Lokales

„Angela Merkel ist ein Rockstar“

Neujahrsempfang der IHK in der Nürtinger Stadthalle K3N mit über 300 Gästen

Die Deutschen sind die Lieblingsfeinde der Briten, die Amerikaner finden Angela Merkel toll, und in China heißt Deutschland gar „Land der Tugendhaften“. Welches Bild der Deutschen sich der Rest der Welt macht, schilderte Andreas Kluth, Deutschlandkorrespondent des „Economist“, beim Neujahrsempfang der IHK-Bezirkskammer Esslingen-Nürtingen.

Die drei Redner des Abends im Gespräch: Andreas Kluth, Heinrich Baumann und Hilde Cost (von links).Foto: psa
Die drei Redner des Abends im Gespräch: Andreas Kluth, Heinrich Baumann und Hilde Cost (von links).Foto: psa

Nürtingen. „Eine doppelte Staatsbürgerschaft ist eine einsame Identität“, sagte Andreas Kluth, der einen deutschen und einen amerikanischen Pass besitzt, in der Nürtinger Stadthalle K3N. In den USA gelte er als Deutscher, hierzulande als Amerikaner. Vielleicht hat der Gastredner des IHK-Neujahrsempfangs deshalb einen so differenzierten und humorvollen Blick auf Deutschland und das Bild der Deutschen in der Welt entwickelt.

Als Korrespondent des britischen Wirtschaftsmagazins „The Economist“ schreibt er für eine internationale Leserschaft und konnte sich in den vergangenen Jahren auf Stationen in China, Großbritannien und den USA ein Bild davon machen, wie man die Deutschen sieht und was man von ihnen erwartet. So sei die Rolle Deutschlands während des Zweiten Weltkriegs beispielsweise in China kein Thema. „Die deutsche Vergangenheit ist nicht wichtig“, sagte Kluth. Ganz im Gegenteil zu Großbritannien: „Die Engländer brauchen die Deutschen als ihre Feinde, um sich wohlzufühlen.“ Das sei ein Teil des Nationalstolzes, insbesondere in der britischen Unterschicht.

Die Oberschicht indes – das Klassendenken spiele auf der Insel noch eine wichtige Rolle – habe ein anderes Problem mit den Deutschen: Sie halten sie für humorlos. Ihnen fehle der feine britische Sinn für Humor, der vor allem durch seine Ironie geprägt ist. „Wir schießen mit Worten immer knapp am Ziel vorbei, um es einzukreisen“, beschrieb Kluth diesen Humor, den auch der „Economist“ pflege. „Die Deutschen hingegen schießen immer mitten rein, wie Wilhelm Tell in den Apfel.“

In den USA sei das Bild der Deutschen lange von den Verbrechen der Nazizeit geprägt gewesen. Erst in den 80er Jahren habe sich das geändert. Drei B’s hätten den Wandel verdeutlicht, betonte Kluth: „BMW, Bier und Boris Becker.“ Auch die derzeitige Bundeskanzlerin erfreue sich bei den Amerikanern großer Beliebtheit, was er auch bei seiner Arbeit spüre: „Angela Merkel ist ein Rockstar“.

Gerade die deutsche Vergangenheitsbewältigung komme international sehr gut an. „Amerikaner und Engländer sind begeistert davon, wie tapfer sich die Deutschen ihrer Vergangenheit gestellt haben.“ Als Beispiele nannte er die Stolpersteine, die an Opfer des Holocaust erinnern, und das Reichstagsgebäude in Berlin. Dort wurden russische Graffiti erhalten.

„Als ich das zum ersten Mal gesehen habe, dachte ich mir, in Paris, London oder Peking wäre das unmöglich.“ Dass Deutsche vor allem bei Amerikanern als steif und verkrampft gelten, sei auch auf die deutsche Formalität zurückzuführen. „In Deutschland sind Titel sehr wichtig“, sagte Kluth. Auch das Siezen sei für Menschen aus dem angelsächsischen Sprachraum gewöhnungsbedürftig. Im Gegensatz zu den USA erwarte man hierzulande auch sehr viel vom Staat. In Amerika zahle man weniger Steuern, gebe dafür aber sehr viel Geld für Spenden aus – beispielsweise für die ehemalige Universität, die Kirchengemeinde oder soziale Einrichtungen. Auf die Frage, welche Rolle Deutschland in Europa spielt, hat Kluth keine endgültige Antwort. Über die „deutsche Frage“ mache man sich auf dem Kontinent schon seit dem Dreißigjährigen Krieg Gedanken, ergänzte er. Nun sei sie aber wieder gegenwärtiger denn je: „Viele in den angelsächsischen Ländern glauben, der Euro muss gerettet werden, indem Deutschland die Führung übernimmt – also zahlt“. Denn Deutschland stehe für die Einhaltung der Regeln, auch wenn dies manchmal besserwisserisch und belehrend wirke. Die Diskussion über die Führungsrolle Deutschlands in Europa werde unter Wissenschaftlern in den USA und Großbritannien heiß diskutiert. „Aber in Deutschland findet diese Debatte nicht statt.“ Stattdessen führe man Wahlkampf um Betreuungsgeld und andere kleine Themen.

Die Strukturen der Europäischen Union seien für viele Länder außerhalb der EU schwer zu verstehen. Deshalb formulierte Kluth die Frage frei nach Henry Kissinger: „Wenn ich Europa anrufen soll, wen rufe ich dann an?“. Die Antwort sei für Chinesen und Amerikaner klar: das Kanzleramt.

An die gleiche Adresse richtete IHK-Präsident Heinrich Baumann seinen Appell für eine zukunftsfähige Wirtschaft. Die wichtigsten Ziele einer Regierung müssten Beschäftigung, nachhaltige Haushaltspolitik, Investitionen in die Zukunft, eine funktionierende und bezahlbare Energiewende und weitere Strukturreformen sein. Doch gerade daran mangele es. Stattdessen werde Arbeit verteuert und unflexibler. Es werde ein Ausgabenprogramm aufgelegt, das zwar ohne Steuererhöhungen auskomme, aber bei einer leichten Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage unfinanzierbar werde. Die Regierung mache größere Spielräume für Investitionen in Infrastruktur beinahe unmöglich und habe bisher kein zielführendes Konzept für den Umbau der Energieversorgung.

Baumanns erstes Jahr als IHK-Präsident sei bemerkenswert gewesen, weil zum ersten Mal eine größere Zahl von IHK-Kritikern in die Entscheidungsgremien gewählt wurde. „Das hat die Arbeit sicherlich verändert.“ Im Umgang miteinander gebe es noch einiges zu verbessern, „um wieder zu effektiver und effizienter Kammerarbeit in vernünftigem Ton zurückzufinden“.

Hilde Cost, leitende Geschäftsführerin der IHK-Bezirkskammer, kritisierte in ihrer Rede die staatliche Regulierungswut: „Verschonen Sie die Unternehmen mit weiteren gut gemeinten Regulierungen“, schrieb sie den Politikern ins Stammbuch. Auch das Thema Frauen in Führungspositionen griff sie auf. Mit einem Anteil von etwa zehn Prozent sei hier das Potenzial noch lange nicht ausgeschöpft.

Gleichwohl halte sie eine Quote nicht für den richtigen Weg. Frauen sollten den Schritt in eine Führungsposition ruhig wagen, appellierte sie und fragte: „Was kann schon passieren?“.psa/ali/hs