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Denkmaltag mit Goldmarie und PechmarieInfo

„Jenseits des Guten und Schönen: Unbequeme Denkmale?“

Mühle in Oberlenningen
Mühle in Oberlenningen

Lenningen. Der Tag des Offenen Denkmals 2013 bietet wieder einen weiten Spielraum für Aus- und Gedankenflüge zu Orten „jenseits des Guten“, zu Burgen mit Verliesen,

Kerkern mit Ketten, Kasematten mit Kanonen, zu Kellern, Grenzzäunen, Kriegsgräbern. „Jenseits des Schönen“ steht noch manch marodes Haus, auch in Lenningen – mancher mault gar: „Ein Schand- und Mahnmal, gewiss aber kein Denkmal.“

Und „unbequeme Denkmale?“: Sie stehen auf einer Liste, sind vergessen und verriegelt, zerfallen, verlottern. Sollen sie wirklich in die Geschichtslosigkeit versinken? Aber ist nicht der Ort die Quelle der Inspiration?

In der Oberlenninger Hofstraße steht die ehemalige „Untere Mühle“, ein vierstöckiger Bau; der Putz bröckelt, die Fensterläden sind geschlossen, die Haustür ist mit Brettern vernagelt. Es ist ein „Fachwerkbau mit Vorstößen und Knaggen, um 1600, gekoppeltes Fenster 1743 bezeichnet“ – die Fachausdrücke weisen auf die tragfähige Holzkonstruktion dieser Epoche und späteren Fensterumbau hin. So ist das Gebäude Hofstraße 4 in der Denkmalliste des Landkreises Esslingen beschrieben. Die Liste gelte noch, wird amtlicherseits bestätigt. Dieser Bau, so alt wie das Schlössle, ist eine Herausforderung. Er könnte die vorindustrielle Ortsgeschichte des Handwerks und Gewerbes an der Lauter erhellen. „Die Lauter führt besonders während ihres Laufes im Lenninger Thal ein kristallhelles, auf kiesigem Grund rasch dahin fließendes Wasser, treibt zahlreich Mühl- und andere Werke, dient ihrem ganzen Laufe entlang zur Bewässerung der Wiesen und ist stark mit Forellen bevölkert. Die Lauter hat einen starken Fall, der von ihrem Ursprung bis Kirchheim – eine Strecke von vier Stunden – auf 680 P.F. (Preußischer Fuß, etwa 250 Meter) sich beläuft“, so beschreibt 1842 der Finanzassessor Moser die Energiequelle des Tals. Tatsächlich ist die Lauter vom Gutenberger Ursprung in 550 Metern über dem Meeresspiegel bis Kirchheim mit 300 Metern über dem Meeresspiegel einer der gefällreichsten Neckarzuflüsse.

Fleißig, erfolg- und ideenreich putzte Lenningen das Schillingsche Schloss, das „Süzlin in schöner Gegend“ zur Goldmarie heraus; niemand und keiner rührt sich für die „Unter Mühl“, die Pechmarie, jenseits der alten Steinbrücke. Das fein renovierte Schlössle öffnet am „Tag des Denkmals 2013“ wieder für Baukunst interessierte Gäste seine Türen. Die Untere Mühle mit ihrer dahinter liegenden Fachwerkscheuer bleibt verschlossen. Auch die Ortskernplaner mit ihren Vorschlägen eines Mühlenwegs durch Oberlenningen haben sie nicht besonders beachtet.

Und doch: Faszinieren Mühlen und ihre alte Geschichte nicht immer aufs Neue – gerade auch in Zeiten der „Energiewende“? Die Wassertriebwerke haben einst den Alltag und die Sprache geprägt und die Fantasie beflügelt. Sagen, Sprüche und Lieder singen und sagen davon. Mühlen gehören zu den ältesten technischen Geräten der Menschheit. Die Mahlmühle war so wichtig wie das Getreide, das tägliche Brot. Im frühen Mittelalter waren die Adelsherrschaften im Besitz der Mühlen und der Wasserrechte. Die Bauern waren einzelnen Lehenmühlen zugeordnet, das hieß „gebannt“. Hülben war auf Oberlenningen gebannt. Die Rechte der Herren von Lendingen gingen auf die Swelher von den Wielandsteinen über, dann im Jahr 1381 auf die Grafen von Württemberg. Die Untere Mühle wird 1560 als eines ihrer Lehensgüter genannt. Dem Frauenkloster Kirchheim gehörte seit 1400 die Obere Mühle „ob dem Steg“.

Eine „Mühlenperlenschnur“ an der Lauter mit Mahl-, Säge-, Öl-, Gips-, Schleif- und Lohmühlen weist ab dem 16. Jahrhundert auf die Entwicklung von Handwerkbetrieben durch die bürgerliche „Ehrbarkeit“ und durch die Märkte. Die alten Mühlen mit mehreren Werken konnten durch „Gänge“ umgerüstet werden. Auch die Flur-, Orts- und Straßennamen im Lenninger Tal erinnern an die aufstrebenden Wasserkraftbetriebe: Mühlgarten, Mühlengasse, Mühlwiesen, Mühlweg, Mühlwol (Wehr- oder Mühlenkanal), Mühlberg.

Geschichten über Mühlen erzählen von Wohlstand, Macht und manch dunklen Machenschaften. Die Sage vom Goldloch erinnert an zwei habgierige Müllerknechte. Auch Sprichwörter wissen vom Profit, „vom Wasser auf seine Mühle und des Müllers Ellbogen sind seine Grenzsteine“. Die Mahlwerke standen meist außerhalb des Orts, auch in Oberlenningen, sodass sie mit Wasserzuläufen und für Fuhrwerke gut zugänglich waren.

Herzog Friedrich Karl von Württemberg hatte den Oberstleutnant Andreas Kieser nach dem Dreißigjährigen Krieg mit der Kartierung der württembergischen Forste beauftragt – wegen der Wiederaufforstung der Waldbestände des Landes. Die herzogliche Forsthoheit war das Recht über Holzeinschlag, Jagd und Fischerei.

Um das Land nach dem 30-jährigen Chaos wieder in geordnete Bahnen zu führen, setzte der Herzog „die Mühlen des Gesetzes in Gang“: Er erneuerte die alte Mühlenordnung von 1534 und forderte 1656 den Lenninger Stab auf, an einem Fisch- und Mühlwasser zu bauen. Ebenso galt „die Erneuerung der Obrigkeit“ von 1688 den Backstuben-, Küchen- und Mühlenzinsen, der Klärung von Wasser- und Holzrechten, der Genehmigung von neuen Triebwerken und den Regeln der Müllerzunft: Es gab Zimmerleute für Mühlenbaukunst, Generalmühleninspektoren überprüften sie regelmäßig. Bei Mühlen-, Fischwasser-, Wasserrechts- und Bauholzstreit urteilte das Lenninger Stabgericht. Außerdem wachte das Kirchenkonvent über die Sonntagsheiligung, verbot jegliche Arbeit, auch das Mahlen in den Mühlen. Des Müllers Eselsbub sei im Zuchthäusle gesessen, „weil er während des Gottesdienstes mit den Eseln ausgeritten war“.

Eine Steuerschätzliste von 1715 gibt Einblick in den Alltag der Oberlenninger Handwerker über ihre Steuern und Erträge. Ein Jahr zuvor hatte ein Brand 45 Gebäude südöstlich von der Martinskirche zerstört, wie einem herzoglichen Spendenaufruf an die umliegenden Gemeinden zu entnehmen ist. Die Steuerdeputierten schreiben über die beiden die Oberlenninger Müller: „Hans Kaag besitzt eine Mahlmühle mit zwei Mahlgängen und einem Gerbgang oben im Dorf. Er hat von den Eingesessenen den 24. Teil, von den Ausgesessenen den 16. Teil zu Milter (Hohlmaß für Getreide, etwa 175 Liter – Anm. der Red.) und nach Anzeig der Deputierten ein schlichtes Einkommen, weil hier eine gar geringe Frucht wachse und kein Bäcker im Ort sei. Von den Ausgesessenen mahlen nur einige Bürger von Erkenbrechtsweiler und Ochsenwang jährlich etwa 20 Scheffel Kernen. Von dem zu 104 Gulden angeschlagenen Einkommen sind die Ausgaben für den Unterhalt des Wasserbaues mit 25 Gulden und die für den Knecht, der die Frucht abholen und das Mehl zurückbringen muß, mit 52 Gulden abzuziehen. Dazu kommen noch die Zinsen für die Hofmeisterei in Kirchheim, sodass als Kapital und Steueranschlag 439 Gulden 20 Kreuzer errechnet werden können.

Jakob Keber auf der unteren Mühle besitzt auch eine Mahlmühle mit gleich vielen Gängen, ist keine Bannmühle mehr, hat gleiches Milter. Einige Einwohner von dem 2 ½ Stunden entfernten Hülben mahlen allhier. Wegen des vielen Holzflößens ist die Unterhaltung des hohen Wehrs kostbar. Es sind dafür 30 Gulden, für Speis und Lohn des Mahlknechts wöchentlich ein Gulden zu rechnen. Wie bei der anderen Mühle kommen hiezu noch Zinsen: für die Kellerei in Kirchheim 43 Kreuzer, für den Armenkasten in Owen ein Gulden 20 Kreuzer, für die Wernauischen Pfleg in Unterbohingen 43 Kreuzer. Mit dem Kapital und Steueranschlag in Höhe von 386 Gulden kommt diese Mühle der Kaag’schen nahezu gleich.“

Sämtliche anderen Handwerker waren niedriger taxiert. Die vier Schneider „sind nur liederliche Flicker“ und mit fünf Gulden geschätzt. Und „die meisten Weber weben ihrer und ihrer Kinder Sach selbst. Zehn Weber werden zur Steuer mit zwölf, dreizehn mit fünf Gulden geschätzt“.

Auf alten Mühl- und Wasserrechten sind vielerorts Gewerbe und Industrie aufgebaut, auch in Gutenberg, Owen und Oberlenningen. Sie entwickelten sich aus den naturbedingten Gegebenheiten, durch Aufkauf von Mühlen, Bündelung von Grundbesitz und innovative Wasserkraftanlagen. In Oberlenningen führen seit 1893 die Kanäle der Papierfabrik Scheufelen zu den Turbinen am Kugelbergle und zum T 13 am Wachtelberg. Das nötige Nutzungsmonopol hatte zu manch patriarchalisch geführten Verkaufsstrategie geführt: „Man wird ihm mahlen“, man muss tun, wie er‘s verlangt. Manchem Bürger blieb nichts anderes übrig, als sein Anwesen zu verkaufen. Letztlich war es zum Wohl der aufstrebenden Gemeinden. Von der 1769 eingerichteten Papiermühle des Isaak Keeber bei der Unteren Mühle bis zum Aufstellen der ersten Papiermaschine durch Carl Scheufelen vergingen rund hundert Jahre. 25 Jahre später fuhr die „Lenninger Thalbahn“ bis ans Firmengelände. Die lange Erfolgsgeschichte der Papierproduktion zeichnet die Albtalgemeinde bis heute aus.

In der Oberlenninger Hofstraße steht die ehemalige „Untere Mühle“, ein vierstöckiger Bau; der Putz bröckelt, die Haustür ist mit Brettern vernagelt, die Fensterläden sind geschlossen. Doch nein, an einem Fensterladen ist eine kleine Lücke, groß genug für ein Vogelnest. Da sind die Jungen geschützt – auch vor Katzen. Viele Oberlenninger erinnern sich an die letzte Bewohnerin der Mühle, an Frau Vogel mit ihren vielen Katzen. Am „Tag des Offenen Denkmals 2013“ bleibt das unbequeme Denkmal geschlossen. Offen bleibt die Zukunft der „Unter Mühl“, offen das Gedankenspiel mit den Möglichkeiten, hoffend auf eine Müllerstochter, die Stroh zu Gold spinnen kann. Dann könnte doch einmal „ein großes Rad gedreht“ werden.

Schwenkel, Heimatbuch des Kreises Nürtingen, Würzberg, 1953

Gemeinde- und Teckbotenarchiv Jahrgang 1925/32/65

HSTAS H 101/31 Weltliche Lagerbücher

Einst brachten Pferdefuhrwerke Mensch, Material und Baumstämme zur „Unteren Mühle“ in Oberlenningen.
Einst brachten Pferdefuhrwerke Mensch, Material und Baumstämme zur „Unteren Mühle“ in Oberlenningen.