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Die Luftschifffahrt in der Chemie

Austausch zwischen Bildungspartnern: Ingenieur unterrichtet an der Schule, Lehrerin in der Firma

Eine „Bildungspartnerschaft in Reinform“ betreibt die Grund- und Werkrealschule in Oberlenningen gemeinsam mit der Papierfabrik Scheufelen: Als an der Schule ein Chemielehrer ausfiel, schickte das Unternehmen einen Chemiker als Ersatz. Umgekehrt gibt eine Lehrerin demnächst den Scheufelen- Azubis Englisch-Unterricht.

Die Luftschifffahrt in der Chemie
Die Luftschifffahrt in der Chemie

Lenningen. Die Hilfe für die Schule war eine Selbstverständlichkeit, wie Rainer Wolf, Ausbildungsleiter für Papiertechnologen sowie Maschinen- und Anlagenführer bei Scheu­felen, berichtet. „Wenn man etwas anfängt, muss man das auch durchziehen“, sagt er zum Thema „Bildungspartnerschaft“.

Für die Karl-Erhard-Scheufelen-Schule war der Bildungspartner der Retter in der Not. Schulleiter Erich Merkle erzählt: „Mit Beginn des Schuljahrs ist unser Naturwissenschaftslehrer ausgefallen, und im Wahlpflichtfach Natur und Technik sind die fachlichen Ansprüche so hoch, dass da nicht einfach jeder einspringen kann.“ – Nun sind auch an anderen Schularten die Lehrer für naturwissenschaftliche Fächer sehr gefragt, sodass der Gedanke naheliegend war, beim Bildungspartner anzufragen, der ja selbst viele Naturwissenschaftler beschäftigt.

Mit Sascha Haiser war dann auch schnell das entsprechende Multitalent gefunden: Seit Anfang November unterrichtet der Diplom-Ingenieur in der Abschlussklasse im Wahlpflichtfach Natur und Technik. Jeden Montagmorgen hält er eine Doppelstunde. Zunächst einmal dreht sich dabei alles um sein Spezialgebiet Chemie. Er hat seinen Schülern das Periodensystem der Elemente nahegebracht – bis hin zu der Tatsache, dass der Wasserstoff in der ersten Hauptgruppe eine Sonderstellung einnimmt. Im Unterschied zu den Alkalimetallen ist er nämlich das einzige gasförmige Element in dieser Gruppe. Mit didaktischer Raffinesse erzählt Sascha Haiser auch gleich noch eine Geschichte zum Wasserstoff: 1937 sei das Luftschiff „Hindenburg“ in Lakehurst nur deshalb in Flammen aufgegangen, weil es mit Wasserstoff gefüllt war. „Mit Helium wäre das nicht passiert.“

Beim Unterricht zum Pressetermin verbindet Sascha Haiser die Chemie aber nicht nur mit Geschichte. Beim Destillationsversuch, der im Mittelpunkt steht, führt er sachgemäß aus, dass der Siedepunkt von Alkohol bei 78 Grad Celsius liegt. Deswegen lässt sich der Alkohol durch Erhitzen verhältnismäßig leicht isolieren, weil Wasser ja erst bei 100 Grad gasförmig wird. Nebenbei aber klärt der Aushilfslehrer seine Schüler noch über die Gefahren von Alkohol auf: „Die Dosis macht‘s. Wenn man zu viel davon nimmt, ist alles Gift.“

Die Schüler folgen dem Unterricht aufmerksam. Sie sind bei der Sache und geben auch auf Wiederholungsfragen die richtigen Antworten. Schließlich soll die nächste Klausur ähnlich gut ausfallen wie die letzte. Den Begriff „Klausur“ hatte Sascha Haiser verwendet, ohne sich wirklich Gedanken darüber gemacht zu haben. Bei seinen Schülern fällt der Begriff aber sehr wohl auf. Sie fühlen sich dadurch aufgewertet. Schulleiter Erich Merkle hat schon festgestellt, dass sie mit einigem Stolz sagen: „Bei Herrn Haiser schreiben wir keine Klassenarbeit, da schreiben wir eine Klausur.“

Aber auch der Rektor ist ganz angetan von seinem neuen Kollegen, den er leihweise für die zwei Wochenstunden bei den Neuntklässlern überlassen bekommt: „Bis Ostern steht noch Chemie auf dem Programm, danach geht es mit Physik weiter – mit den Antriebssystemen für Automobile. Aber das kann er auch. Schließlich kommt er ursprünglich aus der Automobilindustrie.“ So viel verdienten Vertrauensvorschuss bekommen eben nur Experten, die sich auch wirklich im Alltag und ganz praktisch mit dem beschäftigen, was in der Schule eher in der Theorie vermittelt wird.

Diplom-Pädagoge Ralf Litschke, der bei der Bezirkskammer Esslingen-Nürtingen der IHK Region Stuttgart für die Bildungspartnerschaften zuständig ist, freut sich speziell über diesen „Anknüpfungspunkt zur Realität“, den der Fachpraktiker bieten kann. Für die Schüler bedeute das eine ganz andere Motivation, „wenn die Alltagswelt zu ihnen in die Schule kommt“. Diese spezielle Kooperation der Oberlenninger Werkrealschule mit der Papierfabrik als Bildungspartner ist auch für Ralf Litschke etwas ganz Besonderes.

Ausbildungsleiter Rainer Wolf wiederum freut sich darauf, wenn seine Auszubildenden demnächst im Rahmen ihrer betrieblichen Ausbildung Englisch-Unterricht erhalten: „Das ist toll, die Azubis ans Geschäftsenglisch heranzuführen.“

Außer der IHK, der Papierfabrik und der Schule scheint aber noch eine andere Einrichtung von dieser Kooperation begeistert zu sein, die sie letztlich sogar absegnen muss. „Das Schulamt ist informiert und begrüßt das“, sagt Konrektorin Andrea Geltz. Inwieweit dieses Beispiel Schule machen kann, das muss sich zwar erst noch zeigen. Es kann wohl auch nicht jeder Bildungspartner einen kompetenten Naturwissenschaftler zur Verfügung stellen. Aber wenn es nach der Schulleitung und nach den Schülern ginge, dann dürfte Sascha Haiser noch auf Jahre hinaus im Fach Natur und Technik unterrichten.