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Im OP-Saal spielt der Rock‘n‘Roll

Paracelsus Krankenhaus Ruit - Hedelfinger Str. 16673760 OstfildernOperation - OP - Arz - Patient
Paracelsus Krankenhaus Ruit - Hedelfinger Str. 16673760 OstfildernOperation - OP - Arz - Patient

Ostfildern-Ruit. Paracelsus-Krankenhaus Ruit, Operationssaal, 8.15  Uhr: Während die OP-Schwester routiniert den Bauch des Patienten desinfiziert, singt sich der Sänger der Rockband AC/DC die Seele aus dem Leib. „‘Cause I‘m T.N.T, I‘m dynamite“, schallt es aus den Lautsprechern, die auf einem Metalltischchen in der Ecke stehen. „Jeder darf sich mal was wünschen. Wir spielen alles, von Tschaikowsky bis zu Rockmusik“, erklärt Professor Dr. Serdar Deger, Chefarzt der Urologie im Paracelsus-Krankenhaus in Ruit. Bei einfacheren Einsätzen reicht klassische Musik, bei komplizierteren Operationen braucht es den Rhythmus des Rock‘n‘Roll.

Der Patient, der zugedeckt auf dem OP-Tisch liegt, hat Prostatakrebs – eine Krankheit, die vor allem Männer im höheren Lebensalter trifft. Deshalb wird ihm die Drüse, die unterhalb der Harnblase liegt und den ersten Teil der Harnröhre umkleidet, entfernt. Die Besonderheit in Ruit – im Vergleich zu anderen Kliniken – ist, dass die Operation minimalinvasiv, also ohne das Öffnen der Bauchdecke, durchgeführt werden kann. Das schont den Patienten und erspart ihm und der Klinik einen langen Krankenhausaufenthalt. „Früher wäre er 14 Tage hier gewesen, heute sind es noch fünf“, erklärt Serdar Deger. Mindestens so wichtig, betont er, sei aber die pflegerische Versorgung nach der OP.

So weit ist es allerdings noch nicht. Zunächst steht dem Patienten, dem Chefarzt und seinem Team ein rund dreistündiger Eingriff bevor, der es in sich haben wird. Nachdem der Bauch des Patienten mit Kohlenstoffdioxid aufgebläht worden ist, um den Operateuren Platz zu verschaffen, werden die Zugänge gelegt. Serdar Deger und seine beiden Assistenzärztinnen stechen mit spitzen Instrumenten fünf Löcher in die Bauchdecke des Patienten. Sie sind für die Metallröhren, Trokare genannt, bestimmt, durch die der Chefarzt später operieren wird – wie mit einer Art verlängerter Hand. Das erfordert neben jahrelanger Übung jede Menge Koordinationsvermögen.

Das Innere des Bauches sieht der Operateur stark vergrößert auf einem Bildschirm. Zunächst einmal ist da jede Menge Fett. Obwohl der Patient eher durchschnittlich beleibt ist, behindert es die Sicht ganz erheblich. Während sich der Chefarzt durch die Schicht schneidet, um zur Prostata vorzudringen, muss die Kamera alle halbe Minute herausgezogen und von der OP-Schwester gereinigt werden. Außerdem beschlägt die Linse immer wieder, weil die Kamera kälter ist als die Körpertemperatur des Mannes. „Scheibenwischer gab‘s mal, aber die haben nicht funktioniert“, sagt Serdar Deger.

Nach einer guten halben Stunde wird weiß schimmernd das Schambein des Patienten sichtbar. „Wir sind jetzt fast am Ort des Geschehens“, erklärt der Chefarzt. Die Pros­tata liegt tief verborgen im kleinen Becken. Langsam hebt sie sich als dunkle Kugel ab. Jetzt ist besondere Vorsicht angesagt. „Bei so einer Operation muss man sehr darauf achten, Strukturen zu erhalten, die der Patient hinterher noch braucht“, sagt Serdar Deger. „Es bringt ihm ja nichts, wenn ich ihm den Tumor entferne, er aber hinterher nicht mehr Wasser halten kann.“ Manche Dinge lassen sich allerdings nicht verhindern. Zum Beispiel wird der Patient nach der Operation nicht mehr zeugungsfähig sein. Außerdem wird er Medikamente brauchen, um Geschlechtsverkehr haben zu können.

Vorsichtig löst der Arzt die Verankerung der Prostata vom Becken. Um die Drüse entfernen zu können, wird die Harnröhre durchgeschnitten und abgeklemmt. Später wird sie mit dem Hals der Harnblase vernäht werden – allerdings erst ganz zum Schluss. Der Harnblasenhals bereitet dem Chirurgen derweil Kopfschmerzen. „Das Gewebe gefällt mir überhaupt nicht“, sagt er. Deshalb wird eine Gewebeprobe entnommen und zum sogenannten Schnelltest in die Pathologie nach Esslingen geschickt; das Paracelsus-Krankenhaus hat nämlich keine eigene Pathologie. Das dauert seine Zeit, währenddessen läuft die OP weiter. Am Ende wird sich herausstellen: Keine Hinweise auf Krebs. „Wäre der Schnelltest positiv gewesen, hätten wir noch einmal nachschneiden müssen“, erklärt die Assistenzärztin.

Um die Prostata, die im Bauch in ein Beutelchen verpackt wird, herauszubefördern, reichen die kleinen Zugänge nicht aus. Serdar Deger muss einen größeren Schnitt machen – und befördert die stark walnussgroße Drüse schließlich zutage. Die Operation ist überstanden, auf das Team wartet die nächste. Vielleicht kommt aus den Lautsprechern dann wieder Tschaikowsky statt Rock‘n‘Roll.