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„Große Chance auch für Deutschland“

Zuwanderungsdebatte: Menschen, die aus Rumänien gekommen sind, äußern sich

„Wer betrügt, der fliegt“: Mit diesem Slogan macht die CSU Stimmung gegen vermeintliche Armutsmigranten aus Osteuropa. Wie beurteilen Menschen, die aus Rumänien gekommen sind und heute in der Teckregion leben und arbeiten, die Debatte?

Karin Pflüger, Inhaberin der Postplatz-Apotheke in Kirchheim, wanderte vor über 30 Jahren nach Deutschland aus. „Man kann nicht
Karin Pflüger, Inhaberin der Postplatz-Apotheke in Kirchheim, wanderte vor über 30 Jahren nach Deutschland aus. „Man kann nicht alle Rumänen in einen Topf werfen. Das finde ich sehr ungerecht“, sagt sie zur aktuellen Zuwanderungsdebatte.Foto: Jean-Luc Jacques

Kreis Esslingen. Seit Jahresanfang können Menschen aus Rumänien und Bulgarien in der Europäischen Union ihren Arbeitsplatz frei wählen. Die CSU fordert in diesem Zusammenhang schärfere Regeln gegen angebliche Armutszuwanderung. Aus Angst vor einer drohenden Überlastung der deutschen Sozialsysteme wollen die Christsozialen staatliche finanzielle Hilfen für EU-Bürger einschränken. So sollen die Anreize, nach Deutschland zu kommen, für Menschen mit geringen Arbeitschancen reduziert werden.

Karin Pflüger, Inhaberin der Postplatz-Apotheke in Kirchheim, kann diese Sicht der Dinge nicht nachvollziehen. „Man kann nicht alle Rumänen in einen Topf werfen. Das finde ich sehr ungerecht“, sagt die in Rumänien geborene 54-Jährige, die vor über 30 Jahren mit ihren deutschstämmigen Eltern nach Deutschland ausgewandert war. „Die Ausreise war mit Schikanen verbunden. Wir mussten darum kämpfen, überhaupt ausreisen zu dürfen“, erinnert sie sich. In Deutschland mussten sie und ihre Eltern dann „bei null anfangen“. Doch Karin Pflüger gelang es, an einem Gymnasium in Stuttgart die deutsche Hochschulzugangsberechtigung zu erlangen. In Konstanz und Tübingen studierte sie anschließend Pharmazie. In der Teckstadt lebt sie seit 1992.

Die CSU unterscheide nicht zwischen arbeitswilligen Rumänen und denen, die kommen, um Sozialleistungen zu kassieren, ärgert sich Karin Pflüger. Sie rechnet durch die Arbeitnehmerfreizügigkeit für Rumänen und Bulgaren nicht mit einer Einwanderungswelle, wie von Landesvater Horst Seehofer und Co. befürchtet. Viele seien längst ausgewandert, weiß sie. Zum Beispiel in Griechenland und Spanien seien zahlreiche Rumänen in der Tourismusbranche tätig. Auch in Deutschland würden schon viele Rumänen leben und arbeiten. „Sie fallen nur nicht auf“, sagt die Kirchheimerin.

Dennoch begrüßt sie die Freizügigkeit. Auch für Deutschland sei dies im Hinblick auf den Fachkräftemangel eine große Chance. Vor allem im Pflege- und medizinischen Bereich würde qualifiziertes Personal fehlen.

Ebenso wie Karin Pflüger besitzt auch Hans Hubert aus Ötlingen schon lange die deutsche Staatsbürgerschaft. Der 53-Jährige kam vor knapp 30 Jahren mit seiner Frau und seinen Eltern nach Deutschland. „Wir sind gegangen, weil wir uns dort als Deutsche nicht zu Hause gefühlt haben“, erzählt er und verweist darauf, dass er und seine Familie damals rumänische Staatsbürger mit deutscher Volkszugehörigkeit waren. Sie lebten in der Stadt Arad an der ungarischen Grenze. „Es gab zu dieser Zeit ein ­Abkommen zwischen Rumänien und Deutschland“, berichtet Hans Hubert. Demnach erhielten Deutsche, die auswandern wollten, die entsprechende Erlaubnis.

Die Huberts waren zunächst eine Woche lang in Nürnberg, dann für eine Woche in Rastatt und für fünf Monate in Nürtingen, wo sie jeweils in Spätaussiedlerhäusern wohnten. Anschließend fanden sie eine Wohnung in Kirchheim. „Dort hatten wir Verwandte, es war also eine Familienzusammenführung“, erzählt der 53-Jährige. Er hatte – ebenso wie Karin Pflüger – nie Probleme damit, hierzulande Fuß zu fassen. Das lag wohl auch daran, dass die Familien Hubert und Pflüger perfekt Deutsch sprachen. Hans Hubert arbeitete zunächst als Schreiner in Wendlingen; seit 1990 ist er Hausmeister der Kirchheimer Stadthalle.

Die Debatte, welche die CSU angestoßen hat, verärgert Hans Hubert nicht. Er hat sogar ein wenig Verständnis dafür. „Es kommen nicht nur gute, sondern auch ungebildete Leute nach Deutschland“, räumt er ein. Die qualifizierten Menschen würden hier klarkommen und einen Arbeitsplatz finden, ist er sicher. Die anderen jedoch würden sich schwertun – auch, weil sie die deutsche Sprache nicht beherrschen. Hans Hubert glaubt, dass gerade die Sprachbarriere viele Menschen davon abhalten wird, überhaupt nach Deutschland zu kommen. Deshalb werde Deutschland nicht von Rumänen und Bulgaren überrannt, wie die CSU prophezeit.

Das bestätigt Walter Hartig aus Kirchheim, der im Jahr 1991 die rumänische Stadt Braşov verließ: Eine Einwanderungswelle werde es nicht geben. Der Kirchheimer vermutet außerdem, dass etliche der Einwanderer nicht lange bleiben werden. „Sie arbeiten hier und kehren dann nach wenigen Monaten wieder in ihre Heimat zurück.“

Dem 44-Jährigen, der damals in Rumänien ebenfalls die deutsche Volkszugehörigkeit besaß und heute in der Teckstadt als Zahntechniker arbeitet, stößt die von der CSU angestoßene Debatte nicht sauer auf. „Damit muss man klarkommen“, zeigt er in gewissem Maß Verständnis. Freilich werde es Menschen geben, die hierzulande nur Sozialhilfe kassieren wollen, räumt er ein. Doch es kämen auch arbeitswillige, tüchtige Menschen. In Deutschland kennt Walter Hartig etwa 20 Familien, die ursprünglich aus Rumänien stammen. „Sie alle arbeiten hart und sind angesehen. Keiner von ihnen nimmt Sozialhilfe in Anspruch“, betont er.

Die Arbeitnehmerfreizügigkeit findet der Kirchheimer gut – zum einen für die Rumänen, „die wirklich arbeiten wollen“, und zum anderen für Deutschland im Hinblick auf den Fachkräftemangel. Aber es gebe auch eine Kehrseite der Medaille: Der 44-Jährige befürchtet, dass dadurch die Löhne in Deutschland nach unten gedrückt werden könnten.

Der Kirchheimer ist sehr froh darüber, in Deutschland zu leben und zu arbeiten. „Hier gilt Ordnung und Disziplin.“ In Rumänien sei das ganz anders: Dort würden die Menschen viel und hart arbeiten, „aber sie verdienen sehr, sehr wenig“.