Lokales

Aufstände, die trotz allem nicht umsonst waren

Vortragsveranstaltung des Kreisarchivs nimmt in Notzingen „Umbruchzeiten“ um 1520, 1848 und 1918 unter die Lupe

Der Ravensburger Stadtarchivar Andreas Schmauder sprach in Notzingen über den Armen Konrad und über den Bauernkrieg.Foto: Markus
Der Ravensburger Stadtarchivar Andreas Schmauder sprach in Notzingen über den Armen Konrad und über den Bauernkrieg.Foto: Markus Brändli

Notzingen. Der widerspenstige Schwabe stand im Mittelpunkt der Vortragsreihe des Kreisarchivs Esslingen „Geschichte und Gegenwart“.

In der Notzinger Gemeindehalle referierten drei Wissenschaftler über „Umbruchzeiten. Politische Kultur und Revolutionen um 1520, 1848 und 1918“. Landrat Heinz Eininger stimmte auf das Thema ein: Umbrüche habe es immer wieder gegeben, und politische Verwerfungen hatten nicht immer friedliche Folgen. Umso dankbarer kann Deutschland sein über eine unblutige Wiedervereinigung und über 70 Jahre Frieden. Die „politische Kultur“ muss darin bestehen, einen Ausgleich zu schaffen zwischen einer repräsentativen Demokratie mit einer „Zusammenschau der Interessen“ und einer direkten Bürgerbeteiligung mit den Partikularinteressen, die am Anfang stehen sollte.

Dem Organisator der Vortragsreihe, dem Esslinger Kreisarchivar Manfred Waßner, war es vorbehalten, die Referenten und die Themen vorzustellen. Andreas Schmauder, der Leiter des Stadtarchivs Ravensburg und Direktor des Museums Humpis-Quartier, begann mit einem Referat über „Württemberg im Aufstand: der Arme Konrad 1514 und der Bauernkrieg 1525 im Albvorland“. Schmauder versetzte die Zuhörer 500 Jahre zurück in eine Umbruchszeit, als die bestimmende Gesellschaftsform entschieden infrage gestellt wurde: 1514  beim Aufstand des „Armen Konrad“, beim Thesenanschlag Luthers 1517 und beim Bauernkrieg 1525.

Andreas Schmauder erinnerte an die verzweifelte Lage der Bauern in der damaligen Zeit. Sie bebauten Land, das ihnen nicht gehörte, muss­ten Pachtzins und Abgaben zahlen, während Herzog Ulrich durch Verschwendung und Kriege das Land an den Rand des Bankrotts führte. Als Gegenmittel führte er eine Art Mehrwertsteuer ein und manipulierte Ge­wichtseinheiten. Das brachte das Fass zum Überlaufen. Von Schorndorf aus wurde ein revolutionäres Programm entworfen und unter dem Namen „Armer Konrad“ geheim über Flugblätter, Boten und Mund-Propaganda verbreitet. In den Sechs Artikeln wird unter Berufung auf das „Alte Herkommen“ eine Befreiung von der Notlage gefordert.

Ende Mai 1514 sollte das Programm beim Kirchweihfest in Untertürkheim vorgestellt und eine landesweite Organisation gegründet werden. Die Obrigkeit bekam Wind davon und sprach ein Verbot aus. Herzog Ulrich lud die Bauern ein, ihr Anliegen auf dem Landtag in Tübingen vorzubringen. Die „Ehrbarkeit“, die städtische Oberschicht, war dagegen. Ihr Einfluss auf den Herzog war entscheidend. Der Landtag wurde abgesagt. Truppenkontingente aus Bayern und Sachsen halfen mit, den Aufstand niederzuschlagen. Die Führer wurden enthauptet, und Mitläufer bekamen das württembergische Wappen, das Hirschgeweih, auf die Stirn gebrannt. Der Aufstand war aber, so Schmauder, nicht umsonst. Gegen Missstände wie Schäden vor allem durch Wildschweine, die die Felder der Bauern verwüsteten, und die blühende Vetterleswirtschaft wurden Maßnahmen ergriffen.

Elf Jahre später folgte der Bauernkrieg. Die Bauern beriefen sich, jetzt gegen die Habsburger-Herrschaft, nicht mehr auf das herkömmliche Recht, sondern auf die „göttliche Gerechtigkeit“. Schlösser und Burgen wie die Teck und die Notzinger Burg wurden zerstört. Den Garaus machte den Bauern Georg Truchseß von Waldburg mit dem irreführenden Kurznamen „Bauernjörg“. Er schlug die Bauern mit einem Söldnerheer in der Schlacht bei Böblingen im Mai 1525. Die Rache der Sieger war fürchterlich. Schmauder unterstrich aber abschließend: Die Herrschaft hatte gelernt, den Bauernstand als revolutionäre Kraft ernstzunehmen.

Im zweiten Referat stellte Nicolas Back, Stadtarchivar in Filderstadt, einen Teil seiner kürzlich erschienenen Dissertation vor. Er sprach über „Dorf und Revolution – die Ereignisse 1848/49 im Landkreis Esslingen“. Back kämpft gegen ein Vorurteil an. Die Bauern sollen nach der anfänglichen Unruhe in der 1848er-Revolution tatenlos gewesen sein. Zur Widerlegung greift er auf bisher unbeachtete Quellen zurück, weniger auf die Lokalpresse, die sich auf den städtischen Lebensraum konzentrierte, sondern auf die Berichte der Oberamtsmänner an das Innenminis­terium, auf Vereinsarchive dörflicher Volksvereine und auf Pfarrberichte.

Back zeichnete den Weg revolutio­nären Denkens von Frankreich über Baden nach Württemberg nach. Die Bauern litten zum Beispiel darunter, dass sie als gemeine Holzdiebe bestraft wurden, wenn sie im Gemeindewald, der „Allmende“, sich mit dem lebensnotwendigen Holz versorgten. Die Landbevölkerung verfolgte mit politischem Interesse die verfassunggebende Versammlung in der Frankfurter Paulskirche, in der Gustav Rümelin Kirchheim vertrat. Der Referent führte als Beweis für das politische Interesse auch der Landbevölkerung an, dass zahlreiche Vereine gegründet wurden, politische Vereine und Gesangvereine. In deren Satzungen finden sich demokratische Forderungen.

Dass die demokratische Entwicklung auch auf dem Land weiterging, dafür sorgten einige Berufsstände. Back nennt in der Reihenfolge ihrer Bedeutung Lehrer, Schultheißen, Pfarrer, Verwaltungsaktuare, Land­ärzte und Selbstständige. Den Dorfschullehrern ging es schließlich materiell schlecht genug. Geistige Nahrung bekamen sie durch reformpädagogische Ideen, die sich von einer Verbesserung der Bildung eine Verbesserung der Lebensumstände versprachen. Natürlich waren solche Köpfe der Obrigkeit suspekt. So wurde ein Carl Scheufelen wegen „revolutionärer Umtriebe“ aus dem Schuldienst entlassen und gründete eine Papierfabrik in Oberlenningen.

Frank Raberg, Geschichtswissenschaftler und Politologe aus Neresheim, befasste sich mit einem revolutionären Geist aus der neueren Geschichte: „Albert Pflüger – Ein Esslinger Parlamentarier zwischen Kaiserreich und Bundesrepublik“. 1879 in Dettingen geboren, hat Pflüger beim Teckboten eine Lehre als Buchdrucker gemacht und dort gearbeitet. Früh trat er in die SPD ein und machte mithilfe seines Freundes Wilhelm Keil als begnadeter Redner eine Parteikarriere auf dem gemäßigten „revisionistischen“ Flügel. Er war Herausgeber des Parteiblatts und 1928 sogar Präsident des Landtags. Als erklärter Nazigegner legte er sich mit Gauleiter Murr an und landete dadurch im KZ Heuberg. Er kam zurück ohne seinen charakteristischen Bart und ohne Einkommen. Seine Erzählungen von den Zuständen in einem KZ glaubte ihm niemand. Er überlebte mithilfe Obertürkheimer Freunde. Durch seinen Überlebenswillen überstand er auch noch Dachau bis zu der Befreiung. Man habe ihn „net he macha könna“.

Nach dem Krieg machte er im Rentenalter nochmal eine parlamentarische Karriere als populärer Abgeordneter des Wahlkreises Nürtingen-Kirchheim. In seinem langen politischen Leben hat er an drei demokratischen Verfassungen mitgearbeitet. Aus noch nicht geklärten Gründen wurde er gegen seinen Willen 1955 von der Partei durch einen anderen Abgeordneten ersetzt. Raberg adelte abschließend Pflüger: „Er war einer der profiliertesten Politiker des Landes, ein aufrechter Demokrat“.

Es gab also auch im Landkreis Esslingen widerspenstige Schwaben, derer man sich nicht schämen muss.