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Auf den Pfarrer kommt es an

Professor Graf zum Thema „Warum die Kirche an Vertrauen verliert“

Die Zukunft der evangelischen Kirche entscheidet sich an den Pfarrern, sagt der Münchner Theologieprofessor Friedrich Wilhelm Graf. In der „Kirchheimer Reihe“ des Evangelischen Bildungswerks sprach er im Alten Gemeindehaus vor gut 100 Zuhörern darüber, warum die beiden großen Kirchen an Vertrauen verloren haben.

Kirchheim. Wenn im Jahr 2011 rund 320 000 Menschen die beiden großen Kirchen verließen, liegt das für Friedrich Wilhelm Graf nicht am Geld. Denn parallel sei das private Spendenaufkommen gestiegen. Manche Probleme hätten beide Kirchen, andere seien konfessionsspezifisch. Dazu zähle der dramatische Nachwuchsmangel der römisch-katholischen Kirche. Der Versuch, die Lücken mit Priestern aus dem Ausland zu füllen, habe nur teilweise funktioniert. So sei bei einer Beerdigung ein polnischer Priester schon an der korrekten Aussprache des Namens des Verstorbenen gescheitert. „Das lassen sich Menschen in einer Dienstleistungsgesellschaft nicht gefallen.“

In den 1970er-Jahren begannen die Kirchen, sich selbst sozialwissenschaftlich zu erkunden, sagte der Referent. „Als die Bischofskonferenz das Ergebnis einer großen Umfrage zur Kenntnis nehmen musste, beschloss sie, die Umfrage nicht zu publizieren. Das ist selbst organisierte Blindheit.“ Drei Studien zufolge halten nur 13 bis 17 Prozent der Katholiken und 24 bis 29 Prozent der Protestanten ihre Kirche für eine verlässliche gesellschaftliche Organisation, fügte Graf hinzu.

Es seien die persönlichen Begegnungen, die das Kirchenbild bestimmen. „Die Leute haben keine abstrakte Kirche, sondern einen bestimmten Pfarrer im Blick.“ Doch der Pfarrberuf sei schwieriger geworden. Zum einen hätten es die Pfarrer mit unterschiedlichen Menschen zu tun, zum andern sei ihr Beruf mit zahlreichen Aufgaben überfrachtet. Die Kirche sei für junge Theologen kein attraktiver Arbeitgeber. „60 Prozent der guten Absolventen meiner Fakultät gehen nicht mehr zur Kirche oder zum Staat, sondern in die Industrie oder Werbung.“ Zudem fehle ein nationaler Stellenmarkt für Theologen. Er sei nach Landeskirchen und Diözesen getrennt. Bei den Protestanten sei eine Feminisierung des Berufs im Gange. „Ich sage nicht, dass das etwas Schlimmes ist.“ Schlimm sei jedoch, dass es „in Teilen der Pfarrerschaft eine gewisse religiöse Sprachlosigkeit gibt“. Pfarrer müssten Zeit für Theologie und das Nachdenken haben. Sie dürften nicht als Multifunktionäre verheizt werden, die nebenbei noch den Kindergarten bauen.

„Wir werden eine Debatte über die ökonomischen Grundlagen der Kirchen zu führen haben“, ist Graf überzeugt. Die juristischen Auseinandersetzungen hätten zugenommen. Spannender als Symbole wie Kopftücher und Kreuze sei das Verwaltungsrecht. In Bayern zum Beispiel hätten viele Kommunen nicht länger für den Unterhalt der kirchlichen Gebäude sorgen wollen – wozu ein Pfarrhaus zur Verfügung stellen, wenn die Kirche keinen Pfarrer mehr schicken kann?

Kritisch sieht Graf das Arbeitsrecht der Kirchen. Von den deutschen Gerichten bislang akzeptiert, kollidiere der sogenannte „Dritte Weg“ mit dem europäischen Antidiskriminierungsrecht. Durch die Klausel, als Mitarbeiter Mitglied einer christlichen Kirche sein zu müssen, seien die Kirchen keine integrationsfreundlichen Arbeitgeber. Im Osten fänden die Kirchen gar nicht genügend christliches Personal.

Der Trend zum Eventcharakter zeigt sich für Graf bei Papstbesuchen, beim Weltjugendtag, auf evangelischer Seite etwas schwächer beim Kirchentag. „Mediale Inszenierungen bilden keine langfristigen Strukturen, überspielen die Probleme vor Ort nur“, kritisierte Graf. Die Aufgabe der evangelischen Kirche sei keine allgemein politische, sondern die Pflege ihrer volkskirchlichen Verfassung. Wichtig seien verlässliche Amtshandlungen und für unterschiedliche Gruppen offene Gottesdienste. „Konzentriert euch auf das, wozu ihr da seid.“

Eine Zuhörerin forderte dazu auf, nicht bei ferner Kirchenkritik stehen zu bleiben. „Diejenigen, die die Kirche aufsuchen, sind überrascht, was ihnen dort alles geboten wird.“ Ein weiterer Zuhörer ergänzte: „Es gibt mediale Verzerrungen, wie man Kirche erlebt, wenn man nicht selber dabei ist.“