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Die Eltern müssen mit ins BootAngebote

Projekt „Tempo pro Ausbildung plus“ unterstützt Eltern bei der Lehrstellensuche ihrer Kinder

Mehr junge Migranten in Ausbildung bringen: Das ist das Ziel des Projekts „Tempo pro Ausbildung plus“, das nun in Kirchheim, Esslingen und Nürtingen startet. Anders als bisherige Initiativen setzt das Projekt auf die Eltern der Jugendlichen. Sie werden darin bestärkt, ihre Kinder auf dem Weg in den Lehrstellenmarkt zu unterstützen.

Elternberatung zwischen Frühstücksei und Brötchen: Hülya Kambir (rechts), die selbst dreifache Mutter ist, hilft bei Problemen m
Elternberatung zwischen Frühstücksei und Brötchen: Hülya Kambir (rechts), die selbst dreifache Mutter ist, hilft bei Problemen mit dem deutschen Bildungssystem. Foto: Jean-Luc Jacques

Kirchheim. Dem Projektnamen „Tempo pro Ausbildung“ wohnt zwar etwas Hektisches inne, aber von Eile ist an diesem Frühlingsmorgen im Café Eckpunkt in Kirchheim überhaupt nichts zu spüren. Manchmal beginnt Elternarbeit eben mit einem gemütlichen Frühstück. Auf der Theke haben die Leiterinnen Filiz Keskin und Hülya Kambir mit ihren Helferinnen ein buntes Buffet aufgebaut. Nach und nach trudeln die Frauen ein, viele tragen bunte Kopftücher, einige haben ihre Kinder dabei. Beim Frühstück geht es fröhlich zu, aber es werden auch ernste Fragen thematisiert: Wie halte ich es mit der zweisprachigen Erziehung meiner Kinder? Was steht in dem Brief, den ich von der Schule erhalten habe? Wieso bekommt mein Kind keine Lehrstelle?

Das Frauenfrühstück, das im Rahmen von „Tempo pro Ausbildung plus“ künftig immer mittwochs ab 9.30 Uhr angeboten wird, dient als Sammelbecken für all solche Fragen. Filiz Keskin und Hülya Kambir, beide türkischstämmige Kirchheimerinnen und gut vernetzt, erfahren zwischen Frühstücksei und Brötchen, wo der Schuh drückt und laden dann zu Einzelgesprächen ins Mehrgenerationenhaus Linde ein. Ida Bulling, eine russischsprachige Mitarbeiterin, soll in nächster Zeit auch noch dazustoßen. In der Einzelberatung werden die nächsten Schritte besprochen, zum Beispiel, bei welchen Fachstellen die Frauen Hilfe erhalten können. Ganz wichtig ist: Die Frauen werden in ihrer Muttersprache beraten. „Die meisten hier können zwar deutsch“, sagt Hülya Kambir. „Aber wenn es um komplizierte Themen geht, nehmen wir lieber die Sprache, die ihnen am vertrautesten ist“. Außerdem schicken Hülya Kambir und Filiz Keskin die Frauen nicht allein zu den Fachstellen, sondern begleiten sie und übersetzen, wenn es Verständigungsprobleme gibt.

Filiz Keskin weiß jedoch, dass die Sprache häufig gar nicht das größte Problem ist. „Viele Frauen sprechen gut deutsch, sind aber über unser Bildungssystem sehr schlecht informiert“, sagt sie. Viele wüssten überhaupt nicht, dass es in Deutschland viele Wege zu einem Schulabschluss gibt. Auch die Vielzahl der Berufe sei türkischstämmigen Eltern und ihren Kindern häufig gar nicht bekannt.„Das liegt daran, dass die Vorbilder fehlen“, sagt Filiz Keskin. „Wenn ich den Eltern erzähle, welche Möglichkeiten ihre Kinder hier haben, kommen sie oft richtig in Schwung“. Allerdings weiß Filiz Keskin auch, was für eine schwere Aufgabe es für die Eltern sein kann, Kinder zu motivieren, die bei der Suche nach einer Lehrstelle eine Absage nach der anderen erhalten. „Die Jungs werden aggressiv, wenn sie dauerhaft keinen Erfolg haben. Und die Mädchen werden depressiv“, weiß die fünffache Mutter, deren Kinder fast alle schon studieren.

Für das Elternfrühstück haben Hülya Kambir und Filiz Keskin bewusst einen neutralen Ort wie das Café Eckpunkt gewählt und nicht etwa die Ditib-Moschee. „Wir wollen alle Frauen ansprechen“, sagt Filiz Keskin. Langfristig sollen auch andere Nationalitäten dazustoßen. Dennoch ist es sicherlich von Vorteil, dass die beiden Leiterinnen, die zuvor das Frauenfrühstück in der Linde organisiert haben, in der Community gut vernetzt und den Frauen bereits vertraut sind. „Keine türkische Frau würde direkt zu einem Pädagogen gehen und ihm von ihren Problemen erzählen“, weiß Filiz Keskin. „Sie brauchen uns als Vertrauensperson“.

Am morgigen Freitag wird das Projekt im feierlichen Rahmen im Mehrgenerationenhaus Linde vorgestellt. Es ist die Weiterentwicklung von „Tempo pro Ausbildung“, das 2010 von der Kinder- und Jugendförderung Ostfildern, einer Einrichtung des Kreisjugendrings (KJR), unter der Leitung der türkischstämmigen Sozialpädagogin Hayal Ayik entwickelt wurde. Das „Plus“ steht für die Ausweitung der Zielgruppe auf Kosovaren, Kurden und Spätaussiedler. Außerdem wird das Einzugsgebiet erweitert: Künftig wird es nicht mehr nur in Ostfildern, sondern auch in Esslingen und Plochingen sowie in Kirchheim und Nürtingen Beratungs-, Bildungs- und Beteiligungsangebote geben. Ein weiteres „Plus“ ist der zusätzliche Projektträger, der Fachdienst Jugend Bildung Migration der Bruderhausdiakonie.

ANGEBOTE

In Kirchheim wird es Beratung für russisch- und türkischsprachige Eltern geben. Beratung für türkischsprachige Eltern findet immer mittwochs von 14 bis 16 Uhr in der Jugendagentur im Mehrgenerationenhaus Linde statt. Beratung für russischsprachige Eltern wird unter anderem montags von 16 bis 18 Uhr im Rathaus angeboten. Langfristig sind „Starke Eltern – Starke Kinder“-Kurse und ein Vätertreff geplant.