem bürokratischen Aufwand zu stellen.

Auch Angelika Matt-Heidecker ist dafür, Flüchtlinge schon früher arbeiten zu lassen – und zwar auf dem freien Arbeitsmarkt. „Ich finde es wichtig, dass Menschen für ihre Arbeit den entsprechenden Gegenwert bekommen“, sagt die Oberbürgermeisterin. Es sei ein Menschenrecht, dass jeder seiner Qualifikation entsprechend etwas leisten könne. Auch wenn Angelika Matt-Heidecker dagegen ist, Flüchtlinge nur zu gemeinnütziger Arbeit heranzuziehen, kann sie die Empörung wegen des Kofferträger-Projekts in Schwäbisch Gmünd nicht nachvollziehen. „Für mich wollte der Oberbürgermeister aufrütteln“, sagt sie. Sie selbst kann sich vorstellen, sich mit dem Arbeitskreis Asyl und Flüchtlingen zusammenzusetzen, um darüber zu sprechen, welche Arbeitsmöglichkeiten in Kirchheim für sie denkbar wären.