Lokales

Die AfD tagt in Kirchheim

Praxis der Stadthallenvermietung in der Kritik – Stadträtin droht mit Mandatsrückgabe

Nicht jeder zahlende Gast ist automatisch gern gesehen, auch nicht als Stadthallenmieter. So wurde in der Sitzung des Kirchheimer Gemeinderates die Tatsache zum Politikum, dass die AfD (Alternative für Deutschland) ihren fünften Landesparteitag in der guten Stube der Stadt abhalten will. „Wie kann das sein?“, wunderte sich ein Kirchheimer in der Bürgerfragestunde des Gremiums.

Stadthalle
Stadthalle

Kirchheim. Die Antwort der Oberbürgermeisterin war knapp und klar: „Die Partei ist nicht verboten!“, stellte Angelika Matt-Heidecker fest. Damit war das Thema vom Tisch – aber nur kurz. Zwei Stunden und einige Tagesordnungspunkte später kam Dr. Silvia Oberhauser, Fraktionsvorsitzende der Frauenliste, unter dem Punkt „Allgemeine Verwaltungsangelegenheiten“ auf die Argumentation der Stadtchefin zurück. Die NPD sei auch nicht verboten, gab sie zu bedenken und spann den Faden weiter: Bedeute das womöglich, dass auch sie die Halle bekäme? Dies bejahte Angelika Matt-Heidecker. Ansonsten könne nämlich juristisch gegen die Stadt vorgegangen werden. „In diesem Falle würde ich mein Mandat hier niederlegen!“, bekundete daraufhin Silvia Oberhauser mit erkennbarem Entsetzen.

„Wir können rechtlich nicht dagegen vorgehen, dass jemand unsere Halle mietet“, suchte Oberbürgermeisterin Matt-Heidecker die Zwänge der Stadt als Hausherrin in der Stadthalle noch einmal darzulegen. Sie bezeichnete die Diskussion vor dem juristischen Hintergrund als „müßig“. Dagegen appellierte sie an die Zivilcourage jedes Einzelnen, die im Zweifelsfall gefordert sei. So machte sie das „Angebot“, bei einer NPD-Veranstaltung untergehakt mit politisch Andersdenkenden Distanz zu dieser Partei zu dokumentieren.

Mit dem Verweis auf die Rechtslage gab sich SPD-Stadträtin Marianne Gmelin nicht zufrieden: „Natürlich kann man die AfD nicht juristisch bekämpfen, man muss sie aber politisch bekämpfen“, betonte sie vehement. Sie verwies auf zahlreiche Berichte über die AfD, wonach es sich um eine „sehr rechtsgerichtete Partei“ handle. Außerdem ließ sie durchblicken, dass im Falle einer Buchung der Stadthalle durch die AfD umgehend die Stadtchefin informiert hätte werden müssen: „Wie sind denn hier die Abläufe?“ Auch eher organisatorisch ansetzen wollte der Landtagsabgeordnete Andreas Schwarz von den Grünen, der listig vorschlug, nächstes Mal die Stadthalle zum gewünschten Termin zu buchen: „Dann sagen wir einfach: Ist belegt!“

Weniger Grund zur Aufregung als manche seiner Vorredner sah der CDU-Fraktionsvorsitzende Dr. Thilo Rose. Er beschränkte sich darauf, Voltaire zu zitieren mit dem vielsagenden Satz: „Ich teile nicht Ihre Meinung, aber ich werde bis zum letzten Atemzug dafür kämpfen, dass Sie Ihre Meinung frei äußern können!“

Unterdessen nehmen bei der AfD die Vorbereitungen für den Parteitag am 4. und 5. Oktober ihren Lauf. 370 Anmeldungen hatte Landesgeschäfts­führerin Anastasia Koren bis zum gestrigen Tag verzeichnet. Sie rechnet mit insgesamt etwa 450 Teilnehmern. Die Zahl der AfD-Mitglieder im Ländle belaufe sich derzeit auf knapp 3 000. Auf diejenigen, die nach Kirchheim kommen, wartet an beiden Tages ein straffes Programm. „Als junge Partei haben wir bei jedem Parteitag viel zu besprechen, außerdem gehen wir in die Vorbereitungen der Landtagswahl“, sagt Koren. Aufgrund der Lage ziemlich mittig im Land habe Kirchheim als Treffpunkt gut gepasst.

Als weniger passend empfinden dies zwei Vertreter des „Offenen antifaschistischen Bündnisses“ in Kirchheim, die in der Ratssitzung anwesend waren. Für sie passt eine AfD-Veranstaltung eben gerade nicht in eine „ausgesprochen integrationsfreudige Stadt“, wie es Kirchheim sei. Hätte man die Stadthalle nicht zur Verfügung gestellt, hätte dies zwar möglicherweise juristische Auseinandersetzungen nach sich gezogen, aber auch der AfD die Arbeit erschwert. Beim Offenen antifaschistischen Bündnis ist nämlich die Furcht groß, dass rechte Meinungen salonfähig werden und Stimmung gegen Ausländer, Sinti oder Homosexuelle gemacht werde. Um dem entgegenzuwirken, will man „informieren und aufklären“. Gemeinsam mit Unterstützern wie dem DGB oder der IG Metall ist eine Kundgebung parallel zum Parteitag am Samstag, 4. Oktober, in Vorbereitung. Wolfgang Scholz, Vorsitzender des DGB-Ortsverbandes Kirchheim, kündigt Infostände von 10 bis 17 Uhr an. Außerdem sind offene Briefe an Verwaltung und Gemeinderäte geplant: „Man kann das nicht so stehen lassen, wir protestieren gegen die Vergabe der Halle an die AfD.“

Beim Ordnungsamt Kirchheim ist die Kundgebung bereits angemeldet. Die Zeit bis zum Parteitag wird neben allen anderen Beteiligten jetzt auch die Polizei nutzen. „Die AfD steht offiziell nicht unter Beobachtung des Verfassungsschutzes, und in Kirchheim ist sie noch nie in Erscheinung getreten“, sagt Revierleiter Thomas Pitzinger und verweist auf die im Grundgesetz garantierte Versammlungsfreiheit. Jetzt will die Polizei erst einmal schauen, wer was plant am 4. Oktober. „Dann sehen wir, was polizeilicherseits zu geschehen hat“, kündigt Pitzinger an.

Kommentar: Unbehaglich

Am Sonntag beginnen die Goldenen Oktobertage in Kirchheim. Sie stehen für einen heiteren Herbstbeginn mit buntem Programm. Zum Abschlusswochenende wird was los sein beim Straßenfest in der unteren Max-Eyth-Straße und beim Tag des Sports. Was los sein wird aber auch in der Stadthalle, wenn über 400 AfD-Politiker zweitägig um das Profil ihrer Partei ringen, und am Samstag auf dem Postplatz, wenn die Gegner dieser bundesweit berüchtigten Partei auf ihre Weise Aufklärungsarbeit leisten.

Irgendwie passt das alles nicht zusammen: Hier goldener Oktober und dort die Befürchtung der möglichen Nähe zu braunem Gedankengut; hier unbeschwerte Spiele und dort rechtsorientierte politische Schwerpunktsetzungen; hier die Stadt, die stolz ist auf ihre lange Tradition der Integration, und dort die Stadt als Schauplatz für einen Landesparteitag einer von vielen als rechtspopulistisch verorteten Partei.

Zugegeben: Formal geht hier alles mit rechten Dingen zu. Die AfD ist nicht die NPD, verboten ist sie schon gar nicht, außerdem ist das Recht auf Meinungsfreiheit ein hohes Gut. Doch so einfach ist das ganz offenkundig nicht. Warnende Stimmen im Gemeinderat und in der Stadt lassen es kaum zu, wieder zur Tagesordnung überzugehen. Doch es sind einzelne. Andere plädieren mit gutem Grund für Gelassenheit. Einen Plan, einen Antrag oder gar ein gemeinsames Statement der Fraktionssprecher gibt es (bislang) nicht.

Was bleibt, ist das Gefühl, dass hier etwas stattfindet, das nicht zu Kirchheim passt – ein unbehagliches Gefühl. IRENE STRIFLER