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„Eltern sollten Kindern vertrauen“

Ratgeber-Autor Herbert Renz-Polster zu „Helikoptereltern“

Wie können Kinder sich entwickeln, wenn Helikoptereltern ständig über ihnen kreisen? Ein Gespräch mit dem Kinderarzt und Ratgeber-Autor Herbert Renz-Polster.

„Eltern sollten Kindern vertrauen“
„Eltern sollten Kindern vertrauen“

Momentan ist oft die Rede davon, wie genervt Schulleiter und Lehrer von sogenannten Helikoptereltern sind. Aber was macht es mit den Kindern, wenn sie von ihren Eltern überbehütet werden?

HERBERT RENZ-POLSTER: Prinzipiell ist es für Kinder ganz wichtig, wenn ihre Eltern sie behüten. Es wird aber dann ein Problem, wenn die Kinder den Raum oder die Gelegenheit verlieren, sich selbst zu bewähren. Um sich entwickeln zu können, müssen Kinder sich ja kennenlernen, Erfahrungen mit anderen Menschen machen und die Welt erkunden. Das können wir den Kindern nicht als Erwachsene vermitteln, auch nicht aus unserem Erfahrungsschatz heraus. Jedes Kind muss diesen Weg selber gehen. An eigenen, vielleicht auch negativen Erfahrungen, führt kein Weg vorbei. Wenn Kindern immer alles abgenommen wird, gewöhnen sie sich irgendwann daran. Sie werden ängstlicher, mutloser, vielleicht auch bequemer.

Warum glauben Sie, dass es immer mehr Eltern gibt, die sich so verhalten?

RENZ-POLSTER: In den 70er-Jahren gab es viel Aufwind für die Mittelschicht, da musste man sich keine großen Sorgen um die Zukunft der Kinder machen. Heute bläst der Mittelschicht der Wind ins Gesicht. Viele haben Abstiegsängste und sagen sich: Meine Kinder müssen funktionieren. Ich tue ihnen etwas Gutes, wenn ich sie antreibe.

Aber die Gesellschaft wird ja auch immer leistungsorientierter. Haben Eltern also nicht recht, wenn sie für ihr Kind die bestmögliche Ausbildung fordern? Und damit Lehrern und Schulleitern halt auch mal auf die Nerven gehen?

RENZ-POLSTER: Natürlich. Die Eltern haben alles Recht der Welt, für das Wohl ihres Kindes zu sorgen. Die Frage ist nur, wie. Nicht, indem man den Kindern alle Steine aus dem Weg räumt. Sondern, indem man den Kindern zutraut, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Sicher wird es auch mal Fälle geben, in denen etwas von Erwachsenem zu Erwachsenem besprochen werden muss. Aber was lernen Kinder denn dadurch, dass Mami alles regelt? Und wie können sie der Welt begegnen, wenn es kein Risiko geben darf? Natürlich müssen Eltern auch die Sicherheit der Kinder im Auge haben, aber man muss ihnen dabei doch nicht die Freiheit im Alltag nehmen. Denn Eltern sind ja durchaus bereit, ihren Kindern Risiken zuzumuten, wenn es zu ihren Zielen für die Kinder passt. Ski fahren auf der schwarzen Piste ist in Ordnung, aber auf den Baum klettern nicht. Fußball spielen, wo praktisch immer was passiert, ja. Unbeaufsichtigtes Spielen in der freien Natur, nein.

Ihr Rat an die Eltern?

RENZ-POLSTER: Mein grundsätzlicher Rat ist, dass Eltern nicht so viele konkrete Ziele für ihre Kinder haben sollten. Eltern sollten einen Rahmen von Verlässlichkeit, von Feinfühligkeit, von funktionierenden authentischen Beziehungen bieten. Dieses Kapital nutzen die Kinder dann, um sich auf den Weg zu machen. Und zwar aus sich selbst heraus.