Lokales

„Jugendliche wollen sich beteiligen“

Interview mit KJR-Geschäftsführer Kurt Spätling über Veränderungen in der Jugendarbeit

Wie können sich Jugendhäuser fit für die Zukunft machen? Das war Thema in der jüngsten Sitzung im Jugendhilfeausschuss des Kreistags. Der Teckbote hat mit Kurt Spätling, Geschäftsführer des Kreisjugendrings (KJR), darüber gesprochen, wie sich die Arbeit mit Jugendlichen verändert hat.

Offene Treffs, wie hier im Mehrgenerationenhaus Linde, sind Orte, an denen Menschen aller Generationen, Kulturen und Milieus zus
Offene Treffs, wie hier im Mehrgenerationenhaus Linde, sind Orte, an denen Menschen aller Generationen, Kulturen und Milieus zusammenkommen. Doch wer hält sich dort wann auf, und warum? Das wollen die Einrichtungen des KJR in diesem Jahr herausfinden.Foto: Jean-Luc Jacques

Herr Spätling, ist die Jugend von heute eine andere als vor zehn Jahren?
KURT SPÄTLING: Nein. Dieses Gerede, dass die Jugend schlimmer oder frecher geworden wäre, gibt es doch schon seit hundert Jahren. Aber natürlich gibt es Veränderungen, und die Rahmenbedingungen sind ebenfalls nicht mehr dieselben.

Können Sie ein Beispiel nennen?
KURT SPÄTLING: Die Freizeitmöglichkeiten haben sich radikal verändert. Das ist jetzt vielleicht eine Plattitüde, aber wenn man sich anschaut, wie viel Zeit Jugendliche vor dem Computer und im Netz verbringen, ist das schon heftig. Darin sehe ich aber nicht den Untergang des Abendlandes. Die Jugendhäuser müssen sich eben darauf einstellen und sich diese Kompetenzen auch aneignen.

Bürgerbeteiligung ist seit Stuttgart 21 in aller Munde. Hausversammlungen, wie es sie in der Anfangsphase der Jugendhäusern gab, sind aber längst passé. Warum wollen sich die Jugendlichen nicht mehr beteiligen?
KURT SPÄTLING: Die wollen sich schon beteiligen. Aber halt nicht mehr in dieser Form. Was gut ankommt, sind Jugendforen. Man lädt zu einem bestimmten Thema alle Jugendlichen ein und fragt sie zum Beispiel, welche Freizeitmöglichkeiten sich vor Ort verbessern sollen. Wenn man so etwas macht, muss der Gemeinderat der jeweiligen Stadt aber auch Geld bereitstellen, damit der Vorschlag zeitnah umgesetzt werden kann. Das Überraschende bei diesen Jugendforen war bisher immer, dass die Jugendlichen sehr bescheiden waren. Zum Beispiel haben sie sich gewünscht, dass die Lichtanlage am Skaterplatz verbessert wird. Oder sie wollten einen Treffpunkt außerhalb des Jugendhauses haben. Was mich ebenfalls überrascht hat: Es sind oft sogar Kinder dabei. Und die älteren Jugendlichen respektieren die Kinder. Es gibt natürlich noch andere Formen, Jugendliche zu beteiligen. Bei den Jugendgemeinderäten bin ich allerdings ein bisschen skeptisch, weil sich das auf wenige konzentriert und hauptsächlich im gymnasialen Sektor stattfindet.

In diesem Jahr wollen die Jugendhäuser die Jungen in den Fokus nehmen. Warum brauchen die besondere Aufmerksamkeit?
KURT SPÄTLING: Ein Schulleiter hat mir mal gesagt, dass die Schule eine fast ausschließlich weibliche Brille aufhat. Jungs, die laut sind, werden im Unterricht als Störer wahrgenommen. Man erkennt nicht, dass das in einer bestimmten Phase ganz normal sein kann. Einige Jugendhäuser wollen deshalb in der Schule anregen, mal eine Woche geschlechtergetrennten Unterricht zu machen, um herauszukriegen, was sich dadurch verändert. Außerdem kann man Schulangebote mit erlebnispädagogischen Angeboten wie Klettern, Geländespielen oder Ähnlichem ergänzen. Solche Angebote sind bisher eher noch die Ausnahme.

Wird es die offenen Treffs in den Jugend- und Mehrgenerationenhäusern in zehn Jahren auch noch geben?
KURT SPÄTLING: Natürlich wird es die noch geben. Allerdings gibt es auch in diesem Bereich eine interessante Entwicklung. Die Zehntscheuer in Deizisau ist zum Beispiel 17 Jahre alt. Man hat von Anfang an einen Jugendraum im Keller eingerichtet, wo die Jugendlichen unter sich sein konnten. Das hat sich irgendwann völlig gewandelt, weil die Jugendlichen lieber oben sein wollten. Diese Geschichte zeigt, dass sich viele Jugendliche gar nicht mehr abgrenzen wollen. Symptomatisch sind auch die Eltern-Kind-Beziehungen. Die Jugendlichen wollen ja heute fast alle wie ihre Alten sein. Das war in unsere Jugend ganz anders, da wollte man sich abgrenzen. Das heißt: Man braucht auch weiterhin offene Jugendtreffs. Aber sie sind nicht mehr die einzigen Räume, in denen sich Jugendliche treffen können. Die Wohnräume haben sich im Vergleich zu früher vergrößert. Man kann sich heute mit der Clique auch mal bei jemandem zu Hause treffen.

Welche Bedeutung haben Jugendhäuser in einer überalternden Gesellschaft?
KURT SPÄTLING: Darüber haben wir kürzlich im Mehrgenerationenhaus Linde in Kirchheim diskutiert. Räume für Kinder und Jugendliche zu schaffen, ist gerade angesichts des demografischen Wandels sehr wichtig, weil ihre Interessen im Zuge der Überalterung unter Druck geraten. In manchen Jugendhäusern gibt es schon Kinder- und Jugendbeauftragte, ähnlich den Gleichstellungsbeauftragten, die sich um deren Belange kümmern. Wir müssen zunehmend auch Dolmetscher für die Belange von Kindern und Jugendlichen sein. Wenn immer mehr Menschen, die niemals mit Kindern und Jugendlichen zu tun hatten, über sie entscheiden, kommen komische Sachen dabei raus.


Wenig Interesse an verbandlicher Jugendarbeit

In der Sitzung des Jugendhilfeausschusses hat KJR-Geschäftsführer Kurt Spätling die unsichere Zukunft der verbandlichen Jugendarbeit angesprochen. Hintergrund ist, dass die Mitarbeit der Verbände im Kreisjugendring, der als deren Arbeitsgemeinschaft fungiert, stark nachgelassen hat. „Bei all der stürmischen und zweifellos produktiven und modernen Weiterentwicklung in der offenen Jugendarbeit müssen wir kritisch eingestehen, dass wir möglicherweise zu wenig im Kernbereich der verbandlichen Jugendarbeit getan haben“, so Kurt Spätling. „Andererseits müssen wir aber auch akzeptieren, dass die Bedeutung der Kreisverbände dramatisch abgenommen hat und sich keine Erneuerung abzeichnet.“ Anfragen nach Unterstützung und Hilfe lägen jedoch auch nicht vor. Vielleicht, so Spätling, sei die Haupternte auch eingefahren.adö