Lokales

Kleine Gemeinde zog alle Register

20 Jahre Aubertin-Orgel – Bekannte Organisten konzertieren im Herbst in der Bruckener Kirche

Mit vier Konzerten erinnert die evangelische Kirchengemeinde Brucken an die Einweihung der Barockorgel des französischen Orgelba
Mit vier Konzerten erinnert die evangelische Kirchengemeinde Brucken an die Einweihung der Barockorgel des französischen Orgelbauers Bernard Aubertin vor 20 Jahren. Fotos: Jean-Luc Jacques

Lenningen. Brucken lädt ein zu einem Orgelfestival. Mit vier Konzerten erinnert die evangelische Kirchengemeinde an die Einweihung der Barockorgel des französischen

Orgelbauers Bernard Aubertin vor 20 Jahren. Ehemalige Organisten der Bruckener Kirche konzertieren: Daniel Gardony aus Frankenberg eröffnete den musikalischen Herbst. Der Preisträger des Bayreuth-Regensburger Klavierwettbewerbs widmete sich besonders den Kompositionen seines Vaters Zsolt und seines Großvaters Zoltan Gardonyi. Zu „Perlen des Barock“ laden am Samstag, 11. Oktober, zwei international renommierte Künstler ein: der amerikanische Countertenor Robert Crowe und Julia Gilliich-Naroschnaja, gebürtige Litauerin. Sonja Betten, ebenfalls mehrfache Preisträgerin, reist aus der Schweiz am 15. November zum Orgelspiel nach Brucken. Jens Wollenschläger kommt am 13. Dezember aus Tübingen, wo er seit kurzem Professor für „künstlerisches und liturgisches Orgelspiel“ an der Hochschule für Kirchenmusik und erster Organist an der Tübinger Stiftskirche ist.

Kirchenmusik ist ein Fenster zum Glauben. Die vielstimmige Sprache der Orgel vertieft das Wort von Predigt, Gebet und Liedtexten. Sie ist eingebunden in die Liturgie, in die kirchlichen Festtage und Familienfeiern. Mit dieser wesentlichen Erkenntnis überzeugten Pfarrerin Margret Oberle, der damalige hochmusikalische – leider früh verstorbene – Organist Michael Gabler und vor allem Kirchenmusikdirektor Ernst Leuze den Kirchengemeinderat, die alte Walckerorgel durch ein neues Werk zu ersetzen. Das Instrument aus den Nachkriegsjahren hatte eine pneumatische Traktur, die immer schadhafter und ungenauer geworden war. Der Kirchengemeinderat entschied sich zukunftsorientiert für einen Orgelneubau. Er vertraute auf die Gemeinde, die in der Vergangenheit ihre Treue zur Kirche bewiesen hatte. Auch diesmal ermöglichte sie durch ihr Engagement den Einzug der neuen „Königin der Instrumente“ in ihre Kirche.

Die Dorfgeschichte zeigt: Die Bruckener können feste schaffen – und sie schaffen sich somit Feste. Sie erinnern an ihren Kirchbau im Jahr 1930 nach den Plänen des jungen Architekten und späteren Weimarer Bauhausdozenten Hans Seytter. Die Backsteinkirche mit ihrem kühnen halbseitigen Walmdach und dem Dachreiter-Turm steht mitten im Dorf, mitten im Kirchhof. Mit seinen alten Bäumen ist er ist ein Park der Ruhe vor der Albkulisse. Dabei ist die lärmende Bundesstraße nicht weit entfernt.

In knapp sechs Monaten entstand damals die Bruckener Kirche. Das ist ihr offizieller Name – und das ist recht so. Wie ist die Bausumme von 50 000 Mark zusammengekommen in einer Zeit, in der der Mesner eine Jahresvergütung von 50 Mark erhielt? Wer hat die Fundamente ausgegraben, die Wände hochgezogen, die Balken geschleppt für das Dachgestühl, die Glocke hochgehievt – und immer termingerecht? Der Arbeitseinsatz der Bruckener für ihre Kirche war Ehrensache.

Auch die Handwerker konnte die Kirchengemeinde pünktlich bezahlen und dies, als die Notzeiten der Nachkriegsjahre und der Inflation noch spürbar waren – gerade auch in der damals ärmsten Gemeinde im Lenninger Tal. Die Kleinbauern und Schichtarbeiter waren keine reichen Leute. Dann machte sich auch die Arbeitslosigkeit breit. Doch die kirchenlose Zeit war zu Ende. Das Gotteshaus steht heute unter Denkmalschutz.

Die dörfliche Geschichte wiederholte sich sechs Jahrzehnte später: Der Weitblick und die Überzeugungskraft der Verantwortlichen ermutigte die Gemeinde. Nicht irgendein Instrument sollte es sein – das feinste war gerade gut genug. Fachleute und Kirchengemeinderäte machten sich auf, eine neue „Königin“ zu suchen. Sie entschieden sich für eine französische Barockorgel des Orgelbauers Bernard Aubertin, für ein einmanualiges Instrument mit mechanischer Traktur und sensibler Spielbarkeit, denn der Innenraum der Bruckener Kirche ist vorwiegend mit Holz gestaltet. Die trockene Akustik erfordert deshalb ein Instrument, bei dem eine genaue „Tonansprache“ möglich ist. Eine sogenannte Universalorgel mit eher dumpfem Klang hätte schlecht mit der einfachen materialgerechten Dorfkirche korrespondiert. Der lothringische Orgelbauer mit damals bereits internationalem Ruf schrieb 1994: „Werkgerechtes Können, musikalische und architektonische Begabung sind für mich und unsere Orgelbauer berufliche Voraussetzungen. Meine Hoffnung ist, dass dieses Instrument für die Bruckener Kirche aus sich selbst strahlen und seine Poesie, Farbe, Kraft oder Anblick Laien wie Fachleute hoch erfreuen werde.“

Jetzt erinnern sich die Bruckener an ihre Orgel. Auch bei diesem Bauprojekt haben sie die Ärmel hochgekrempelt, angepackt, mitgearbeitet, gespendet, geopfert und gestiftet. Die vielen und vielfältigen Veranstaltungen stärkten wiederum die dörfliche Gemeinschaft. Mit Basaren, Bastelwerkstätten, Bettelbriefen, vor allem aber mit ungezählten Brotlaiben, von 15 Kirchenchorfrauen aus 11,5 Tonnen Mehl gebacken, sorgten sie für einen stetig steigenden Spiegel in der Kirchenkasse. Denn es galt, eine Viertelmillion Mark aufzubringen, ohne jeglichen oberkirchenrätlichen Finanzbeitrag. Die Zeiten hatten sich gewandelt. Doch die Bruckener blieben sich treu. Wieder machte es eine Dorfgemeinschaft möglich, wieder herrschte eine Aufbruchstimmung und das Durchhalte-Motto: Wir schaffen‘s! Im Rückblick waren diese drei Jahre von der Planung 1991 bis zur Orgeleinweihung 1994 wieder ein besonderes Kapitel der Ortsgeschichte. „Jeder, der etwas zu diesem Orgelbau beitragen konnte, hat an einem geistlichen Geschehen mitgewirkt“, würdigte Pfarrerin Margret Oberle den tatkräftigen fantasievollen Einsatz der ganzen Gemeinde. „Die neue Orgel ist uns zur Erbauung, zur Gemeinschaft und zur Freude geschenkt und will durch ihren Klang uns immer neu zu österlichen Menschen aufrichten.“

Gegen den Widerstand der Kirchenobrigkeit platzierte man das königliche Instrument in die Mitte der Empore. Mit diesem klanglich und optisch ästhetisch noblen Instrument ist in diese Dorfkirche Eleganz eingekehrt. Das Instrument mit den verschiedenen Profilen bildet Lichtspiele, Schnitzereien decken die Pfeifen. So adelt diese Orgel die würdevolle Schlichtheit des Raums. Und steht nicht auf dem Mittelturm der Orgel ein Lamm? Das Bruckener Siegelbild im Amtstempel ist das Lamm mit der Christusfahne. In diesem Zeichen feiern die Christen Gottesdienste, mit diesem Instrument erleben Gäste und Gemeinde „Freude und Poesie“ bei Kirchenkonzerten in der Bruckener Kirche.

Die Kirchenmusik spielt in Brucken seit dem Kirchenbau 1930 eine besondere Rolle. Die langjährige Organistin und Kirchenchorleiterin, Katechetin und Kirchengemeinderätin Emilie Weber, war eine Institution. „Solche hundertjährigen Bäume wachsen heute nicht mehr“, sagte ein Ortskundiger und erinnerte an ihre Gründung des Kirchenchors, an ihren Umtrieb nach dem Krieg, das quietschende Harmonium durch eine Orgel – jene Walckerorgel – zu ersetzen. Nach ihrer Amtsaufgabe 1983 als Organistin holte Pfarrerin Oberle begabte Musikstudenten und Praktikanten der Kirchenmusik nach Brucken, sorgte für deren Wohnung im alten Gemeindehaus und damit auch für Lehrkräfte für die Kinder und Jugendlichen am Ort. Dank dieser weitsichtigen Entscheidung kommen diese Musiker immer wieder nach Brucken. Auf die Aubertinorgel – die erste in Deutschland – waren Organisten von Rang und Namen neugierig. Zahlreiche Orgelkonzerte machten die Bruckener Kirche zu einer feinen Adresse für die Musikfreunde des ganzen Bezirks. Auch bei den Reisen der Kirchengemeinde begleiteten die Bruckener Organisten die Gruppe zu berühmten Orgeln – etwa in Dresden, Erfurt, Leipzig, Annaberg oder in Regensburg – und bereicherten mit ihrem Konzertieren diese Kulturtage.

Regelmäßig musizieren in der Bruckener Kirche Kirchheimer Instrumentalisten, ebenso ein Barockensemble aus Minsk. Immer wieder sorgen die „Saitenensembles“ aus Bayern für den Klangzauber echter Folklore; Sternstunden der Musik waren auch die Gastspiele der Harfenistin und der Flötenspielerin aus dem Baltikum. Die Bruckener und Unterlenninger Kirchenchöre bereichern die kirchlichen Festtage; die Instrumentalgruppen der Lenninger Musikschule gestalten öfters die Gottesdienste. Nun werden die ehemaligen Bruckener Organisten in den nächsten Wochen hier in diesem „Klangraum“ konzertieren. „Die Musik schafft ein fröhliches Gemüt“, ermunterte Martin Luther die Gläubigen zur Kirchenmusik. Eine Musikkirche ist allemal die Zukunft der Bruckener Kirche.

Kirche in Brucken - 20 Jahre Aubertin-Orgel in Brucken
Kirche in Brucken - 20 Jahre Aubertin-Orgel in Brucken