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In den Kordilleren eine späte Liebe entdeckt

Hans-Volkmar Findeisen restaurierte die alten Weinbergmauern auf seinem Grundstück an der Plochinger Steige in Kirchheim

Drei Jahre harte Knochenarbeit liegen hinter Hans-Volkmar Findeisen. Der begeisterte Mauerbauer versetzte die alten Wengertmäuer
Drei Jahre harte Knochenarbeit liegen hinter Hans-Volkmar Findeisen. Der begeisterte Mauerbauer versetzte die alten Wengertmäuerle auf seinem Grundstück wieder in den Urzustand. Foto: Deniz Calagan

Kirchheim. Reisen hinterlassen gelegentlich nachhaltigen Eindruck – sei es wegen eindrücklicher Erlebnisse, verpasster Flüge oder der Liebe des Lebens. Solch eine Reise mit

lang anhaltendem Nachhall war für Hans-Volkmar Findeisen die zu den Ifugao, einer Ethnie in den philippinischen Kordilleren, die vor wenigen Jahrzehnten noch als Kopfjäger in Erscheinung traten. Dort hat er sich von dem indigenen Volk zeigen lassen, wie man terrassierte Reisfelder baut und so eine späte Liebe entdeckt: zu Steinen im Allgemeinen und zum Trockenmauerbau im Besonderen. Und damit alles seine Ordnung hat, ist er mittlerweile geprüfter Trockenmauerbauer mit dem Zertifikat der niederösterreichischen Landwirtschaftskammer in Sankt Pölten. Diese Auszeichnung schmückt nun das Wohnzimmer von Hans-Volkmar Findeisen, der im „normalen“ Leben als Journalist und in der Erwachsenenbildung tätig ist.

Wenn er anfängt von seinen Steinen zu reden, ist die pure Begeisterung geradezu greifbar, auch wenn es „a Saug‘schäft“ ist, die schweren Brocken passgenau an Ort und Stelle zu hieven. Doch trotz allem Enthusiasmus bleibt es nicht aus, das eine oder andere Lehrgeld zu zahlen. „Am Anfang greift man blöd hin. Da gab es immer mal wieder blaue Finger“, erzählt der Mauerbauer lachend.

Die Plochinger Steige ist dafür bekannt, dass sich der Hang gerne in Bewegung setzt – wovon auch die Straßenbauer ein Lied singen können. Nicht nur die Landesstraße ist davon betroffen, auch die steilen Wiesen, einstmals Weinberge. Aus jener Wengert-Zeit stammen die Mäuerchen, die es Hans-Volkmar Findeisen seit geraumer Zeit angetan haben. „Stäffele nauf, Stäffele na“ heißt es bekanntlich in Stuttgart, doch für den Kirchheimer hieß es drei Jahre lang, Steine mühsam „nauf“zuhieven. Eine Stunde war er schon mal damit beschäftigt, einen der massigen Blöcke mit einfachen Werkzeugen und reiner Hebekraft 15 Höhenmeter den steilen Grashang hochzuwuchten. Bei dem starken Gefälle, das die Hänge der Plochinger Steige auszeichnet, arbeitete er mit Steigeisen, um bei der schweren Arbeit einen festen Stand zu haben. Hans-Volkmar Findeisen schätzt, zwischen 150 und 200 Tonnen Stein verbaut zu haben. „Allein für das Fundament waren es etwa 25 Tonnen“, erklärt er.

Mittlerweile ist Hans-Volkmar Findeisen zum Experten geworden und der Faszination der Steine erlegen. Von Angulatensandstein ist die Rede, von Travertin, Mergel- oder Stubensandstein. Wer mit Steinen arbeitet, landet schnell beim Thema Geologie. Die Namen verraten dem Fachmann, in welcher erdgeschichtlichen Schicht der Stein vorkommt, welche Farbe und Eigenschaften er hat. „In Weilheim gab es noch bis Ende der 1920er-Jahre einen Steinbruch, in dem Eisensandstein abgebaut wurde“, erzählt Hans-Volkmar Findeisen. Heute ist der Rote Wasen, unterhalb des Boßlers gelegen, ein Naturschutzgebiet.

„Das, was wir Mauerbauer machen, ist anonymes Handwerk. Anonym deshalb, weil die Erbauer solcher Bauwerke vollkommen unbekannt sind, im Gegensatz zu Baumeistern und Architekten“, erklärt der Journalist. Generation um Generation erneuert, saniert oder baut eine Anlage komplett neu. „Jeder Mauerbauer hat seine eigene Handschrift“, kennt Hans-Volkmar Findeisen die Feinheiten. Anonyme Bauwerke gibt es nahezu allerorten und verbindet die Menschen sämtlicher Kulturen – und so lässt sich leicht eine Brücke von philippinischen Reisbauern zu schwäbischen Wengertern schlagen. „Um Menschen in einem fremden Land für meine Reportagen besser kennenzulernen, habe ich mir angewöhnt, mit ihnen zu arbeiten. Ich bekomme so schnell Kontakt und einen ganz persönlichen Eindruck von Land und Leuten. So habe ich mir auch verschiedene Handwerkstechniken beigebracht – und bin auf den Philippinen zum Trockenmauerbau gekommen“, erzählt der Journalist, der mit seiner Frau auch das Studium Generale an der Familien-Bildungsstätte Kirchheim anbietet.

Im fernen Osten wurde ihm bewusst, welcher Schatz auf seinem Grundstück im Dornröschenschlaf schlummert beziehungsweise wie weit dessen Verfall schon fortgeschritten war. Es bestand akuter Handlungsbedarf, denn einige Mauersteine waren bis zur Grundstücksgrenze hinabgerollt, und Hans-Volkmar Findeisen wollte unbedingt vermeiden, dass einer der Brocken auf der Steige landet – schließlich sollte kein Autofahrer zu Schaden kommen. Mit den rudimentären Grundkenntnissen von den Philippinen war es jedoch nicht getan, das alte Bauwerk wieder in seinen vollkommenen Urzustand zurückzuversetzen. Um die alte Handwerkstechnik von der Pike auf zu lernen, besuchte er die Weinbauschule in Krems in der Wachau in Österreich. „2002 sind dort die Weinberge nach starken Regenfällen zur Donau hin abgerutscht. Kaum jemand kannte sich noch mit dem Trockenmauerbau aus, weshalb die wenigen ihr Wissen seitdem in Lehrgängen weitergeben“, so Hans-Volkmar Findeisen. Doch damit nicht genug. Zahlreiche Fortbildungen hat er mittlerweile besucht. „Ich gehe zu jedem Steinkongress, da lernt man viel dazu – und Gleichgesinnte kennen.“ Derzeit erlebe der Trockenmauerbau im Allgemeinen und die Weinbergterrassen im Besonderen eine Renaissance. Es gebe eine richtige Bewegung, nicht zuletzt auch deshalb, weil der ökologische Wert dieser besonderen Biotope erkannt wurde. Mauern bieten Lebensraum für seltene Tier- und Pflanzenarten. In den Hohlräumen finden beispielsweise Eidechsen, Blindschleichen, Steinhummeln, Mauerfuchs – ein Schmetterling – oder Mauswiesel Unterschlupf, und Pflanzen wie Weißer Mauerpfeffer, Zimbelkraut oder Zypressenwolfsmilch krallen sich in die Fugen.

„Das ist wie Zen“, hörte Hans-Volkmar Findeisen bei einem der Kongresse von einem Kollegen. „So weit will ich zwar nicht gehen, aber die Arbeit ist schön und wahnsinnig entspannend“, sagt er und spricht von einem richtigen Boom, den es derzeit in dieser Branche gebe. „In der Schweiz gilt der Trockenmauerbauer als toller Beruf. Die verdienen richtig gutes Geld und stehen auf einer Stufe mit Architekten“, freut sich Hans-Volkmar Findeisen. Das hat bei den Eidgenossen Tradition. So sind etwa die Hangbefestigungen der Gotthardbahn massige Trockenmauern. Auch die Kunst hat dieses alte Handwerk für sich entdeckt. „Ein Japaner baut einfach Mauern in die Landschaft“, erzählt er. Ein richtig gutes Händchen für den Mauerbau attestiert der Kirchheimer dem angeblich schwachen Geschlecht: „Es sind häufig Frauen, die richtig gut sind.“ Wichtig sei einfach das richtige Gefühl für die Steine und die Technik. „Man lässt den Stein auf der Kante marschieren“, verrät Hans-Volkmar Findeisen einen der Tricks.

Wissen um die Hintergründe schadet ebenfalls nicht. „Es geht immer um das Wasser, das drückt“, bringt es der Fachmann auf den Nenner. In seinem Fall kommt noch hinzu, dass die Geologie der Plochinger Steige schwierig ist. „Der Mergelhang rutscht, wenn man nicht angepasst baut. Und genau das ist das Entscheidende: wo und wie ich das Wasser ableite“, erklärt der Kirchheimer.

Verzwicken und verkeilen heißen etwa die Zauberwörter für eine standfeste Mauer. Die Kunst ist, den richtigen Stein an die richtige Stelle zu setzen. Was nicht passend ist, wird mit einem gezielten Schlag in Form gebracht, und die abfallenden „kleinen Breckele“ füllen die Hohlräume und dienen als Binder, denn auch das Hintergemäuer hat eine wichtige Bedeutung. Zudem hat jede Steinart unterschiedliche physikalische Eigenschaften. „Es gibt welche, die saugen wie blöd“, weiß Hans-Volkmar Findeisen. Ein Steinemix ist deshalb mit Vorsicht zu genießen, denn je mehr ein Stein Feuchtigkeit anzieht, desto schwerer wird er – im Gegensatz zu einem, der eher wasserabweisende Eigenschaften hat. Deshalb ist auch die Witterung beim Mauerbau nicht zu unterschätzen – ideal ist stabiles, trockenes Wetter. „An warmen Wintertagen ist die Zeit, in der die Wengerter ihre Maurerarbeiten verrichten, denn im Sommer haben sie dazu einfach keine Zeit“, verweist Hans-Volkmar Findeisen auf die Hochsaison dieser Zunft.