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„Ein Gewinn für alle Beteiligten“

Leseförderung: Zahlreiche Lesepaten gehören zu den Anwärtern auf den Ehrenamtspreis

Mit großem Engagement sorgen zahlreiche Lesepaten in der Region rund um die Teck dafür, dass Kinder die Welt des Lesens für sich entdecken. Diese Lesepaten sind für den Ehrenamtspreis nominiert. Beispielhaft stellt der Teckbote das Leseförderprojekt an der Alleenschule, der Freihof-Grundschule und der Raunerschule in Kirchheim vor.

Anette Frey zählt zu den vier Lesepaten an der Kirchheimer Alleenschule.Foto: Jean-Luc Jacques
Anette Frey zählt zu den vier Lesepaten an der Kirchheimer Alleenschule.Foto: Jean-Luc Jacques

Kirchheim. Im Ruheraum der Al­leenschule scheint die Sonne angenehm wärmend durch die großen Fenster. Von der Decke baumelt ein Zweig mit selbst gebastelten Papierblumen, -vögeln und -schmetterlingen. An den Wänden sind bunte Bilder der Grundschulkinder zu sehen. Und in der Mitte des gemütlichen Raumes befinden sich zusammengestellte Tische, an denen es sich die kleine Erika und ihre Lesepatin Anette Frey bequem gemacht haben. Konzentriert liest das Mädchen aus einem seiner Lieblingsbücher: aus „Fiona Spiona: Falsch gedacht, Herr Katzendieb!“. Die Sätze kommen der Grundschülerin meist flüssig über die Lippen – nur bei komplizierteren Wörtern wie „getigert“ oder „verschwörerisch“ gerät sie ins Stocken. Dann atmet das Mädchen tief durch, schaut sich das Wort nochmal genau an und versucht es erneut.

„Es ist wichtig, dass man die Kinder so wenig wie möglich korrigiert“, erklärt Willi Kamphausen, der vor vier Jahren die Idee für das Leseförderprojekt an der Freihof-Grundschule und der Alleenschule hatte. Damals ging der ehemalige Schulleiter der Freihof-Grundschule in den Ruhestand – als Pensionär wollte er aber trotzdem noch etwas für die Kirchheimer Grundschulkinder bewegen. „Man geht davon aus, dass jedes Kind lesen kann – was aber nicht stimmt. Schüler können sich in Klassen mit bis zu 30 Kindern durchmogeln“, weiß der Kirchheimer. Die Gründe dafür, dass die Leseleis­tungen einiger Kinder schwach ausgeprägt sind, liegen für Willi Kamp­hausen auf der Hand: „Es wird zu wenig vorgelesen und selbst gelesen – sowohl in der Schule als auch in der Familie.“ Für Leseübungen werde zu wenig Zeit aufgewendet und der Lesekompetenz insgesamt ein zu geringer Stellenwert eingeräumt. Dies gelte für alle Grundschüler – Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund sowie aus sozial schwachen und bildungsfernen deutschen Familien würden jedoch besonders darunter leiden.

Willi Kamphausen stieß im Internet schließlich auf eine Lösung des Problems: das „Salzburger Modell“. Dabei liest ein Erwachsener täglich von Montag bis Freitag mit einem Schüler jeweils 15 Minuten lang in einem Buch. Die Leseförderung dauert pro Kind in der Regel drei Monate. Zu Beginn lesen die Erwachsenen den Schülern vor. Anschließend dürfen sich die Kinder ein für sie interessantes Buch aussuchen, aus dem sie dann selbst den Lesepaten vorlesen. In der Teckstadt wird dieses Modell an der Freihof-Grundschule seit drei Jahren, an der Alleenschule seit zwei Jahren und auch an der Raunerschule seit einem Jahr erprobt – und das mit sehr großem Erfolg. „Es hat sich herausgestellt, dass sich manche Kinder wegen ihrer Leseschwäche im Unterricht gar nicht beteiligen können“, erzählt Willi Kamphausen. Durch das regelmäßige Lesen hätten sie Zugang zu Büchern gefunden – und eine Begeisterung für das Lesen entwickelt.

Volker Blankenhorn, stellvertretender Schulleiter der Alleenschule, kann das nur bestätigen: „Bei allen beteiligten Kindern gibt es Fortschritte.“ Zwar sei man zunächst vor einer gewissen Hürde gestanden, weil man die Kinder für die Leseförderung täglich 15 Minuten lang aus dem regulären Unterricht herausholen müsse. Die Klassenlehrer würden jedoch dafür sorgen, dass die Schüler schnell wieder Anschluss erhalten.

Auch Ulrike Haehnel, Lehrerin an der Raunerschule, sieht hier kein Prob­lem – ganz im Gegenteil: „Die 15 Minuten, in denen die Kinder im Unterricht fehlen, kann man auffangen. Die Lehrer können das gut steuern.“ Ebenso wie Willi Kamphausen ist Ulrike Haehnel im Internet auf das „Salzburger Modell“ gestoßen. „Ich stelle immer wieder fest, dass bei manchen Kindern das Leseverständnis fehlt.“ Deshalb habe sie das Projekt an der Raunerschule ins Leben gerufen.

Welche Schüler in den Genuss der individuellen Leseförderung kommen, wird auf Empfehlung der Klassenlehrer entschieden. In der Regel handelt es sich um Zweit- und Drittklässler. Für die Eltern der betroffenen Kinder, die der Leseförderung schriftlich zustimmen müssen, ist das Angebot kostenlos. Die Lesepaten selbst engagieren sich rein ehrenamtlich und erhalten keine finanzielle Gegenleistung.

An der Alleenschule gab es im nun zu Ende gegangenen Schuljahr vier Lesepaten, an der Freihof-Grundschule waren es fünf Ehrenamtliche, und an der Raunerschule betreuten im vergangenen Schuljahr zwölf Lesepaten die Kinder. Dabei handelt es sich zum Beispiel um pensionierte Lehrer, ehemalige und aktive Elternvertreter sowie engagierte Mütter und Großmütter.

Bei der Leseförderung nach dem „Salzburger Modell“ gebe es zwei Komponenten, betont Willi Kamp­hausen: Die Kinder sollen zum einen Lesefertigkeit und zum anderen Leseverständnis entwickeln. „Es ist deshalb besonders wichtig, dass die Lesepaten mit den Kindern auch über den Inhalt des gelesenen Textes sprechen“, unterstreicht Ulrike Haehnel. Außerdem sei es entscheidend, auch die Eltern mit ins Boot zu holen. „Wir bitten sie darum, nach der Leseförderung dranzubleiben und mit ihren Kindern regelmäßig zu lesen.“

Das Leseförderprojekt wecke bei den Kindern nicht nur den Spaß am Lesen, verdeutlicht Ulrike Haehnel. „Es stärkt auch das Selbstwertgefühl der Schüler.“ Willi Kamphausen sieht das genauso – er hat außerdem beobachtet, dass die Motivation und der Lernerfolg insgesamt steigen, wenn sich die Kinder im Lesen sicherer sind. Voll des Lobes ist auch Volker Blankenhorn: „Die Leseförderung ist für alle Beteiligten ein Gewinn.“