Lokales

Ein Rolli-Duo auf dem Weg nach oben

Willi Lang und Oliver Fleiner machen Rollstuhlfahrern mit ihrer Website Mut

Für ihre Website haben sie soeben den alternativen Medienpreis gewonnen. Sie haben ein Logo für behindertenfreundliche Kneipen und Läden entwickelt, sie wollen mit dem Rollstuhl einen Berg hinabfahren und im Herbst den Weltrekord im Rollstuhl-Rolltreppe-Fahren aufstellen: Oliver Fleiner und Willi Lang sind Rollstuhlfahrer, die anderen Mut und ihre Umwelt behindertenfreundlicher machen wollen.

Oliver Fleiner und Willi Lang (von rechts) sind ständig in Kirchheim unterwegs und überlegen, wie sie ihre Umgebung behindertenf
Oliver Fleiner und Willi Lang (von rechts) sind ständig in Kirchheim unterwegs und überlegen, wie sie ihre Umgebung behindertenfreundlicher gestalten können. Stufen wie hier am Rossmarkt sind für Oliver Fleiner und seinen Rollstuhl eine Kleinigkeit, für Willi Lang mit seinem Elektro-Rolli wird es schon schwierig. Die Arbeit an der Website findet meist in Langs Küche statt (kleines Bild).Fotos: Gesa von Leesen

Gesa von Leesen

Kirchheim. Vor mehr als fünf Jahren haben die beiden Männer sich in der Reha kennengelernt und schnell war ihnen klar, dass sie auf gleicher Wellenlänge liegen: Sie wollen aktiv sein, sich auch mit ihrer Behinderung so frei wie möglich bewegen. Sie trafen sich regelmäßig, und vor etwa anderthalb Jahren begannen sie, eine eigene Website aufzubauen. Unter www.behindert-barrierefrei.de geben sie Tipps, wie man sich mit Rolli auch unter schwierigen Verhältnissen seinen Weg bahnt, wie man eine Reha bekommt, was man für einen Behindertenausweis tun muss. Es geht um Pflegestufen, Erwerbsunfähigkeitsrente, Reise-Ratschläge und technische Neuigkeiten.

„Wir wollen aber nicht nur Rollstuhlfahrer ansprechen, sondern allen Behinderten ein Forum geben“, sagt Fleiner. Wer mag, kann auf der Website eigene Erlebnisse erzählen, Termine eingeben, Kontakt zu Gleichgesinnten aufnehmen. Das sei wichtig, erklärt Lang, der vor sechs Jahren auf einer Messe „vom Schlag getroffen“ wurde. Seitdem ist vor allem die rechte Körperhälfte des 56-Jährigen schwer geschädigt. Der ehemalige Unternehmer hat lange gebraucht, bis er wieder einigermaßen auf dem Damm war – sowohl körperlich als auch seelisch.

Oliver Fleiner ist seit etwa fünf Jahren auf den Rollstuhl angewiesen, seit mehr als 15 Jahren leidet der 44-Jährige an Multipler Sklerose. „Viele Behinderte trauen sich nicht raus, haben Angst vor Stufen, wollen niemanden um Hilfe bitten“, weiß der einstige Mercedes-Testfahrer.

Weil sie wissen, wie schwierig es ist, mit einer Behinderung zurecht kommen zu müssen, wollen Fleiner und Lang ihre Leidensgenossen ermutigen und das scheint zu funktionieren. Die Website wächst und wächst, immer mehr Behinderte aus ganz Deutschland klinken sich ein. So ist auch eine Selbsthilfegruppe entstanden, die sich jeden Donnerstag trifft, mal in Stuttgart, mal in Kirchheim.

In ihrer Heimatstadt Kirchheim verteilen Fleiner und Lang inzwischen Aufkleber mit der Aufschrift „Barrierefreie Gastronomie“. Fleiner: „Die Kriterien sind Barrierefreiheit, Behindertentoilette und Behindertenfreundlichkeit.“ Um die 20 Aufkleber hat das Rolli-Duo inzwischen vergeben. „Wir besuchen jede Einrichtung, schauen uns alles genau an, reden mit den Gastronomen“, sagt Fleiner. Die würden sich freuen über das Engagement und seien dankbar, wenn sie Tipps bekommen, wie sie – oft mit wenigen Handgriffen – Barrierefreiheit schaffen können.

„In Deutschland ist man schon ziemlich weit mit der Barrierefreiheit“, findet Oliver Fleiner. Auch in Kirchheim gebe man sich große Mühe, viele Bordsteine seien abgesenkt, es gibt Rampen, Busfahrer aber auch Ladenbesitzer helfen gerne, wenn es darum geht, Stufen zu überwinden. Fleiner und Lang erwarten nicht, dass die gesamte Welt sich an ihre Behinderung anpasst und Städte umgebaut werden. „Kirchheim ist nun mal eine mittelalterliche Stadt, ich muss lernen, damit umzugehen“, ist die Meinung von Oliver Fleiner.

Ein echtes Problem sei für Rollifahrer oft der Nahverkehr. Noch immer hätten viele Busse keine Rampe. Doch zum einen müssten die Fahrer helfen, zum anderen sei es nur eine Frage der Zeit, bis alle Busse gegen neue Fahrzeuge mit Rampe ausgetauscht seien. Da die beiden oft in Stuttgart sind, kennen sie sich inzwischen recht gut im S- und U-Bahn-System aus. Für das Ein- und Aussteigen mit dem Rollstuhl bieten die beiden auf Nachfrage ebenso Trainingsstunden an wie für die Fahrt mit der Rolltreppe. Selbstverständlich immer kostenlos. „Wir wollen kein Geld verdienen, sondern helfen“, unterstreicht Lang.

Sponsern allerdings lassen sich die zwei schon, zum Beispiel für ihre Bergabfahrt am Dienstag, 24. Mai, oder Mittwoch, 25. Mai, in Oberstorf. „Das Höchste mit dem Rollstuhl“ haben sie ihren Plan genannt. Anlass ist die Einladung eines von Behinderten betriebenen barrierefreien Hotels in Oberstorf. Von dort wollen sie mit der Gondel auf das Nebelhorn fahren, sagt Fleiner. „Oben füttern wir die Bergdohlen und fahren dann 2 224 Meter mit dem Rollstuhl bergab.“ Der sportliche Mann freut sich sichtlich auf dieses Abenteuer, hofft, dass das Wetter mitspielt. Für die Abfahrt bekommt das Duo Spezial-Rollstühle gestellt, außerdem können sie einen extra ausgestatteten Mercedes ausprobieren. Auch dieser Ausflug wird schriftlich und filmisch auf der Website dokumentiert. Vielleicht inspiriert das ja andere Rollifahrer.

„Zu viele verstecken sich zu Hause“, sagt Fleiner. „Das ist das Schlimmste.“ Er selbst laufe nicht Gefahr, in Trübsal zu verfallen: „Das würde mein vierjähriger Sohn gar nicht zulassen.“

 

www.behindert-barrierefrei.de

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