Lokales

Große Fragen, mutlose Antworten

Politiker der großen Parteien diskutierten über Armut – Themen: Mindestlohn, Hartz IV und Zeitarbeit

"Wenn Arbeit Armut nicht beseitigt“ lautete das Thema einer Podiumsdiskussion, die das Evangelische Bildungswerk am Tag nach dem großen Wahlsonntag im Alten Gemeindehaus in Kirchheim veranstaltete. Rainer Arnold (SPD), Jochen Findeisen (Die Linke), Michael Hennrich (CDU), Dr. Ursula Eid (Bündnis 90/Die Grünen) und Ellen Winkler-Oberman (FDP) mussten sich fragen lassen, wie sie den Armen helfen wollen. Wer auf mutige Antworten hoffte, wartete vergebens.

Antje Dörr


Kirchheim. „Der Trend geht für viele zum Zweit- oder Drittjob – und es reicht trotzdem nicht.“ So beschrieb Eberhard Haußmann von der Kreisdiakonie Esslingen in seiner Begrüßung die Lage vieler Menschen, auch in Kirchheim. Mehr als 1,3 Millionen Menschen seien zusätzlich zu ihrem Arbeitslohn auf Hartz IV angewiesen. „Sie finden diese Leute nicht im Ehrenamt“, sagte Haußmann. „Die gehen auch nicht wählen.“ Kinobesuche oder Musikunterricht für ihre Kinder könnten sie sich nicht leisten. Dabei habe jeder Mensch Anspruch auf ein Einkommen, das ihm gesellschaftliche Teilhabe erlaubt.
In den Stellungnahmen der Verbände prangerte Martin Groß von der Dienstleistungsgewerkschaft verdi einen „Missbrauch von Leiharbeit“ an. Er forderte strengere Auflagen für die Zeitarbeit sowie einen Mindestlohn, der Existenzen sichere. Joachim Kienzle vom Arbeitgeberverband Südwestmetall widersprach ihm: Leiharbeit sei ein sinnvolles Instrument. Ebenso wies er darauf hin, dass jeder Verbraucher durch sein Konsumverhalten Einfluss auf die Löhne nehmen könne.
Eberhard Haußmann brachte die Hartz-Reformen in die Diskussion ein und bezeichnete Hartz IV als „gewollte Armut“. Esther Kuhn-Luz vom Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt wies auf die psychischen Belastungen hin, die Menschen erfahren, wenn der Lohn nicht zum Leben reicht: „Menschen, die ausgegrenzt sind, erleben irgendwann ihren Wert oder ihre Würde nicht mehr.“ Dekanin Renate Kath prangerte in ihrem Grußwort die zunehmende Spaltung der Gesellschaft an – auch in Kirchheim.
Bei der anschließenden Podiumsdiskussion ging es hauptsächlich um die Themen Hartz IV, Zeitarbeit und Mindestlohn. Große Überraschungen gab es nicht. Rainer Arnold und Dr. Ursula Eid verteidigten die Hartz-Reformen; sie hätten dafür gesorgt, dass Menschen ohne Arbeit eine Chance bekämen, aus der Langzeitarbeitslosigkeit herauszukommen. Die Entscheidung, Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammenzulegen, sei richtig gewesen, sagte die Grünen-Abgeordnete. Sie räumte jedoch auch Fehler ein, zum Beispiel bei der Anrechnung von Vermögen. In diesem Bereich müsse man „nachjustieren.“ Der SPD-Bundestagsabgeordnete stimmte ihr zu: Dass zum Beispiel die private Altersvorsorge angerechnet werde, sei ein Fehler. Auch der CDU-Abgeordnete Michael Henrich und die FDP-Vertreterin Ellen Winkler-Oberman bezeichneten die Hartz-Reformen als richtig.
Beim Mindestlohn beharrten die Parteivertreter auf ihren Standpunkten. Rainer Arnold forderte einen Mindestlohn, auch wenn er gleichzeitig einräumte, dass eine solche Lohnuntergrenze nie dafür sorgen werde, dass eine ganze Familie ihr Auskommen finde. Dr. Ursula Eid sagte, die Grünen würden einen Mindestlohn unterstützen. Jochen Findeisen forderte eine Lohnuntergrenze von zehn Euro pro Stunde; man müsse jetzt schon „vorbauen“, da absehbar sei, dass die Preise wieder steigen würden, sobald die Wirtschaft sich erhole. Michael Hennrich erklärte, dass ein gesetzlicher Mindestlohn das Problem der Armut nicht lösen könne. „Wir können das den Unternehmen nicht aufbürden“, sagte der Abgeordnete. Das Thema Lohn müsse den Tarifvertragsparteien überlassen werden.
Bei der Zeitarbeit gingen die Meinungen ebenfalls auseinander. Rainer Arnold gab zu, dass er sich geirrt habe, in welcher Form Zeitarbeit angenommen und missbraucht werde. Das Ziel müsse sein, dass Stammbelegschaft und Zeitarbeitnehmer gleich bezahlt würden. Jochen Findeisen forderte enge Regeln bei der Zeitarbeit; er wolle sie aber auch nicht ganz verbieten. Michael Henrich verteidigte die Zeitarbeit: Sie könne Menschen helfen, wieder in Arbeit zu kommen. Alle Politiker betonten außerdem, dass Bildung und Qualifizierung helfen könnten, Armut zu verhindern.
Bei der anschließenden Diskussion sorgte ein ungeschickter Vergleich der grünen Abgeordneten Ursula Eid zwischen der Armut hierzulande und der Armut in der Dritten Welt für Unmut. Jochen Findeisen von der Linken wies darauf hin, dass Armut immer relativ sei: „Natürlich sind die Menschen in Deutschland arm auf einem höheren Niveau.“ Eine Zuhörerin sagte: „Die Armut in der Dritten Welt gehört hier nicht hin.“