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„Das tut richtig weh!“

Die Kirchheimerin Simone Koglin, die in New Jersey lebt, zum „Shut-down“

Die Supermacht USA ist sozusagen handlungsunfähig: Der „Shut-down“ lähmt seit Tagen das öffentliche Leben. – Alles letztlich wegen einer Sache, die in Deutschland geradezu selbstverständlich scheint: Krankenversicherung für alle, genannt „Obamacare“. Eine Kirchheimer Medizinerin, die in den USA lebt, schildert die Situation.

Auch die Freiheitsstatue krankt am Geldmangel und wurde in „Zwangsurlaub“ geschickt.Foto-Montage: Jean-Luc Jacques
Auch die Freiheitsstatue krankt am Geldmangel und wurde in „Zwangsurlaub“ geschickt.Foto-Montage: Jean-Luc Jacques

Kirchheim/New Jersey. Simone Koglin hieß früher Simone Müschenborn. Die 48-Jährige stammt aus Kirchheim und hat im Jahr 1984 ihr Abitur am Ludwig-Uhland-Gymnasium gemacht, ehe sie zum Studium nach Heidelberg ging. Heute lebt sie mit ihrer Familie im amerikanischen Westfield im Bundesstaat New Jersey.

 

Wie wird der Shut-down speziell von der Bevölkerung an der Ostküste der USA empfunden?

KOGLIN: Es ist für uns alle hier im Osten der USA völlig unfassbar was die Republikaner ausgelöst haben. Ich muss dazu sagen, dass unser ganzes Umfeld hier, egal ob Deutsche oder Amerikaner, für „Obamacare“ sind. Man bekommt in Deutschland immer so ein negatives Bild von den USA – leider nicht ganz zu unrecht – aber man muss ganz klar sagen, dass der Osten sich sehr vom breiten Rest der USA abgrenzt.

Was bedeutet die aktuelle Entwicklung speziell für Familie Koglin?

KOGLIN: Wir bekommen derzeit den Shut-down eher bei Kleinigkeiten, sozusagen aus der Ferne, zu spüren. Ganz konkret: Ich wollte den amerikanischen Pass meiner ältesten Tochter erneuern. Der Antrag wird aber nicht bearbeitet, und wir werden erst einmal keinen neuen Ausweis für sie bekommen.

Ist langfristig mit schlimmeren Folgen zu rechnen?

KOGLIN: Natürlich. Da die gesetzliche Rentenversorgung im Alter nicht ausreicht, haben wir private Fonds abgeschlossen. Mit dem Abfall der Börse fallen natürlich auch unsere Ersparnisse täglich. Je länger dieser Shut-down anhält, umso geringer sind die Chancen, dass sich die Verluste erholen, und das tut richtig weh.
Da mein Mann und ich beide im medizinisch wissenschaftlichen Bereich arbeiten und sehr viel mit dem NIH (Anmerkung: National Institutes of Health, eine Behörde des Ministeriums für Gesundheitspflege und wichtig für die biomedizinische Forschung) zu tun haben, bekommen wir hier auch einen deutlichen Einfluss zu spüren: Große Studien werden gerade auf Eis gelegt und die Patienten, die in Studien eingeschlossen sind, können ihre Medikamente nicht weiter erhalten, ihre Therapie muss unterbrochen werden.

Wie wird an der Ostküste der derzeitige Stillstand als Mittel der Politik bewertet?

KOGLIN: Wir sind sehr wütend, vor allem auf die Tea-Party-Anhänger. Es ist einfach unfassbar, was diese sich gerade erlauben. John McCain hat in einem Interview seine Gedanken sehr offen kundgetan und findet das Verhalten seiner Partei unverständlich. Ein wichtiger und sehr guter Gedanke in seiner Rede war der Hinweis, dass bei den Wahlen im November Obama ganz klar seine gesundheitspolitischen Veränderungen deutlich gemacht hat und wirklich jeder wusste, was sich in den kommenden Monaten verändern würde. Es kommt also nichts als Überraschung und es ist daher völlig inakzeptabel, sich nun so gegen die Gesundheitspolitik zu stellen und die ganze Regierung brach zu legen.

Macht man sich in den USA keine Sorgen um das Image der Supermacht?

KOGLIN: Den USA ist es, glaube ich, ziemlich egal, was der Rest der Welt denkt. Sonst würden sie wohl kaum so eine peinliche Show abziehen.Leider hat der Durchschnittsbürger keinen globalen Gedanken, wenn es um die Gesundheitsreform geht. Ängste um die eigene Versorgung oder die daraus resultierende „Nicht-Versorgung“ stehen im Vordergrund. Man hat Angst vor langen Wartezeiten, um einen Arzttermin zu bekommen, und Angst davor in welche Richtung sich die qualitative Versorgung dadurch verändern könnte.

Und wie sieht ein Blick in die Zukunft aus?

KOGLIN: Hoffentlich ist der Spuk sehr bald vorüber, vor allem natürlich in Anbetracht des bevorstehenden 17. Oktobers.