Lokales

Das Wissen um Fehler bewahren

Kirchheim distanziert sich, will aber nicht nachträglich noch vertuschen

Die Ehrenbürgerschaft für Wilhelm Murr und Christian Mergenthaler ist in Kirchheim ein Thema, das seit Jahren immer wieder diskutiert wird. Oberbürgermeisterin und Gemeinderat bleiben dem Beschluss von 2007 treu: Die Stadt soll nicht vertuschen, im „Dritten Reich“ opportunistisch gehandelt zu haben.

Andreas Volz

Kirchheim. Auf die Aberkennung der Ehrenbürgerwürde für Wilhelm Murr in Ostfildern angesprochen, sagte Kirchheims Oberbürgermeisterin Angelika Matt-Heidecker gestern: „Unser Gemeinderat ist ganz bewusst mit diesem Thema umgegangen. Es ist unsere Aufgabe, an das Vergangene zu erinnern.“ Deswegen sei es wichtig, „das Wissen um frühere Fehler zu bewahren“.

Ein Fehler war die Verleihung der Kirchheimer Ehrenbürgerwürde an Wilhelm Murr und Christian Mergenthaler zum 1. Mai 1933 mit Sicherheit. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass man es vor 81 Jahren eher als Fehler angesehen hätte, den beiden württembergischen Nazi-Größen diese Würde nicht anzutragen. Kirchheim war dadurch also nicht schlechter, aber eben auch nicht besser als zahlreiche andere deutsche Kommunen, die ähnlich handelten.

Ende 2007 hat der Gemeinderat entschieden, sich der unguten Vergangenheit auch in Zukunft stellen zu wollen. Die Formulierung, die vor sieben Jahren in bester Absicht gefunden wurde, sollte sich aber als unglücklich erweisen. Als zu halbherzig empfanden manche heutigen Bürger die Distanzierung der Stadt von diesen „Ehrenbürgern“. Unter Hinweis auf den Gemeinderatsbeschluss folgte im Internet nämlich nur der Zusatz: „Die Ehrenbürgerwürde wurde während der Zeit des Nationalsozialismus verliehen und würde aus heutiger Sicht nicht mehr erfolgen.“

Mittlerweile ist die Distanzierung ganz eindeutig – durch die Worte von Stadtarchivar Brüser: „Die Ehrenbürgerwürde [der] Herren Murr und Mergenthaler [...] ist durch deren Tod 1945 bzw. 1980 erloschen. Wäre dies nicht geschehen, hätte der Gemeinderat das Ehrenbürgerrecht 2007 durch einstimmigen Beschluss aberkannt. Der Gemeinderat hat sich am 12. Dezember 2007 bewusst dafür entschieden, Murr und Mergenthaler in der Ehrenbürger-Auflistung zu belassen. Es war der Wille des Gemeinderates, dass in der Gegenwart und für die Zukunft im Bewusstsein bleiben soll, dass in Zeiten des Nationalsozialismus politisch opportune Entscheidungen auch in Kirchheim getroffen wurden, um den damaligen Machthabern gefällig zu sein.“ Andere Gemeinden hätten solche Ehrenbürgerschaften inzwischen aberkannt. Kirchheim aber gehe „bewusst einen anderen Weg, um die Geschehen des Dritten Reichs nicht aus der Erinnerung zu streichen“.

Für Angelika Matt-Heidecker hat sich an dieser Situation nichts geändert: „Gerade jetzt, 75 Jahre nach Beginn des Zweiten Weltkriegs, hat sich meine Auffassung und die des Gemeinderats noch einmal verfestigt.“