Lokales

Ganz einfach Mensch sein

Jugendliche im Ehrenamt: Vincent Wölke verbringt seine Freizeit mit Menschen mit Behinderung

Vincent Wölke hat dieselben Hobbys wie viele seiner Altersgenossen. Der 15-jährige Kirchheimer macht Sport, spielt Gitarre und Computerspiele und trifft Freunde. Daneben verbringt er seine Freizeit auch mit besonderen Menschen: Er engagiert sich ehrenamtlich beim Aktionskreis für Menschen mit und ohne Behinderung (AKB) in Kirchheim.

Vorbereitungen fürs Abendessen: Vincent Wölke (rechts) zeigt Ralf, wie man den Teig ausrollt. Foto: Deniz Calagan
Vorbereitungen fürs Abendessen: Vincent Wölke (rechts) zeigt Ralf, wie man den Teig ausrollt. Foto: Deniz Calagan

Kirchheim. Eine heimelige Atmosphäre liegt an diesem Donnerstagabend über der Begegnungsstätte des AKB im Kirchheimer Paradiesle. Während es langsam dunkel wird, trudeln im großzügigen Innenhof des Gebäudes nach und nach die Busse ein, die die Teilnehmer der Abendveranstaltung von zu Hause abholen. Im Flur des Hauses steht Vincent und begrüßt jeden, der ankommt. Gemeinsam mit drei anderen Ehrenamtlichen betreut er eines der wöchentlich stattfindenden Treffen für Menschen mit geistiger Behinderung. „In unseren Abendclubs möchten wir unsere Freizeit gemeinsam mit Menschen mit Behinderung gestalten und so einen Rahmen für Begegnungen schaffen“, erklärt Vincent. „Was wir dann immer machen, ist ganz verschieden. Meistens kochen und essen wir gemeinsam. Aber wir veranstalten auch Ausflüge, zum Beispiel zum Kegeln oder ins Schwimmbad.“

Diesen Abend trifft sich der „Schulclub“, der so heißt, weil sich einige der Teilnehmer noch aus ihrer Schulzeit kennen. Auf dem Plan steht Pizza backen. „Es sieht so aus, als müssten wir heute mit nur zwei Mitarbeitern anfangen“, sagt Vincent. Eine der anderen Ehrenamtlichen hat abgesagt, eine andere verspätet sich um eine halbe Stunde. Das bringt ihn allerdings nicht aus der Ruhe. Gemeinsam mit seiner Kollegin Miriam stellt er in der Küche der Begegnungsstätte die Zutaten für die Pizza bereit. Auf die Frage, was ihn zu seinem Engagement motiviert, antwortet er ohne einen Moment zu zögern: „Es macht mir einfach Spaß. Das Zusammensein mit Menschen mit Behinderung ist ganz offen und ehrlich. Man kann bei ihnen einfach Mensch sein, denn sie sind nicht oberflächlich und achten nicht darauf, wie man aussieht oder was man besitzt.“

Bereits seit November 2011 engagiert sich der Schüler ehrenamtlich für Menschen mit Behinderung. Auf die Idee brachte ihn ein Praktikum, das er im Rahmen des Projekts „Soziales Engagement“ seiner Realschule beim AKB absolviert hatte. Kontakt zu Menschen mit geistiger Behinderung hatte er allerdings schon lange davor. „Mein Interesse am AKB kam auch daher, dass ich ein Mädchen mit Behinderung kenne, seit ich ganz klein bin.“

An Vincents Arbeit mit den Menschen wird deutlich, dass er den Umgang mit ihnen schon lange gewohnt ist. Er hat keine Berührungsängste, geht mit einer routinierten Selbstverständlichkeit auf die Clubteilnehmer ein und spricht mit ihnen auf Augenhöhe über die Aufgabenverteilung beim Backen. Jeder hilft bei der Zubereitung der Pizza mit, die Atmosphäre in der Küche ist gesprächig und gesellig. Die meisten der neun Teilnehmer des Donnerstags-Clubs sind zwischen 30 und 50 Jahren alt, auch unter den anderen Ehrenamtlichen gehört Vincent zu den jüngsten. „Gleichzeitig ist er aber auch einer der Engagiertesten“, sagt seine Kollegin Miriam, die sich seit sieben Jahren beim AKB engagiert. „Zurzeit ist er aktiver als ich.“

Für seinen Einsatz bekommt Vincent kein Geld. Er profitiert trotzdem von seinem Ehrenamt. „Man macht hier immer wieder neue Erfahrungen, das ist sehr viel wert. Außerdem stärkt diese Arbeit das Selbstvertrauen.“ Seine Offenheit ist Vincent anzumerken. Er spricht stets von „Menschen mit Behinderung“. In seinen Erzählungen stehen die Menschen im Vordergrund, nicht deren Kategorisierung als „Behinderte“. Dieses Wort hört man beim AKB nirgendwo.

Seit einiger Zeit hilft Vincent auch bei der Betreuung der Ferienfreizeiten des AKB mit. Auf den Gruppenreisen in den Oster- und Sommerferien übernimmt er sogar pflegerische Tätigkeiten, wäscht die Teilnehmer und hilft ihnen beim Anziehen. Ist man als Jugendlicher von dieser Verantwortung nicht überfordert? „Na ja, manchmal habe ich schon ein bisschen Angst, dass etwas passieren könnte, dass es einen medizinischen Notfall gibt, zum Beispiel. Das kam in meiner Zeit als Ehrenamtlicher allerdings noch nie vor, nur während meines sozialen Praktikums ein Mal. Da habe ich auch gleich gesehen, wie man sich verhalten sollte: Man muss auf jeden Fall ruhig bleiben und überlegt reagieren. Das habe ich sehr verinnerlicht. Und im Notfall wären ja immer auch noch andere da“, erklärt Vincent.

Inzwischen sind alle Zutaten für die Pizza fertig zubereitet. Vincent rollt den Teig aus und bekommt Hilfe von Ralf, einem der Clubteilnehmer. „Du musst mit Druck arbeiten, Ralf, damit der Teig das ganze Blech ausfüllt.“ Geduldig zeigt Vincent dem älteren Mann, wie das Nudelholz funktioniert. Es dauert nicht lange, bis die vier Bleche fertig zum Belegen sind. „Es gibt schon etwas, was ich an meiner Arbeit nicht so mag“, räumt Vincent ein. „Wenn es etwas zu organisieren gibt, zum Beispiel für eine Sonderveranstaltung, bin ich nicht derjenige, der sich darum reißt. Daran habe ich nicht so viel Spaß. Ich arbeite lieber direkt mit den Menschen.“

Nachdem jeder seinen Anteil zur Zubereitung der Pizza geliefert hat, freuen sich alle auf das gemeinsame Essen. Der respektvolle Umgang miteinander schafft beim AKB ein Klima der Wertschätzung. Etwas anders sieht es für Vincent unter Gleichaltrigen aus, wenn es um sein Ehrenamt geht. „Meine Freunde fragen mich oft, warum ich das überhaupt mache, wo ich doch kein Geld dafür bekomme. Ich schlage ihnen dann immer vor, dass sie mich mal bei meiner Arbeit begleiten sollen. Dann könnten sie sehen, wie viel Spaß es macht, sich ehrenamtlich zu engagieren.“ Seine Lehrer hingegen loben den jungen Ehrenamtlichen für sein Engagement. Es komme den schulischen Verpflichtungen auch nur sehr selten in die Quere, sagt Vincent. Wenn er in der Schule zu viel Stress hat, lässt er den Abendclub eben einmal ausfallen. „Es ist auf jeden Fall ein guter Ausgleich zur Schule. Und die freie Zeit ist wesentlich sinnvoller verbracht, als wenn ich stattdessen vor dem Computer sitzen würde“, schmunzelt er.

Beruflich hat sich der Zehntklässler schon orientiert. Er möchte Sozialpädagoge werden, sein Hobby zum Beruf machen. Nicht zuletzt bei der Suche nach einem Ausbildungs- oder Studienplatz wird ihm seine Erfahrung beim AKB von großem Wert sein.