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Auf der Suche nach dem Lebensmotto

Blick auf die sechs Seminareinheiten der neuen AOK-Kampagne auf dem Weg zu mehr Balance im Leben

Gemeinsam spazieren gehen, die Natur genießen, alle Eindrücke der Umwelt bewusst wahrnehmen. - Das kann zur persönlichen Balance
Gemeinsam spazieren gehen, die Natur genießen, alle Eindrücke der Umwelt bewusst wahrnehmen. - Das kann zur persönlichen Balance im Leben entscheidend beitragen.Archiv-Foto: Jörg Bächle

Kirchheim. „Achtsamkeit“ – ein Stichwort ist in aller Munde. Auch beim Ziel, in Balance zu leben, kommt dem Thema Achtsamkeit große Bedeutung zu. Achtsamkeit

Irene Strifler

kann man trainieren. Es geht darum, alle Aufmerksamkeit auf den Augenblick zu richten, alle Facetten wahrzunehmen und nicht gleich gedanklich weiterzuhasten. Dahinter steckt das Prinzip, die eigene Befindlichkeit intensiver wahrzunehmen. Gemäß wissenschaftlicher Untersuchungen sind Menschen, die eine Antenne für das Jetzt haben, weniger stressanfällig und zufriedener mit sich und ihrer Umgebung. Ein Ziel des Lebe-Balance-Programms ist daher, Achtsamkeit zur geistigen Grundhaltung zu machen.

Wohl dem, der einen guten Freund hat. Wer kennt nicht die Situation, in der einem plötzlich in der Küche, kurz vor Besuch der Gäste, alles außer Kontrolle gerät. Trainerin Anneliese Albrecht schildert folgende Situation: Da hat man einen leckeren Kuchen gebacken, nur noch die Dekoration fehlt, schnell noch drauf damit – doch oh weh, die Kuvertüre klumpt, der Kuchen ist verschandelt. Denkt man. Wer das Glück hat und in diesem Augenblick den Anruf einer guten Freundin erhält, wird getröstet: „Alles halb so schlimm“, sagt sie. „Du hast einen tollen, leckeren Kuchen gebacken, das ist die Hauptsache.“ Puh, das tut gut! Doch nicht immer ist der gute Freund zur Stelle. Deshalb rät das Programm Lebe Balance dazu, sich selbst ein guter Freund zu sein. Es geht darum, dem inneren Antreiber, der einen in Panik versetzt, weil angeblich alles außer Kontrolle geraten ist, einen fürsorglichen Beobachter gegenüberzustellen.

Auf besonders großes Interesse im Kurs stößt das „Wertenetz“. Werte sind keine Ziele im Leben, sondern eine Art Kompass. Es geht für den Einzelnen darum, sich auf den persönlich richtigen Weg zu begeben und möglichst viele Werte umzusetzen - nicht irgendwann einmal, sondern ständig im Alltag. Wer seine Werte lebt, gewinnt daraus Motivation und Energie. Doch was sind die Werte? Es gibt eine Forschungsgruppe, die in den vergangenen zehn Jahren über 50 000 Menschen in 83 Ländern befragt hat, was ihrem Leben Bedeutung verleiht. Das Ergebnis: In allen Ländern spielen im Großen und Ganzen dieselben Werte eine Rolle, wenn es auch kulturell geprägte Unterschiede gibt. Natürlich wertet auch jeder einzelne Mensch unterschiedlich. Während der eine Leistung und Macht viel Bedeutung zumisst, legt der andere den Schwerpunkt auf Fürsorglichkeit oder Tradition. Wer die Werte herausfiltert, die er hoch schätzt, der hat damit seine Lebensmottos erkannt.

Im Kirchheimer Kurs dauert es nicht lang, und jeder Teilnehmer hat sein Motto oder gar mehrere davon zu Papier gebracht. Wenn es gelingt, diese Mottos möglichst weitgehend umzusetzen und wenn keine große Diskrepanz zwischen Wunsch und Realität besteht, dann ist schon viel für die Ausgewogenheit des persönlichen Wertenetzes getan.

Generell gilt ein „ausbalanciertes Werteprofil“ als günstig. Ein Manager, der ein prestigeorientierte Profil hat, sich also vor allem an Anerkennung, Macht und Erfolg misst, hat möglicherweise Defizite im sozialen Bereich. Eine Erkenntnis des Lebe-Balance-Teams ist, dass man selbst versuchen kann, sein Profil auszubalancieren oder zu verbreitern. Wichtig ist auf jeden Fall, sich seiner Werte und deren Umsetzung bewusst zu werden. Anneliese Albrecht ermuntert dazu, einem fiktiven Redenschreiber Hinweise zu geben, wie er den 80sten Geburtstag des jeweiligen Teilnehmers würdigen soll. Fast alle erkennen, dass es gut ist, noch ein paar Jährchen Zeit zu haben, um den in dieser Rede erhofften Idealen noch ein bisschen näherzukommen.

Ganz wichtig für das persönliche Wohlbefinden sind soziale Kontakte. Im Idealfall, so erläutert die Kursleiterin, steht ein Tisch auf vier Beinen. Ähnlich ist es mit Kontakten. Eine gute Voraussetzung sind soziale Verwurzelungen in den Bereichen Familie und Partnerschaft, Beruf, Freunde sowie Nachbarn und Vereinskollegen. Doch ein Tisch steht auch auf drei Beinen. Wer beispielsweise nicht (mehr) berufstätig ist, kann trotzdem ein zuverlässiges soziales Netzwerk haben. Im Begleitbuch lässt sich nachlesen: „Ein Netz mit vielen Maschen, ein Netz, das aus Nachbarn, Vereinskollegen und Arbeitskollegen besteht, aus Freunden und nicht zuletzt aus der Familie, das ist das, was die Wissenschaft empfiehlt.“ Wichtig ist die Pflege der Beziehungen. Das wird zum Beispiel durch wertschätzende Kommunikation erleichtert. Dazu gehört nicht nur aufmerksames Zuhören, sondern auch die wertschätzende Formulierung von Kritik. Im Rollenspiel erleben die Kursteilnehmer das angenehme Gefühl, wenn alle Seiten in einer Diskussion ernst genommen werden und schließlich ein befriedigender Kompromiss ausgehandelt wird.

Ganz praktisch wird es in der fünften Sitzung: „Wir können den Wind nicht ändern, aber die Segel anders setzen.“ Dieser Spruch von Aristoteles ist das Motto der Woche. Es geht darum, Ziele zu formulieren, ganz konkrete kleine Schritte auf dem Weg dorthin zu planen, über Stolpersteine und Folgen nachzudenken und sich – ganz wichtig – kleine Belohnungen zu überlegen. Eine Kursteilnehmerin plant beispielsweise, an zwei Tagen in der kommenden Woche nach 18 Uhr nichts mehr zu essen. Eine andere klagt über mangelnde Kommunikation unter Kollegen und beschließt, die Kollegen zu einem kurzen Stehempfang einzuladen – inklusive Ausstempeln natürlich.

Eine Woche später ist die Spannung groß: Wer hat was umgesetzt, welche Stolpersteine traten auf, wurden sie bewältigt? Die Bilanz fällt positiv aus. Mit ihrem Stehempfang hat die Kursteilnehmerin einen echten Erfolg gelandet. Hoch motiviert berichtet sie von Aufforderungen der Kolleginnen, so etwas häufiger zu machen. Alle haben kleine Schritte unternommen. Sei es, Karten fürs Ballett in Stuttgart zu bestellen, zwei Tage nichts Süßes zu essen oder eine Liste mit alten Freunden anzufertigen, zu denen wieder Kontakt hergestellt werden soll. Die Leiterin hat ein Luxusproblem: Sie muss die Begeisterung dämpfen. Deswegen geht es diesmal um den Umgang mit hinderlichen Gedanken und dem Einüben von Gelassenheit gegenüber Umständen, die man nicht ändern kann.

Die Schlussbilanz der Teilnehmer nach sechs Wochen Kurs ist hoffnungsfroh. Viele glauben, an Gelassenheit gewonnen zu haben und jetzt über Mechanismen zu verfügen, Stresssituationen besser anzugehen.