Lokales

Eine Stadt spiegelt europäische Vielfalt wider

Politisch-philosphischer Vortrag inspiriert City Dialog und Integrationsausschuss

Eine Stadt lebt von der Diversität. Menschen jeden Lebensalters mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten und wirtschaftlichen Interessen finden dort eine Heimat. Viele sind aus nahen oder fernen Regionen zugezogen und bringen unterschiedliche Dialekte, Sprachen, Religionen und Kulturen mit.

Kirchheim. Stadtentwicklung aus Sicht der politischen Philosophie, darüber referierte Dr. Wolfgang Schröder, Privatdozent am Philosophischen Seminar der Universität Tübingen, in der Freihof-Realschule vor Teilnehmern des dritten City Dialogs, des Integrationsausschusses, Stadträten und Stadtverwal-tung. Ziel der gemeinsamen Veranstaltung war es, neue Impulse zu erarbeiten, wie Bürger mit unterschiedlichen kulturellen Identitäten ihre Stadt als Heimat erleben und aktiv ihre Interessen einbringen können.

Oberbürgermeisterin Angelika Matt-Heidecker erinnerte an das denkwürdige Datum des 8. Mai 1945, als Deutschland die Kapitulation erklärte. In den darauffolgenden Jahren entwickelte Deutschland eine der besten Verfassungen der Welt.

Die Stadt sei keineswegs eine moderne Erfindung, stellte der Referent klar, sondern die Griechen hätten schon in der Antike die „Polis“, den Stadtstaat geschaffen, in dem gute Strukturen das Zusammenleben un­terschiedlicher Kulturen ermöglichten. Für den griechischen Philosophen Aristoteles bedeutete die Polis ein Staatsgebilde, das über der familiären Gemeinschaft und über der Dorfgemeinschaft stand.

Aus heutiger philosophischer Sicht Schröders sollte die Stadt ein Servicebewusstsein aufbringen und alle Einrichtungen zur Verfügung stellen, die nötig sind, um sich selbst zu organisieren. Schulen, Arbeitsstätten, kulturelle Einrichtungen sind Beispiele dafür. In den Städten ist die weit zurückreichende europäische Geschichte erkennbar. Insbesondere die großen Universitätsstädte spiegeln eine bunte Vielfalt wider. Die Leute kommen mit ihren Fähigkeiten und Hintergründen in die Stadt. Jugendliche halten sich nicht an Grenzen und surfen weltweit in den Internetportalen. Unterschiedliche Lautstärken kommen vor, die zur gegebenen Zeit ihre Berechtigung haben. Christen, Muslime, Juden bilden vielleicht sogar eigene Stadtviertel. Nach Ansicht Schröders sollte die Stadt geordnete Strukturen aufweisen, in der die verschiedenen Interessen einen angemessenen Platz finden. Deutschkurse seien wichtig, aber auch die Vielfalt der Sprachen. Was spricht dagegen, mehrere Sprachen zu erlernen? Integration bedeute nach Erkenntnis der Philosophie nicht Vereinheitlichung, sondern stamme von dem Wort „integer“ ab, was „unversehrt“ bedeute. Andere Menschen sollten seiner Ansicht nach nicht zu Gegenständen der Integration gemacht werden.

Damit auch Minderheiten in einer Stadt wahrgenommen werden misst Schröder der „res publica“, der öffentlichen Sache in einer Stadt noch mehr Bedeutung zu als der Demokratie, in der es nur um Mehrheitsbildung geht. Beides könne nebeneinander bestehen. Den Begriff „Vergesellschaftung“ prägte der Soziologe Max Weber im 19. Jahrhundert. Laut Schröder stellt er treffend die Situation in der Stadt lebender Menschen dar. Dieser Begriff beschreibe besser die vielfältigen städtischen Vorgänge, die parallel laufen, als der ebenfalls von Weber stammende Begriff „Vergemeinschaftung“, der auf Enge hi­nauslaufe. Zufälligerweise leben die unterschiedlichsten Menschen in ei­nem Stadtkontext zusammen, ähnlich wie in einer Nachbarschaft. Wie in einer guten Nachbarschaft sollten Menschen unentgeltlich denjenigen Unterstützung anbieten, die es schwerer haben im Leben, sei es in Form von Nachhilfeunterricht, gebrechlichen Menschen eine schwere Last abnehmen oder Kontakt zu isoliert lebenden Menschen aufnehmen.

In der antiken Stadt übten die Menschen das Bürgertum als Beruf aus, sie beteiligten sich an allen städtischen Prozessen. „Wie kann man Menschen in der heutigen Zeit dazu motivieren, sich für das Gemeinwohl zu engagieren und sich als mündige Bürger am städtischen Leben zu beteiligen, wenn die bestehenden Institutionen ihre Interessen nicht widerspiegeln?“, lautete eine der zahlreichen Fragen aus dem Publikum an den Referenten. Schröder empfahl dazu, die Talente und das Engagement dieser Menschen sichtbar zu machen, sei es in Zeitungsberichten, in Anreizen wie Wettbewerben, eben in einer Kultur der Belohnung oder Anerkennung in Form von Ehrungen.